Fern jeden Friedens

Der Westen ist auf bestem Weg dazu, in Afghanistan sein zentrales Kriegsziel, die Schaffung eines stabilen Landes, zu verfehlen. Das hat nicht ausschließlich, aber auch mit eigenen strategischen Fehlern zu tun. Tobias Matern kommentiert.

Eine Afghanin beschreibt den mentalen Zustand ihrer Landsleute so: Wir machen uns seit mehr als drei Jahrzehnten immer wieder Hoffnung auf Frieden, manchmal dauert dieses Wunschdenken eine Woche lang an, manchmal einen Monat, manchmal ein Jahr.

Nun ist wieder einmal alle Hoffnung dahin. Es regiert die Angst. Afghanistan, im Herbst 2011, zehn Jahre nach dem westlichen Truppeneinmarsch: Die Aussicht auf eine stabile Zukunft erscheint den meisten Menschen in dem kriegsgeplagten Land inzwischen wie ein Trugbild. Egal, welche Perspektive man bemüht.

Burhanuddin Rabbani; Foto: dpa
Der verschiedener Kriegsverbrechen beschuldigte Rabbani war Chef des von Karsai eingesetzten Hohen Friedensrats. Dieser berät seit Oktober vergangenen Jahres über Möglichkeiten einer nationalen Versöhnung in Afghanistan - bislang ohne Erfolg.

​​Nach dem Mord an dem früheren Präsidenten Burhanuddin Rabbani ist eine Aussöhnung der verfeindeten Gruppen in weite Ferne gerückt. Das bisschen Vertrauen, das Rabbani in seiner Funktion als Chef des – von seinem Nachfolger Hamid Karsai eingesetzten – sogenannten Hohen Friedensrates aufgebaut hatte, erwies sich als brüchig.

Rabbani, der Exkämpfer der Mudschaheddin, der selbst eine alles andere als friedliche Vergangenheit hatte, bezahlte seine neue Aufgabe der Friedenssuche mit dem Leben.

Keine Gespräche mit Fundamentalisten

Die Weggefährten des Ex-Präsidenten, die sich in der Bewegung sammeln, die im Westen als Nordallianz bekannt ist, fühlen sich nach dem tödlichen Bombenanschlag in ihrer Skepsis bestärkt. Verhandlungen mit ihren Erzfeinden, den Taliban, waren ihnen nie geheuer, in Gesprächen mit den Fundamentalisten sahen sie keinen Sinn.

Karsai hatte Rabbani aber bewusst als einen aus den Reihen der Kritiker an die Spitze des Friedensrates gesetzt. Die Mudschaheddin nun zu überzeugen, weitere Avancen in Richtung Taliban zu versuchen, erscheint zum jetzigen Zeitpunkt fernab jeder Chance.

US-Verteidigungsminister Leon Panetta lässt diese innerafghanische Dynamik völlig außer Acht, wenn er darauf besteht, der Westen mache Fortschritte im Kampf gegen die Taliban und Rabbanis Tod stelle ein "Einzelereignis" dar. So schwer Vorhersagen in Afghanistan auch sind, aber die Möglichkeit, dass das Land wieder auf einen Bürgerkrieg zusteuert, ist gestiegen.

Wie schwierig ein innerer Friedensschluss in Afghanistan auch immer zu erreichen ist – die Rolle der Nachbarn bleibt eine zusätzliche Hypothek. Die US-Regierung hat bereits nach dem spektakulären Taliban-Anschlag auf das Botschaftsviertel in Kabul in der vergangenen Woche sämtliche Zurückhaltung abgelegt: Sie bezichtigte den Geheimdienst ihres offiziellen Verbündeten Pakistan, seine Finger im Spiel zu haben.

Ziel dabei sei, mit Hilfe vermeintlich steuerbarer Kämpfer die Nachkriegsordnung Afghanistans nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Verhandlungen über einen Frieden am Hindukusch müssen denn auch unter Einbeziehung der Drahtzieher in Islamabad auf den Weg gebracht werden – vor allem seit feststeht, dass die Taliban militärisch nicht zu besiegen sind. Und deren Rückzugsgebiete befinden sich nun einmal in Pakistan.

Irans Präsident Ahmadinedschad am 10. März 2010 zu Besuch bei Hamid Karsai in Kabul; Foto: AP
Perspektivisch ist eine langfristige Friedenslösung ohne die beiden regionalen Akteure Indien und Iran nicht möglich: "Afghanistan bleibt damit ein Land, in dem die Nachbarn ihre Stellvertreterkonflikte ausfechten", schreibt Matern.

​​Eine langfristige Friedenslösung für die Region lässt sich allerdings auch nicht ohne den pakistanischen Erzfeind Indien und nicht ohne Iran erzielen. Die amerikanische Regierung hat es bislang versäumt, einen solchen diplomatischen Kraftakt zu wagen. Afghanistan bleibt damit ein Land, in dem die Nachbarn ihre Stellvertreterkonflikte ausfechten.

Als die russische Armee sich Ende der achtziger Jahre vom Hindukusch zurückzog, ließ der Westen die Region im Stich. So sehr die Staatengemeinschaft nun auch betont, man wolle langfristig engagiert bleiben – den Menschen in Afghanistan fehlt der Glaube. Der Westen ist auf bestem Weg dazu, in Afghanistan sein zentrales Kriegsziel, die Schaffung eines stabilen Landes, zu verfehlen.

Das hat nicht ausschließlich, aber auch mit eigenen strategischen Fehlern zu tun.

Der unbedingte Wunsch etwa, Verhandlungen mit den Islamisten zu beginnen, kam aus einer Position der politischen Schwäche heraus zustande. Die Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, bis zum Jahr 2014 alle Kampftruppen vom Hindukusch abzuziehen, war mehr von den Verhältnissen in Washington als den Zuständen in Kabul motiviert.

Exit-Strategie für den kriegsmüden Westen

Obama wollte den kriegsmüden Amerikanern eine Exit-Strategie präsentieren. Seine Verbündeten sind dankbar auf diesen Zug aufgesprungen, schließlich ist nahezu in allen Ländern des Westens die Afghanistan-Müdigkeit groß.

Aber der Rückzugsplan offenbart ein zentrales Problem: Zum Zeitpunkt seiner Verkündung glich die Lage im Kampf zwischen den westlichen Truppen und den Taliban einem Patt. Die Isaf-Verbände schalten zwar inzwischen zahlreiche Taliban-Kommandeure aus, sie haben auch Regionen vom Einfluss der Islamisten befreit.

Aber die Aufständischen verlagerten sich auf eine asymmetrische Kriegsführung mit spektakulären Attacken auf symbolträchtige Einrichtungen und hochrangige Persönlichkeiten wie Rabbani. Die Taliban sehen sich definitiv nicht auf der Verliererstraße. Warum sollten sie auch über einen Frieden verhandeln, wenn sie nur noch abwarten müssen, bis die Schutzmacht der Regierung Karsai verschwindet?

Die Entwicklung am Hindukusch nimmt einen Verlauf, der wenig Anlass zu Optimismus bietet.

Tobias Matern

© Süddeutsche Zeitung 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de