Nikolaus auf Türkisch

Auch in der Türkei zieren mittlerweile rotweiß verkleidete Weihnachtsmänner die Einkaufspassagen. Der Noel Baba, so der türkische Name des Nikolaus, soll der Legende nach in der Nähe von Antalya geboren worden sein. Einzelheiten von Dilek Zaptçıoğlu

Auch in der Türkei zieren mittlerweile rotweiß verkleidete Weihnachtsmänner die Einkaufspassagen. Der Noel Baba, so der türkische Name des Nikolaus, soll der Legende nach in der Nähe von Antalya geboren worden sein. Einzelheiten von Dilek Zaptçıoğlu

Noel-Baba-Skulptur in Demre/Myra; Foto: Wikipedia
Seit einigen Jahren feiern auch Türken Weihnachten: Der Heilige Nikolaus stammt ursprünglich aus Myra in der Südtürkei.

​​ "Liebe Kinder", sagt ein türkischer Verlag auf seiner Webseite, "wusstet Ihr schon, dass der Nikolaus vor langen, langen Jahren wirklich gelebt hat, und zwar in unserem Land, der Türkei?" Diverse Bilderbücher erzählen von der Herkunft des Noel Baba, wie er im Türkischen heißt. Er wird jedes Jahr immer liebevoller eingebürgert und darüber freuen sich natürlich am meisten die krisengeplagten Ladenbesitzer und die daheim auf Geschenke hoffenden Kinder. Rotweiß verkleidete Weihnachtsmänner zieren diese Tage auch die Einkaufsmeilen der türkischen Großstädte – und zwar bis Silvester. Denn bekanntlich haben Muslime keine Weihnachten. Bescherung gibt es am Abend des 31. Dezember. Ob man als Muslim überhaupt Silvester feiern darf und sollte, ist eine andere – parallel zur Einbürgerung des Noel Baba – immer heftiger diskutierte Frage. Wenn es nach den ganz Frommen und politischen Islamisten geht, dürfen Muslime am 31. Dezember kein Neujahr feiern, denn sie haben einen anderen Kalender, wonach das Jahr mit dem Auszug des Propheten Mohammed aus Mekka und seiner Übersiedlung nach Medina beginnt, nämlich nach der christlich-modernen Zeitrechnung am 16. Juli 622. Demnach schreiben wir jetzt das muslimische Jahr 1430 und der Silvesterabend ist eigentlich ein ganz banaler Tag, der 3. Tag im Muharrem, dem ersten Monat im islamischen Kalender. Der Nikolaus kommt aus Antalya Das sehen viele anders. Wer will schon auf das Feiern und auf Geschenke freiwillig verzichten? Auch in Istanbul und anderen türkischen Städten werden die Tage im Winter immer kürzer, und der Himmel sieht zuweilen nicht anders aus als in Hamburg oder Berlin.

Bild der Schnee bedeckten Büyük Mecidiye-Moschee in Istanbul-Ortaköy; Foto: AP
Istanbul im Winter. Die türkischen Großstädte werden zur Winterzeit "silvesterlich" geschmückt.

​​ Da man keine Kerzenkultur besitzt, die im Westen ja ihren Ursprung in der Kirche hat, assoziiert man Kerzenschein und Öllampen eher mit Stromausfall und nicht mit kuscheliger Winterbehaglichkeit. Baklava ist nicht Schokolade und türkischer Honig hat wenig mit gefüllten Pralinen zu tun. Die vielzitierte Globalisierung reißt jedoch nach und nach die Grenzen zwischen den hart umkämpften Kulturen nieder. In der dunklen, unwirtlichen Jahreszeit setzen sich auch in der Türkei Kerzen, Weihnachtsschmuck, Lichterketten und der liebe, bärtige Onkel unumkehrbar durch, der aus seiner großen Tasche, die man erst für einen dicken Bauch gehalten hatte, jede Menge Geschenke herausholt. Die Großstädte sind "silvesterlich" dekoriert und außerdem kommt der Weihnachtsmann aus Antalya. Verschiedene Gerüchte und Sagen umweben ihn und machen ihn zu einem der unzähligen anatolischen Weisen und Heiligen. Nach der beinah offiziellen Version wurde er in Antalya, in der Nähe des 15 Kilometer langen Strandes von Patara geboren, und zwar um 300 n.Chr. Nikolaus als Heiltäter Seine Geburt wurde durch verschiedene Zeichen angekündigt. Er war der Sohn eines wohlhabenden Weizenhändlers und wurde Nikolaus getauft. Schon als Jugendlicher soll er Wunder erbracht haben: So soll er zum Beispiel seine Mutter aus den Ruinen einer Kirche gerettet haben, die noch im Bau war und plötzlich auf die Frau herunterstürzte. Als sein Vater starb, wurde Nikolaus zum einzigen Erben eines großen Reichtums und beschloss, diesen für die Armen und Bedürftigen auszugeben.

