89 Jahre Massaker von Simele: Die Bedrohung in Nahost bleibt

Beim Massaker im nordirakischen Simele am 7. August 1933 kamen tausende assyrische Christen um. Seit Jahren ist die Lage von Christen in der Region wieder katastrophal. Die Bundesregierung müsse mehr tun, um ihnen zu helfen, fordern Experten.



Frankfurt a.M.. Assyrische Christen gedenken am Sonntag des Massakers im nordirakischen Simele vor 89 Jahren. Bei dem Massaker am 7. August 1933 hatten irakische Truppen einen angeblich geplanten «Aufstand» assyrischer Christen brutal niedergeschlagen, wie die Wiener Stiftung «Pro Oriente» mitteilte. Dabei kamen 9.000 Menschen ums Leben. Seit Jahren würden Christen in Nahost wieder Opfer von Verfolgung, warnte die Göttinger Gesellschaft für bedrohte Völker.



Laut «Pro Oriente» bezeichnete das Oberhaupt der Assyrischen Kirche des Ostens, Patriarch Mar Awa III. Royel, das Massaker von Simele als tiefe bleibende Wunde für das assyrische Volk. Dieses leide darunter noch immer, sagte der gebürtige Amerikaner im nordirakischen Erbil. Er rief die assyrischen Christen zur Einheit auf und betonte, dass sie im Irak keine Gäste seien, sondern Einheimische.



Auch heute seien die Christen in Syrien und im Irak existenziell bedroht, sagte der Referent für ethnische und religiöse Minderheiten der Gesellschaft für bedrohte Völker in Göttingen, Kamal Sido, dem Evangelischen Pressedienst (epd). Dazu gehörten neben assyrischen auch chaldäische und aramäische Christen. Obwohl sie dort seit Jahrtausenden heimisch seien, litten sie seit Jahren unter der Verfolgung durch radikale Islamisten, etwa durch Kämpfer der Terrormiliz «Islamischer Staat».



«Religiöse Minderheiten leiden unter dem Zerfall staatlicher Strukturen in der Gegend», erläuterte der kurdisch-stämmige Nahost-Experte eine Parallele zwischen 1933 und heute. «1932 endete das britische Mandat über den Irak. Auch infolge des Einmarschs der US-Amerikaner in den Irak 2003 wurde die Region destabilisiert.» Seitdem sei die christliche Bevölkerung des Iraks durch Flucht oder Tod um 75 Prozent dezimiert worden.



Die Bundesregierung müsse ihre humanitären Hilfen in der Türkei, in Syrien und im Irak abhängig machen von einer klaren Positionierung gegen die Christenverfolgung, forderte Sido. «Das macht die Bundesregierung derzeit überhaupt nicht», kritisierte er. Auch von den deutschen Islamverbänden wünsche er sich mehr öffentliche Kritik an der Intoleranz gegenüber Christen in Nahost.



Das aus Mesopotamien stammende assyrische Volk nahm Anfang des 2. Jahrhunderts als eines der ersten Völker überhaupt das Christentum an. Die assyrische Kirche entwickelte im Mittelalter eine rege Missionstätigkeit. Im Mittelalter hatte sie zahlreiche Gläubige in Zentralasien und in China. Heute zählt die Kirche nach Angaben des Vatikans rund 400.000 Gläubige. Papst Franziskus war im März 2021 in den Irak gereist, neben der Stärkung des interreligiösen Dialogs bedeutete die Reise auch ein Zeichen der Solidarität mit den wenigen im Land verbliebenen Christen.



In Deutschland leben heute nach Schätzungen der Gesellschaft für bedrohte Völker 20.000 bis 30.000 Assyrer. Insgesamt leben bundesweit mehr als 100.000 Christen aus dem Irak, Syrien und der Türkei, die sich als Assyrer, Chaldäer oder Aramäer bezeichnen. Im Zuge der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Massaker von Simele prägte der polnisch-jüdische Jurist Ralph Lemkin (1900-1959) den Begriff «Völkermord» (Genozid). (epd)