«Arbeit geht weiter»: Folteropfer-Klinik in Ägypten trotzt Schließung

Dafür, dass sie Folteropfern in Ägypten hilft, bezahlte Aida al-Dawla mit einem Teil ihrer Freiheit. Nun ehrt Amnesty ihre Organisation, das Nadim-Zentrum, mit einem Menschenrechtspreis. Eine «nette Botschaft» an den autoritären Präsidenten Al-Sisi. Von Benno Schwinghammer

Ob sie keine Angst habe? «Wenn Du 24 Jahre gegen Polizeigewalt arbeitest, wirst Du dagegen immun», entgegnet Aida Seif al-Dawla, 63 Jahre alt, auf ihrem Schoß liegt ein Kissen. Die Menschen, die sich an diese Frau wenden, waren an den dunkelsten Orten des autoritären Ägypten, Folter hat sie gebrochen. Um ihnen zu helfen, hat Al-Dawla einen Teil ihrer Freiheit verloren. Ihre Klinik, das Nadim-Zentrum für die Rehabilitierung von Folteropfern, erhält nun den Menschenrechtspreis von Amnesty Deutschland.

Vor einem Jahr machten die Behörden das Nadim-Zentrum teilweise dicht. Doch die Psychiaterin und ihre Kollegen denken nicht ans Aufhören. «Die Klinik ist geschlossen. Aber die Therapeuten existieren. Die Arbeit geht also weiter», sagt sie ungerührt.

In ihrem Heimatland Ägypten - wichtiger Partner Deutschlands in der arabischen Welt - haben Menschenrechtler anhand Hunderter Fälle ein Ausmaß von staatlicher Folter dokumentiert, das sie «systematisch» nennen. Das Quälen von Menschen, es sei immer Teil des Landes gewesen, sagt Psychiaterin Al-Dawla. Aber in den vergangenen Jahren sei es «entsetzlicher» gewesen als je zuvor. Die meisten Opfer sind Islamisten, Oppositionelle und Aktivisten.

«Es geht um Schläge, Ohrfeigen, Tritte, Halten in angespannten Positionen, Fesseln hinter dem Rücken, von der Decke oder der Tür hängen lassen, Elektroschocks in den Ohren, den Genitalien, an der Zunge, Ausdrücken von Zigaretten auf der Haut, Entkleiden, sexuelle Nötigung mit einem Objekt, die Drohung, weibliche Familienmitglieder zu vergewaltigen, Menschen nackt in Einzelhaft halten, Zellen mit Polizeihunden angreifen, Entzug medizinischer Betreuung, Schlafentzug, Nahrungsentzug. Die Liste ist lang», sagt sie.

«Die Regierung von Präsident Abdel Fattah al-Sisi geht systematisch gegen politische Gegner vor. Polizei und Geheimdienste sind für schwere Verbrechen wie Folter, Verschwindenlassen und außergerichtliche Tötungen verantwortlich», sagt Markus Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland. Dabei bestreitet die Regierung nicht, dass es Folter gibt. Allerdings handele es sich um Einzelfälle, nicht um ein System. Trotz aller Beteuerungen: Menschenrechtler glauben, dass viele Fälle nie ans Licht kommen.

In diesem Spannungsfeld wurde das Nadim-Zentrum zu einem der bekanntesten Verteidiger der Menschenrechte in Ägypten. Bei der Gründung 1993 war das allerdings überhaupt nicht das Ziel, erinnert sich Al-Dawla. Zusammen mit Susan Fajad und Magda Adly rief sie die Klinik damals ins Leben, weil Bekannte von ihnen gefoltert worden waren. Der damalige Machthaber Husni Mubarak wurde 2011 im Zuge der arabischen Aufstände gestürzt, die am 25. Januar vor sieben Jahren begannen.

Das Nadim-Zentrum rehabilitierte, dokumentierte und veröffentlichte über 24 Jahre, bis die Regierung es irgendwann nicht mehr ignorierte. An einem freien Tag im vergangenen Jahr schließlich standen die Sicherheitskräfte vor der Klinik. «Es gab Momente, in denen wir es nicht glauben konnten. Besonders, als wir hochgegangen sind und die Türen versiegelt sahen. Wir waren wütend. Und wir saßen alle zusammen vor dem Gebäude», erinnert sich die Psychiaterin. Im Februar soll ein Gericht über die Wiedereröffnung entscheiden. So wirklich glaubt niemand daran, dass das jemals passiert.

Wie dem Nadim-Zentrum erging es auch vielen weiteren nationalen und internationalen Organisationen. Auch die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo fiel 2013 dem Kontrolldrang der Vorgängerregierung zum Opfer. Und es könnte in Zukunft noch schlimmer werden. Nach Einschätzung von Human Rights Watch und unabhängigen Experten wird ein neues Gesetz gegen zivilgesellschaftlichte Organisationen das Engagement außerhalb staatlicher Institutionen in Ägypten weitgehend zerstören.

Doch Al-Dawla und ihre Kollegen vom Nadim bleiben trotzdem unerschrocken. Ihr Alter schütze sie, glaubt Al-Dawla. Wer sperre schon eine 63-Jährige ein? Der nun verliehene Preis sei eine «nette Botschaft» an den «Militärdiktator» Al-Sisi, an dessen Wiederwahl für eine zweite Amtszeit Ende März momentan nur wenige zweifeln.

Doch Al-Dawla musste mit einer Reisesperre für ihre Arbeit bezahlen. Ägypten darf sie nicht verlassen. In ihrem Wohnzimmer hängen Bilder aus der ganzen Welt. Ein Gemälde zeigt Paris, ein anderes eine Landschaft in Japan. Doch wenn Al-Dawla Ägypten verlassen will, bleibt ihr nur, sich in ein Buch zu vertiefen.

Das Gefängnis wäre das einzige, was sie von ihrer Arbeit abhalten könne. «Wenn Du einmal involviert bist, kannst Du nicht mehr so tun, als ob es nicht passiert. Du kannst nicht entscheiden, dass das nun genug ist und das man lieber etwas anderes machen will», meint sie.  «Weil Du weißt, dass es passiert. Und dass diese Leute immer noch da sind und sie immer noch leiden. Das ist Wissen, dass Du nicht löschen oder verleugnen kannst.» (dpa)