Ikonen des Heiligen Nikolaus in Anatolien; Foto: picture-alliance/Godong
Diese Ikonen des Heiligen Nikolaus von Myra finden sich in Anatolien. Nikolaus ist Schutzpatron der Seefahrer, Händler und Kinder.

​​ In der Hafenstadt Patara lebte ein Mann, der plötzlich verarmte und seine Töchter nicht verheiraten konnte, weil er ihre Aussteuer nicht aufzubringen vermochte. Er dachte sogar daran, die Mädchen dem Meistbietenden zu verkaufen. Das konnte Nikolaus nicht zulassen. Um die Ehre des Mannes zu retten – eigentlich konnte er nicht allzu ehrenvoll sein, wenn er seine Töchter verkaufen wollte – stieg Nikolaus eines Nachts auf dessen Dach und warf einen Beutel Goldmünzen in das Zimmer der ältesten Tochter. Dem folgten zwei weitere Beutel, je für die beiden anderen Mädchen. So waren sie also gerettet. Das ist übrigens der Grund, warum der heilige Nikolaus auf griechisch-orthodoxen Bildern immer mit drei Goldbällen gezeichnet wird. Heilige sind immer auf Wanderung Nach einer anderen Erzählung pilgerte der Heilige nach Jerusalem. Auf der Rückreise brach ein fürchterlicher Sturm los und schüttelte das Schiff durch. Mit seinem Gebet rettete er das Schiff vor dem Versinken und ließ sogar einen ertrunkenen Matrosen wiederauferstehen. Nach diesem Tag wurde Nikolaus zudem zum Schutzpatron der Seefahrer in der Ägäis.

Felsengräber in Myra; Foto: wikipedia.de
Der Heilige Nikolaus soll in Myra, dem heutigen Demre, geboren worden sein. Die lykischen Felsengräber gehören zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt.

​​ Heilige sind immer auf Wanderung. So auch Nikolaus. Er zog nach einer Zeit von seinem Geburtsort Patara in die benachbarte Stadt Myra, heute Demre. Der Bischof von Myra war just verstorben und man konnte sich nicht über dessen Nachfolger einigen; also beschloss man, den Ersten, der am darauffolgenden Morgen die Hauptkirche betritt, zum neuen Bischof zu küren: Es war der Heilige Nikolaus. Und auch hier vollbrachte er Wunder und half den Bedürftigen. So befahl er zum Beispiel den weizenbeladenen Schiffen, dass sie einen Teil ihrer Ladung an die Armen verteilten, bevor sie ablegten. Auf hoher See sahen dann die Kapitäne, dass ihre Laderäume wieder voll waren – der Heilige hatten ihnen ihre gute Tat vergolten. Sogar an dem Konzil von Nicäa, heute Iznik, wo 325 n.Chr. hitzig über innerchristliche, theologische Fragen wie die menschliche oder göttliche Natur Christi debattiert wurde, soll Nikolaus als Bischof von Myra teilgenommen haben. Der Heilige soll am 6. Dezember 343 mit 65 Jahren verstorben sein. Die Bewohner von Myra sollen ihn in einem Schrein in der Kirche bestattet haben. Doch die sterblichen Überreste, so die Sage, sollen am 20. April 1087 durch die Kreuzfahrer gestohlen und nach Bari gebracht worden sein. Gebeine befinden sich auch heute im Stadtmuseum von Antalya, dem Antalya Müzesi.

