Sprachrohr für geschiedene Frauen

Mit ihrem "Radio geschiedener Frauen" will die Ägypterin Mahasin Saber auf die gravierenden Missstände in der männerdominierten ägyptischen Gesellschaft und die Benachteiligung der Frau aufmerksam machen und hat damit Erfolg. Nelly Youssef hat die Radiomacher in Kairo besucht.

​​ "Herzlich Willkommen! Sie hören das "Radio geschiedener Frauen" aus Kairo...ein neues Leben mit der Stimme des Herzens...ein Raum zum Reden und Zuhören…" – mit diesen Worten ging Mahasin Saber Anfang dieses Jahres zum ersten Mal auf Sendung.

Ihr "Radio geschiedener Frauen" ("Motalakat-Radio") entstand als Ableger ihres Blogs "Ich will mich scheiden lassen", den sie nach ihrer eigenen Scheidung vor zwei Jahren einrichtete, um von ihrem langen Marsch durch die Instanzen bis hin zur Scheidung zu berichten.

Dort postete sie: "Wenn einer Ehe Sicherheit abgeht, wenn Geborgenheit lediglich ein unerreichbarer Traum bleibt, wird die Auflösung der ehelichen Gemeinschaft zur ersehnten Lösung."

Doch wie kam Mahasin Saber nach dem Erfolg ihres Blogs zu der Idee, ein eigenes Internet-Radioprojekt zu initiieren? "Ägypter hören mehr als sie lesen", meint Saber. Und tatsächlich erreicht ihr Sender nun mehr Menschen.

Ehrenamtlicher Einsatz gegen Vorurteile

Saber will Vorurteile abbauen, "indem sie geschiedenen Frauen eine Stimme verleiht, falsche Vorstellungen beseitigen und so Räume für die gesellschaftliche Achtung der Betroffenen schaffen." Sie versucht, mit dem herrschenden Klischeedenken über Geschiedene als "Schandfleck" aufzuräumen. Selbst wenn Scheidung ein persönliches Scheitern darstellt, so kann eine geschiedene Frau diese negative Erfahrung des Scheiterns doch hinter sich lassen und weiterhin eine positive Rolle in der Gesellschaft einnehmen.

​​ Außerdem will Mahasin Saber auch "die Behandlung psychischer Probleme geschiedener Frauen nach deren Trennung fördern und ihnen die Möglichkeit bieten, ihren Gefühlen in den Radiosendungen Luft zu machen."

Inzwischen wirken 23 Menschen bei dem Sender mit, und zwar nicht nur geschiedene, verheiratete und ledige Frauen, sondern auch Männer, denn auch sie gehören zur Zielgruppe des Senders.

Die 30jährige diplomierte Historikerin betont, dass die Mitarbeiter des Radioprojekts ihrer Tätigkeit aus reiner Überzeugung und unentgeltlich nachgehen, denn es mangelt an finanziellen Mitteln. Auch ein festes Büro oder ein Studio gibt es nicht. So nimmt jeder Radiomacher und jede Radiomacherin die entsprechende Sendung bei sich zu Hause auf, schneidet sie dort und lädt sie anschließend zur täglichen Sendezeit auf die Homepage des Radios. Der Austausch mit dem Publikum erfolgt via Email und Facebook.

Ein Affront für konservative Ägypter

Trotz der bislang so bescheidenen finanziellen Verhältnisse des "Motalakat-Radios" und seiner erst dreimonatigen Existenz, findet es großen Zuspruch – nicht zuletzt aufgrund des anhaltenden Interesses der Medien.

Der Sender erreicht ein großes Hörerpublikum von Männern und Frauen, denn in fast jeder ägyptischen Familie gibt es mittlerweile eine geschiedene Frau. Angesichts der Tatsache, dass derzeit die Scheidungsraten in Ägypten Rekordhöhen erreichen, verwundert dies wenig: Offiziellen Angaben zufolge lässt sich im Land am Nil alle sechs Minuten eine Scheidung verzeichnen.

