In der Sackgasse

Armeechef Abdel Fattah al-Sisi; Foto: DPA
Armeechef Abdel Fattah al-Sisi; Foto: DPA

Ägyptens neues Regime versucht nicht einmal mehr, sich ein Deckmäntelchen einer Legitimation zu geben. Armeechef Sisi hat den Graben zwischen den Lagern nur vertieft. Von Rainer Hermann

Von Rainer Hermann

Diese Chuzpe muss man erst einmal haben. Erst töten die ägyptischen Sicherheitskräfte in einer Nacht mehr als 70 (überwiegend islamistische) Demonstranten, welche die Absetzung des demokratisch gewählten Präsidenten Mursi nicht tatenlos hinnehmen wollen. Mehrere Hundert wurden zudem durch Schüsse in die Brust und den Kopf teilweise schwer verletzt.

Dann kündigt der Innenminister der von den Militärs eingesetzten Regierung an, die Kundgebungen der Mursi-Anhänger – notfalls mit Gewalt – durch die Sicherheitskräfte, einst Mubaraks verlässlichste Mannen, aufzulösen, um eben dieser Gewalt auf Ägyptens Straßen endlich Einhalt zu gebieten.

Das neue Regime versucht nicht einmal mehr, sich ein Deckmäntelchen einer Legitimation zu geben. Da ist nur zu hoffen, dass in der ägyptischen Jugend der Furor der Revolution vom Januar 2011 neu entfacht wird, um im Jahre drei nach dem Sturz Mubaraks nicht tief in vergangen geglaubte Zeiten zurückzufallen.

Falsches politisches Kalkül

Anhänger Mursis in Kairo; Foto: Reuters/Mohamed Abd El Ghany
Riskantes Spiel der Militärs: "Entweder können Sisis Scharfschützen und Schlagstöcke nun die demonstrierenden Muslimbrüder niederknüppeln, oder Sisi selbst steht auf dem Spiel", schreibt Rainer Hermann.

​​Armeechef Sisi hatte sich verrechnet, als er glaubte, Mursi mit einer verlesenen Erklärung absetzen und dann rasch zu seiner Tagesordnung übergehen zu können. Zwei annähernd gleiche Lager stehen sich nun in Ägypten gegenüber, und Sisis ungeschicktes Taktieren hat den Graben zwischen ihnen nur vertieft.

Er wird im Ernst nicht daran glauben, dass sich das Land in der gegenwärtigen Konstellation beruhigen wird: Sisi kann Mursi nicht wieder einsetzen, und die Muslimbrüder halten an Mursi fest. Schließlich wurde er frei gewählt. Entweder können Sisis Scharfschützen und Schlagstöcke nun die demonstrierenden Muslimbrüder niederknüppeln, oder Sisi selbst steht auf dem Spiel.

Sollte sich in der Armee Widerstand gegen Sisi regen, könnte ein Nachfolger den Muslimbrüdern entgegenkommen und ihnen etwa ein Referendum über Mursi anbieten.

Langfristig könnte der Putsch vom 3. Juli das auslösen, was in der Türkei das Ultimatum der Armee vom 28. Februar 1997, ein wesentlich kleinerer Putsch, geleistet hat, mit dem die Armee den ersten islamistischen Ministerpräsidenten der Türkei, Erbakan, entmachtete.

Das leitete unter den Islamisten eine Läuterung ein und ebnete Erdogan den Aufstieg. Nach dem blutigen Wochenende marschiert Ägypten aber in die andere Richtung: Die Fronten sind verhärtet, und das Land steckt in einer Sackgasse, in die sie Sisi geführt hat.

Rainer Hermann

© Frankfurter Allgemeine Zeitung 2013

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de