Eine Statue zeigt den heiligen Nikolaus auf einer Weltkugel in Myra, im Süden der Türkei; Foto: picture-alliance/Godong
Eine Statue des Heiligen Nikolaus in Myra. Längst wird die Figur des Nikolaus zur Weihnachtszeit vermarktet, um den Konsum anzukurbeln.

​​ Der "Noel Baba aus Demre" wurde in den vergangenen Jahren nicht nur von den Firmen ausgeschlachtet, sondern auch durch das Ministerium für Kultur und Tourismus entdeckt. Zuerst stellte im Jahre 2000 der russische Künstler Gregory Potosky eine Figur aus Bronze fertig, die an einem zentralen Ort aufgestellt werden sollte, aber dem Bürgermeister missfiel und deshalb heute den Eingang des Noel-Baba-Museums ziert, das in Demre vor zwei Jahren eröffnet wurde. Dann errichtete man in Demre auf dem zentralen Platz eine Noel-Baba-Figur aus Plastik. Der Kultur- und Tourismusminister Ertugrul Günay fand jedoch diesmal an dieser keinen Gefallen. Der Grund: Der Noel Baba war in seine gewohnten rotweißen, verschneiten Kleider gehüllt und sah aus wie aus der Fußgängerzone. Der Weihnachtsmann auf einem Floß Der Bildhauer Necdet Can erklärt dazu: "Wir haben überlegt und den Noel Baba realitätsgetreu in seine Zeit eingebettet. Demre ist ein warmer Ort und er war ein Mensch wie alle." Doch ein bärtiger Weihnachtsmann auf einem Schlitten, der von Hirschen gezogen wird, sah mitten im heißen Urlaubsort tatsächlich etwas komisch aus. Es wurde flugs ein neuer Noel Baba in Auftrag gegeben. Jetzt steht der türkische Weihnachtsmann auf einem Floß und zwar in einer stattlichen Größe von 3 Metern und 45 Zentimetern. Rundherum sind Wellen aus Bronze. Je ein Seepferd links und rechts ziehen das Floß und vorne ist ein kleines lykisches Segelschiff als Wahrzeichen Demres zu sehen. Auf der linken Schulter des Noel Baba sitzt ein kleiner Junge, rechts auf dem Floß steht ein Mädchen. Beide Kinder halten Geschenkpakete in der Hand. Wer Silvester seinen Kindern eine besondere Freude machen will, kauft sich in diesen Tagen eine Weihnachtsmannkluft für umgerechnet 25 Euro im Kaufhaus oder bestellt gleich einen telefonisch ins Haus. Ob "Papa Noel" auf einem Schlitten kommt oder auf einem Floß herbeisegelt, ist den Kindern egal. Hauptsache, er hat das neueste Computerspiel mitgebracht. Dilek Zaptçıoğlu © Qantara 2008 Dilek Zaptçıoğlu (48) studierte Geschichte und Politik in Istanbul und Göttingen. Sie arbeitet als Journalistin und Schriftstellerin in Istanbul. Zuletzt erschien bei Brandes & Apsel ihr Essayband "Türken und Deutsche" (2007).

Qantara.de Zuckerfest Ob Nikolaus oder Noel Baba – Kinder feiern interreligiös Während Politiker und Experten mahnend zum Dialog mit dem Islam rufen, sind ihnen Kinder aus muslimisch und christlich geprägten Familien schon voraus. Denn sie feiern schon lange ihre Feste miteinander. Jesus im Islam Rasul Allah – der Gesandte Gottes Zwischen Islam und Christentum gibt es zahlreiche Unterschiede. Aber es gibt auch Gemeinsamkeiten. So kommt Jesus im Islam eine bedeutende Rolle zu. Aiman Mazyek über den islamischen Propheten, der im Koran Isa heißt. Buchtipp Mehdi Bazargan Und Jesus ist sein Prophet Mehdi Bazargan, erster Premierminister der provisorischen Regierung der Islamischen Republik und Führer der iranischen Freiheitsbewegung, hat in seinem Buch die Aussagen des Korans über das Christentum zusammengestellt, um die Verständigung zwischen Muslimen und Christen zu fördern. Von Tagrid Yousef