Ein traditionsbewusster Modernisierer

Die Nähe zu Ägyptens Literaturnobelpreisträger Nagib Machfus prägte das literarische Schaffen des Schriftstellers Gamal al-Ghitani, der auch als Journalist und Verleger der Literaturzeitschrift "Akhbar al-Adab" tätig war. Der große Literaturvermittler starb am 18. Oktober im Alter von 70 Jahren in Kairo. Ein Nachruf von Suleman Taufiq

Von Suleman Taufiq

Gamal al-Ghitani wurde am 9. Mai 1945 in einer armen Familie in Oberägypten geboren und wuchs in der Altstadt von Kairo auf. Schon früh faszinierte ihn die Welt der Literatur. "Ich bin als Schriftsteller auf die Welt gekommen. Niemand hat mir das beigebracht", meinte er einmal.

Schon als Kind erfand er Geschichten und erzählte sie seiner Mutter, während sie die Hausarbeit erledigte. Seine erste Kurzgeschichte veröffentlichte er im Alter von 14 Jahren.

Al-Ghitani machte eine Ausbildung zum Designer für Orientteppiche an der Hochschule für Kunst und Kunsthandwerk und arbeitete bis 1968 in diesem Beruf. Ab 1968 wechselte er seinen Beruf und wurde Journalist. Er arbeitete zunächst in der Nachrichtenredaktion von "Akhbar al-Yawm", einer führenden ägyptischen Tageszeitung, zeitweilig auch als Militärkorrespondent in der Suez-Zone. 1993 gründete er schließlich die einflussreiche literarische Wochenzeitung "Akhbar al-Adab" und leitete sie als Chefredakteur.

Seine Karriere als Schriftsteller begann 1969 mit dem Erscheinen seines Erzählbands  "Blätter eines jungen Mannes, der tausend Jahre lebte". Das Buch sorgte für einige Aufmerksamkeit, machte ihn jedoch noch nicht zu einem bekannten Autor.

Inzwischen gehört Ghitani aber zu den produktivsten und erfolgreichsten Schriftstellern seiner Generation. Es entstanden zahlreiche Bücher, Erzählungen und Romane, ebenso wie Reisebücher und historische Romane, Bücher über die Architektur des alten Kairo sowie einige Biographien.

Nähe zum Übervater

Schon früh entwickelte sich eine enge Beziehung zum ägyptischen Literatur-Nobelpreisträger Nagib Machfus, und er durfte - wie nur sehr wenige – oft in seiner Nähe sein.

Gamal al-Ghitani lernte Machfus in dem Café kennen, in dem sich Machfus regelmäßig im Kreis von Autoren traf. Viele ägyptische Schriftsteller waren dort bei ihm in die Lehre gegangen. Auch Gamal al-Ghitani genoss die Aufmerksamkeit des Meisters zu Beginn seiner Karriere als Schriftsteller.

Der ägyptische Literatur-Nobelpreisträger Nagib Machfus, Foto: dpa
Literarisches Vorbild Nagib Machfus: Schon früh entwickelte sich eine enge Beziehung Gamal al-Ghitanis zum ägyptischen Literatur-Nobelpreisträger, und er durfte - wie nur sehr wenige – oft in seiner Nähe sein. Ghitani genoss die Aufmerksamkeit des Meisters zu Beginn seiner Karriere als Schriftsteller.

Der literarische Einfluss von Machfus auf das Schreiben von Ghitani ist deutlich spürbar. Beide Schriftsteller wurden durch Kairo inspiriert. Vor allem das alte Kairo hatte ihn zum Schreiben angeregt und ihm viele Geschichten geliefert. Er beschreibt in seinen Werken die vielfältigen Begegnungen mit Menschen, ihr Leben und seine Faszination für die Geschichte der Stadt und ihrer Bewohner.

Ghitani gehörte zu einer Generation von Schriftstellern, die sich nach der militärischen Niederlage Ägyptens im Sechs-Tage-Krieg im Jahr 1967 formiert hatte. Sie waren auf der Suche nach einer neuen literarischen Form und einer neuen, ihr angemessenen Sprache. Unzufrieden mit der von der Tradition beherrschten Literatur entwickelten sie ihren eigenen kreativen Stil. So griffen sie immer häufiger Themen auf, die zur Weltliteratur gehörten und deutlich die Auseinandersetzung des Individuums mit den existenziellen Fragen des Lebens in der Gesellschaft markierten.

