Altkanzler Kohl und sein «Schüler» Orban – Nachhilfe in EU-Politik?

Was wird Helmut Kohl Ungarns umstrittenem Regierungschef Orban beim Treffen an diesem Dienstag sagen? Stützt er Merkels Flüchtlingskurs oder Orbans Abschottung? Fakt ist, der alte Mann mag den Ungarn sehr. Von Kristina Dunz und Gregor Mayer

Warum ein so großer Europäer wie Helmut Kohl den ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban empfängt? «Weil er ein großer Europäer ist», hat der Altkanzler über Orban im November 2014 im Magazin «Stern» gesagt.

Empfindet Kohl das auch heute noch so? Wird er als «Architekt der europäischen Einigung» Orbans Abschottung Ungarns gegen Flüchtlinge kritisieren, wie es sich so manch einer in der CDU wünscht? Oder wird er den Kurs gegen Kanzlerin Angela Merkel (CDU) gutheißen? Bisher gibt es darauf keine Antwort. Fest steht nur, dass der gesundheitlich schwer angeschlagene Kohl Orban am Dienstag treffen will, bei sich zuhause in Ludwigshafen-Oggersheim.

Der 86-jährige Kohl und der 52 Jahre alte Orban pflegen seit Jahrzehnten eine enge Beziehung. Die letzten Monate von Kohls langer Kanzlerschaft fielen 1998 mit den ersten Monaten der ersten Regierungsperiode des damals 35-jährigen Orban zusammen.

Kohl schätzte den anpackenden Ungarn sehr. Zumal dieser seine Fidesz-Partei schon in den Jahren zuvor von liberal auf christlich-konservativ gepolt hatte, was sich auch im Wechsel der Partei von der Liberalen Internationalen zur Europäischen Volkspartei ausdrückte.

Im Jahr 2000, als die CDU-Spendenaffäre zum Zerwürfnis der Christdemokraten mit ihrem Übervater Kohl führte, verlieh Orban ihm in Budapest die Millenniums-Medaille für Staatsmänner, die Ungarn den Weg nach Europa geebnet haben. Wenn man Gutes höre, «tut das gut», sagte Kohl damals. Merkel hatte die CDU kurz zuvor aufgefordert, sich von Kohl zu lösen.

Kohl würdigte den Beitrag Ungarns zur deutschen Wiedervereinigung. Die Öffnung der Grenzen Ungarns habe den Prozess in Deutschland erst möglich gemacht. «Das werden wir den Ungarn nie vergessen», verkündete Kohl einmal an anderer Stelle.

2002 unterstützte Kohl Orban im Wahlkampf und appellierte an die Ungarn, Orban zu wählen. Der aber scheiterte. 2010 kehrte er an die Macht zurück - mit einer Zweidrittelmehrheit im Parlament und der Macht, damit die Verfassung zu ändern. Seit dieser zweiten Amtszeit musste Orban auf der europäischen Bühne viel Kritik für sein autoritäres Durchregieren einstecken. Er legte die Medien an die Leine, höhlte die Macht des Verfassungsgerichts aus und ging auf Kuschelkurs zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der Ungar war zunehmend isoliert, europäische Staats- und Regierungschefs mieden ihn.

Mit der Flüchtlingskrise änderte sich das im vergangenen Jahr, Orban holte sich bei so manchem Kredit zurück. Als erster in Europa schottete er sein Land mit Grenzzäunen und restriktiven Asylgesetzen gegen Flüchtlinge ab. Mit massiven fremdenfeindlichen Kampagnen schürte er den Hass gegen Migranten. In der Nacht zum 5. September entschied Merkel gemeinsam mit Österreich - aber auch Orban -, in Budapest festsitzende Flüchtlinge aufzunehmen. Sie war in Sorge, dass in Ungarn ein Unglück passieren könnte.

Merkel wurde zum Symbol der Hoffnung für Hunderttausende Flüchtlinge, Orban für das Gegenteil. Gegner von Merkels Flüchtlingspolitik begannen so, in Orban einen natürlichen Verbündeten zu sehen. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Horst Seehofer, der Merkel bis heute eine Verfassungsklage wegen der Flüchtlingspolitik androht, lud ihn zu einer CSU-Klausur ein und besuchte ihn in Budapest.

Orban scharte wiederum die migrationsskeptischen Mittelosteuropäer - Polen, Tschechien und die Slowakei - um sich, um die Flüchtlingsverteilungsquote der EU gemeinsam zu bekämpfen. Fast scheint es schon, als würde sich Orban als eine Art Anti-Merkel zu einer Figur europäischen Formats auswachsen.

Doch seine Konjunktur hängt davon ab, wie viele Flüchtlinge unkontrolliert ins Innere Europas wandern. Hält der EU-Türkei-Pakt, der im Großen und Ganzen Merkels Werk ist, und kommen weiterhin wesentlich weniger Flüchtlinge nach Europa, dann könnte Orbans europäischer Stern schnell wieder sinken.

In der «Bild» hatte sich Orban jüngst als Kohls «Schüler» bezeichnet. Wird Kohl nun für Merkel Partei ergreifen? Orbans Kurs, in dem Kritiker eine Spaltung der EU befürchten, kann eigentlich nicht Kohls Lehre sein. Aber Orban darf sich wohl sicher fühlen, dass es in Oggersheim einen alten Mann gibt, der einmal etwas Großes war und der ihm freundschaftliche Zuneigung schenkt. (dpa)