Der Grund hierfür ist oft in vorschnellen Eheschließungen zu suchen, zu denen es mitunter infolge familiären Drucks oder aus Angst vor Degradierungen als so genannte "alte Jungfer" kommt.

In einer von konservativen Kreisen dominierten Gesellschaft muss ein solch provokant-mutiger Sender wie das "Motalakat-Radio" anecken. Manche Männer halten ihn gar für einen offenen Aufruf an die Frauen, sich scheiden zu lassen und gegen die Männer zu revoltieren. Derartige Frauenbewegungen säen aus ihrer Sicht eine "Kultur der Familienzerrüttung".

Auf der anderen Seite stehen die Befürworter des Senders – insbesondere solche Frauen, die in dem Sender eine Chance sehen, ihre eigene tragische Erfahrung in konstruktive Bahnen lenken zu können, um so ein öffentliches Bewusstsein zu schaffen und die psychologischen und sozialen Barrieren zu überwinden, mit denen geschiedene Frauen zu kämpfen haben.

Mahasin Saber; Foto: &copy Mutalakat Radio
Überwiegend positive Resonanz auf Mahasin Sabers "Motalakat-Radio": Für die Zukunft plant die 30jährige, das Internetradio weiter auszubauen und auch einen eigenen Fernsehsender einzurichten.

​​ Saber betont, sie stehe jeglicher Art von Kritik aufgeschlossen gegenüber. Ihre Aufgabe sei nun mal schwierig, denn sie wolle "etwas verändern, und das geht nicht über Nacht", sagt die 30jährige.

Die heftigen Angriffe gegen sich erklärt sie folgendermaßen: "Wir monieren jene Tradition, jene Sitten und Gebräuche, die einem in Ägypten von jung auf eingeimpft werden. Eine geschiedene Frau gilt hier per se als schlecht und sollte daher folgerichtig auch nichts zu sagen haben – und erst recht nicht, einen eigenen Sender aufzumachen!"

Breites Beratungs- und Informationsspektrum

Erste Anzeichen einer gesellschaftlichen Veränderung sieht sie daran, dass auch Männer auf die Sendungen des Radios reagieren. "Manche glauben, wir lassen ausschließlich Frauen zu Wort kommen, die ihr Schicksal beklagen oder sich gegen die Männerwelt auflehnen", so Saber.

So gibt es beispielsweise im Programm die Sendung "Vor dem Ja zur Scheidung", die sich an verheiratete Frauen richtet und diese vor den gleichen Fehlern zu bewahren sucht, die Geschiedene bereits gemacht haben. Oder auch "Oh, wir Missverstandenen!", das Belastungen und Belästigungen, mit denen sich geschiedene Frauen im Alltag konfrontiert sehen, den ständigen Rechtfertigungsdruck, thematisiert.

Darüber hinaus erfahren geschiedene Frauen in "Wie erziehe ich meine Kinder?" und "Geschichten unter dem Bett" von Fachleuten aus dem psycho-sozialen Bereich einiges darüber, wie sich Kindererziehung optimal gestalten lässt und wie die Kleinen am besten mit der Scheidung der Eltern zurechtkommen können.

Psychische Probleme infolge der Scheidung und Ansätze, wie sich diese negativen Erfahrungswerte konstruktiv umwandeln lässt, werden in den Sendungen ebenfalls thematisiert. Angebote für Jugendliche wie "Mädchenherzen" und "Facebu'", in der ein junger Medizinstudent die jüngsten Auswüchse von Facebook aufs Korn nimmt, runden das Bild des Senders ab.

Laut Saber kommt es in Ägypten vor allem deshalb häufig zu Scheidungen, weil Männer Gewalt gegen Frauen anwenden oder sie verlassen. Die meisten der Frauen, mit denen sie persönlich vor Gericht oder im Zusammenhang mit dem Sender zu tun gehabt habe, seien körperlich misshandelt worden oder seien vom Mann verlassen worden.

Nelly Youssef

© Qantara.de 2010

Aus dem Arabischen von Nicola Abbas

Qantara.de

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