Arabistin Angelika Neuwirth: Koran gibt keine Auskunft über Umgang mit Gewalt

Der Koran legitimiert nach Ansicht der Arabistin Angelika Neuwirth weder die Anwendung von Gewalt noch verbietet er sie. Von der Entstehung her sei der Koran ein rein liturgisches Buch, das nicht dazu gedacht sei, heutigen Muslimen Handlungsanweisungen für ihren Alltag zu geben, sagte Neuwirth am Dienstag bei einem Gespräch zur Verleihung des Dr.-Leopold-Lucas-Preises in Tübingen.

Die Kulturwissenschaftlerin hat den mit 50.000 Euro dotierten Preis laut Universität Tübingen für ihre Werke zum Koran und zur Analyse moderner arabischer Literatur erhalten. Die 1943 geborene Neuwirth hatte viele Jahre den Lehrstuhl für Arabistik an der Freien Universität Berlin inne.

Europa hat laut Neuwirth nicht nur ein jüdisch-christliches Erbe, sondern auch die Aufgabe, sich mit dem islamischen Vermächtnis auseinanderzusetzen. Es sei nicht falsch, von einem jüdisch-christlich-islamischen Europa zu sprechen, weil alle drei Religionen von der Gedankenwelt der Spätantike geprägt seien. Außerdem würde es die Muslime stärken, wenn dem islamischen Erbe unvoreingenommen begegnet würde, sagte sie.

Zu den bisherigen Preisträgern des Dr.-Leopold-Lucas-Preises gehören Schalom Ben-Chorin (1974), Karl Popper (1981), Karl Rahner (1982), der Dalai Lama (1988), der evangelische Altbischof und frühere EKD-Ratsvorsitzende Eduard Lohse (2007) und Altbundespräsident Richard von Weizsäcker (2000). Im vergangenen Jahr wurde der Preis dem Judaisten Peter Schäfer verliehen.

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