"Alle im selben Kanu" - Religionentreffen am Bodensee

Jeder möge seine Schuhe ausziehen, bat Taminik (Dominique) Rankin, Häuptling der Algonkin-Indianer aus Kanada. "Barfuß können wir Mutter Erde besser spüren, Mutter Erde, die uns alles gibt. Wenn Mutter Erde leidet, leiden die Menschen; wenn die Menschen leiden, leidet Mutter Erde."

Gläubige mit Kippa auf dem Kopf, Kreuz um den Hals oder Schleier über den Haaren hören Rankin andächtig zu und betasten dabei mit bloßen Zehen das Gras. Bilder wie dieses hat die jüngste Weltversammlung von "Religions for Peace" (RfP) geliefert. In Lindau/Bodensee brachte die nach eigenen Angaben größte internationale Allianz religiöser Gemeinschaften vorige Woche (20.-23. August) rund 900 Vertreter aus mehr als einem Dutzend Glaubensrichtungen zusammen. Es war die erste der alle fünf Jahre stattfindenden RfP-Weltversammlungen in Deutschland.

"Wir mögen unterschiedlich sein in unserem Glauben. Aber einen muss uns die gemeinsame Haltung: Religion darf niemals Rechtfertigung von Hass und Gewalt sein", betonte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier zur Eröffnung. Die gemeinsame Botschaft von Lindau müsse lauten: "Kein Krieg darf geführt werden im Namen der Religion!" Es dürfe allen, denen Religion und Glaube wichtig sind, nicht gleichgültig sein, "wenn immer wieder viele Menschen zum Ausdruck bringen, dass Religion geradezu ein friedensverhinderndes, ja kriegsförderndes Phänomen sei". Glaube und Religion könnten aber auch missbraucht werden. Als Motivation für im Grunde außerreligiöse Intentionen und politische Ziele.

"Wenn Religionen sich von den Kräften der Homogenisierung und Abgrenzung in den Dienst nehmen lassen, werden sie zu Staats- oder Kulturideologien", warnte Kardinal Reinhard Marx, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Sie beschädigten sich damit selbst und ermöglichten Unfrieden. Religionen sollten bei aller Verschiedenheit die Einheit der Menschen in der Gesamtsicht beschwören; "wir alle haben einen Schöpfer". Von einem "Zeichen der Hoffnung in einer aufgewühlten Welt" sprach der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm. Die Teilnehmer stünden für die klare Aussage: "Gott hat jeden Menschen gleichwertig geschaffen - mit unantastbarer Würde."

Der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., mahnte mit Blick auf "drängende globale Herausforderungen wie den Schutz der Umwelt, die Förderung des Friedens und der Versöhnung, "dass nichts erreicht werden kann, wenn wir getrennt und unabhängig voneinander arbeiten". Er betonte: "Unsere Zukunft ist gemeinsam, und der Weg in diese Zukunft ist ein gemeinsamer Weg." Die Liebe zu Gott, die Liebe zum Menschen und die Sorge um den Frieden und die Schöpfung seien nicht voneinander zu trennen.

Dieser Blick fand in Lindau nicht nur Zustimmung. Mag auch Papst Franziskus den Schulterschluss der Weltanschauungen per Grußbotschaft gutgeheißen haben - einige Kritiker wussten es besser. So protestierte etwa ein Mann, es gebe nur einen wahren Glauben, Jesus missfalle multireligiöses Wirrsal. Ähnliches war in Internetforen zu lesen. Andere wiederum monierten eine unzureichende Präsenz deutscher Religionsvertreter. Misstöne gab es auch unter Konferenz-Teilnehmern selbst. Laut Deutscher Welle kam es hinter verschlossenen Türen beim Thema Kaschmir zum Gesprächsabbruch zwischen Hindus und Muslimen. Eine Bestätigung von RfP dafür gab es auf KNA-Anfrage nicht.

Dennoch einigte sich die Versammlung auf eine Abschlussdeklaration, in der sie unter anderem mehr Schutz für Arme, Flüchtlinge, Frauen, Jugend, Umwelt und religiöse Stätten forderten. Ebenso finden sich in dem Papier der Ruf nach allgemeiner Abrüstung und eine Selbstverpflichtung, "als vollwertiger Partner die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen zu unterstützen". Ferner will RfP "die unschätzbare Rolle von Frauen und Jugendlichen" immer wieder in den Vordergrund rücken. In Sachen Frauenförderung ging die Allianz selbst voran: Mit Azza Karam (51) wählte sie erstmals eine Frau zur Generalsekretärin. Die in Kairo geborene Niederländerin und Muslimin ist UN-Mitarbeiterin und Expertin für politischen Islam. Die Nachfolgerin des katholischen US-Theologen William F. Vendley (72), der 25 Jahre an der RfP-Spitze stand, rief dazu auf, Religionsfreiheit für alle zu verteidigen - und auch die Freiheit, nicht zu glauben.

Voraussichtlich im Herbst 2020 will RfP erneut im niederbayerischen Lindau tagen - mit seinem "World Council". In das 80 Mitglieder zählende höchste Beschlussgremium zwischen den Weltversammlungen wurde die frühere EKD-Ratsvorsitzende Margot Käßmann (61) als Vertreterin Deutschlands gewählt. - RfP mit Hauptsitz in New York/USA wurde 1970 gegründet und 1973 bei den UN akkreditiert. Oberstes Ziel der in rund 100 Ländern aktiven Nichtregierungsorganisation ist "die Förderung gemeinsamer Aktionen der Glaubensgemeinschaften weltweit zur Stärkung des Friedens". Die aktuelle Tagung, gefördert vom Auswärtigen Amt und dem Freistaat Bayern, stand unter dem Motto "Für unsere gemeinsame Zukunft sorgen - das Gemeinwohl für alle fördern".

Was bleibt an greifbaren Ergebnissen von der Konferenz in Lindau? Laut RfP haben etwa religiöse Oberhäupter aus Myanmar, der Demokratischen Republik Kongo, der Zentralafrikanischen Republik, Nigeria und dem Südsudan das Engagement für die Transformation gewalthaltiger Konflikte "in die Tat umgesetzt". Manchen Beobachtern klang derlei nicht konkret genug. Sie bemängelten das Treffen als Selbstbeweihräucherung und reines Gerede. Der Benediktiner P. Nikodemus Schnabel OSB (Dormitio-Abtei, Jerusalem), der das Referat "Religion und Außenpolitik" des Auswärtigen Amtes berät, sagte dem Bayerischen Rundfunk: "Was sollen die Alternativen sein? Nicht miteinander reden? Die Waffen sprechen lassen? Ich glaube, der Schlüssel zu jedem Frieden ist Dialog, ist miteinander zu reden." - Und miteinander zu paddeln, wie der Indianer-Häuptling Rankin noch mahnte. Denn: "Wir sitzen alle zusammen im selben Kanu." (KNA)