Armenien-Abstimmung im Bundestag ohne Merkel, Gabriel und Steinmeier

Der Bundestag macht am Donnerstag das, was Parlamente einiger anderer Staaten schon längst getan haben: Er wird die Massaker an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Völkermord einstufen. Die Türkei droht. Und die Kanzlerin und ihr Vize haben andere Termine.

An der Abstimmung im Bundestag über die umstrittene Armenien-Resolution nehmen voraussichtlich weder Kanzlerin Angela Merkel (CDU) noch Vizekanzler Sigmar Gabriel und Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) teil. Das Parlament will an diesem Donnerstag einen Antrag von Union, SPD und Grünen beschließen, in dem die Massaker an den Armeniern im Osmanischen Reich als Völkermord bezeichnet werden. Der türkische Regierungschef Binali Yildirim nannte die Resolution «lächerlich». Die Vorwürfe seien «aus der Luft gegriffen».

Vize-Regierungssprecherin Christiane Wirtz sagte am Mittwoch in Berlin, Merkel unterstütze die Resolution und habe bei einer Probeabstimmung in der Fraktion für den Antrag votiert. An der Abstimmung am Donnerstag im Bundestag werde sie aber aus Termingründen «nach derzeitigem Stand» nicht teilnehmen, sagte Wirtz.

Auch SPD-Chef Gabriel, der die Resolution frühzeitig und demonstrativ unterstützt hatte, hat einen anderen Termin. Er spricht vor 1.000 Teilnehmern beim Tag der Bauindustrie. Außenminister Steinmeier, der die Armenien-Resolution ursprünglich verhindern wollte, beginnt am Donnerstag eine Lateinamerika-Reise.

Bei den Massakern an den Armeniern 1915 kamen Schätzungen zufolge zwischen 800.000 und 1,5 Millionen Angehörige der christlichen Minderheit im Osmanischen Reich ums Leben. Die Türkei als Rechtsnachfolger des Osmanischen Reichs hat das bedauert, bestreitet aber, dass es sich um Völkermord gehandelt habe.

Nach monatelangem Gezerre hatten sich Union und SPD mit den Grünen auf einen gemeinsamen Antrag geeinigt. Der Text spricht schon in der Überschrift vom «Völkermord an den Armeniern. Das Wort taucht dann noch zwei Mal auf. Der Schlüsselsatz ist so fast wörtlich vor einem Jahr von Bundespräsident Joachim Gauck verwendet worden.

Über die Armenier heißt es: «Ihr Schicksal steht beispielhaft für die Geschichte der Massenvernichtungen, der ethnischen Säuberungen, der Vertreibungen, ja der Völkermorde, von denen das 20. Jahrhundert auf so schreckliche Weise gezeichnet ist.»

Ankara hat den Bundestag mehrfach vor der geplanten Resolution gewarnt. Am Mittwoch verschärfte die Türkei noch einmal den Ton. Der neue Regierungschef Yildirim, der als Gefolgsmann von Präsident Recep Tayyip Erdogan gilt, sagte nach Angaben der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu, bei einer Annahme der Resolution «werden unsere Beziehungen zu Deutschland natürlich geschädigt, darin besteht kein Zweifel.» Er hoffe, dass der Bundestag gegenüber den vielen türkischstämmigen Wählern in Deutschland «nicht die Ohren verschließt».

Yildirim und Erdogan hatten am Dienstag mit Merkel telefoniert. Erdogan sagte danach, sollte der Bundestag die Resolution annehmen, würde das «diplomatische, wirtschaftliche, geschäftliche, politische und militärische Beziehungen zwischen den beiden Ländern» schädigen.

Der armenische Präsident Sersch Sargsjan rief den Bundestag auf, sich von Erdogan nicht einschüchtern zu lassen. «Es ist nicht fair, wenn man den Völkermord an den Armeniern nicht Völkermord nennen darf, nur weil der Staatschef eines anderen Landes dann wütend wird», sagte Sargsjan der «Bild»-Zeitung.

Unterdessen haben sich türkische Abgeordnete in scharfer Tonlage in einer gemeinsamen Erklärung gegen die geplante Resolution des Bundestags über den Völkermord an den Armeniern vor 100 Jahren im Osmanischen Reich gewandt. In dem Papier, das am Donnerstag von der türkischen Botschaft in Berlin verbreitet wurde, wird das deutsche Parlament aufgefordert, den Antrag abzulehnen. Hinter der Erklärung stehen den Angaben zufolge Vertreter der Parteien AKP, CHP und MHP - und damit die überwiegende Mehrheit des türkischen Parlaments, der Großen Türkischen Nationalversammlung.

In der Deklaration ist von armenischen «Völkermord-Behauptungen» die Rede. Die Türkei lehnt bis heute die Bezeichnung «Völkermord» für die Vertreibung und Vernichtung der Armenier und anderer christlicher Minderheiten in den Jahren 1915 und 1916 ab. Der Bundestagsantrag spricht dagegen von «Völkermord», was in der Türkei auf scharfe Kritik stößt.

Die Deklaration türkischer Abgeordneter bezeichnet den Antrag als «rechtswidrig» und wirft der deutschen Seite vor, historische Realitäten zu verzerren. Die Resolution wird auch als «Versuch zur Verletzung der Identität türkischer Gesellschaft in Deutschland» bewertet. Dieser Versuch werde «eine auseinanderbringende Wirkung auf Türken und Deutschen haben», warnt die Erklärung. (dpa/epd)