Wiederentdeckte Tradition

Gamal al-Ghitanis Stil bleibt zwar der Tradition verhaftet, befreit sich aber weitgehend von westlichen Vorbildern, die andere Autoren zu kopieren versuchten. Oft orientierte er sich in seinen Texten an mittelalterlichen arabischen Vorlagen. Auf diese Weise versuchte er, eine besondere arabisch-ägyptische Erzähltradition in der modernen Literatur seines Landes wieder zu etablieren.

In seinen Romanen sparte er auch nicht mit politischen Untertönen. Ghitani ging es vor allem um die konkrete Darstellung der unterschiedlichen Mechanismen von Machtkonzentration, Kontrolle und Unterdrückung, die zur Etablierung und Stärkung totalitärer, diktatorischer Regimes führen. Seine Werke reflektieren die ständige Suche nach der Stellung des Menschen in der heutigen ägyptischen Gesellschaft.

Ghitanis Faszination für mittelalterliche arabische Literatur, vor allem für das Werk des ägyptischen Historikers Ibn Iyas, finden wir in seinem großen historischen Roman "Zaini Barakat" wieder. Das Buch, das auch auf Deutsch vorliegt, gilt als das bekannteste Werk von ihm. Der Roman ist eine Allegorie auf Nassers Regierungszeit und handelt von den Machenschaften der Geheimdienste. Er spielt jedoch im 16. Jahrhundert.

Gamal al-Ghitani; Foto: DW
Bei Ägyptens Intellektuellen in der Kritik: Politisch hatte al-Ghitani 2013 den Sturz von Präsident Mohammed Mursi, der als Kandidat der Muslimbruderschaft ins Amt gekommen war, durch das Militär unterstützt.

Beißende Kritik an der ägyptischen Gesellschaft

Es ist die Zeit, in der die Mamelucken von den Osmanen als Herrscher in Ägypten abgelöst wurden. Hauptfiguren sind zwei miteinander konkurrierende Geheimdienstchefs sowie zwei Studenten der islamischen Universität Al-Azhar. Der Autor stellt Korruption, Intrigen und Machtmissbrauch in Form eines Mittelalterromans dar, aber es ist natürlich eine beißende Kritik an der ägyptischen Gesellschaft – eine Kritik, die sich mühelos auf die gesamte arabische Welt übertragen lässt.

In seinen Romanen bilden zahlreiche einzelne Sequenzen und Geschichten ein großes Panorama des Lebens in Ägypten. Al-Ghitani überrascht den Leser mit Allegorien und Vieldeutigkeiten. Man spürt seinen schwarzen Humor und die bittere Ironie, die ihn bei der Beschreibung der Gesellschaft antreibt.In einer Gesellschaft wie der ägyptischen, in der keine Demokratie herrscht und wo die Freiheit versteckt, verstümmelt und unterdrückt wird, übernimmt die Literatur die Aufgabe, die Wahrheit zu offenbaren. Al-Ghitani hatte diese Unterdrückung am eigenen Leib erfahren: 1969, in der Nasser-Ära, kam er aus politischen Gründen für ein Jahr ins Gefängnis.

Schon sehr früh warnte Al-Ghitani vor dem Erstarken politisch-religiöser Kräfte in seinem Land. In seinem Roman "Der safranische Fluch oder wie Impotenz die Welt verbessert" schreibt er über die Menschen in der fiktiven "Safran-Allee". Der Alltag und seine Dramen, die sich in der Nachbarschaft vor seinen Augen abspielten, werden darin anschaulich dargestellt. Darüber hinaus stellt der Roman eine bissige Parodie auf den islamischen Fundamentalismus dar, der bereits in den 70er Jahren für Schlagzeilen sorgte. Das Buch lässt sich also auch als eine Momentaufnahme der heutigen ägyptischen Gesellschaft lesen.

Gamal al-Ghitani hatte zuletzt eine klare Position gegenüber der der Herrschaft der Muslimbruderschaft in Ägypten bezogen. Er hatte den Islamisten vorgeworfen, einen religiösen Staat errichten zu wollen. Dies hatte ihn dazu veranlasst, das Eingreifen der Armee zu begrüßen. Für ihn – wie für viele säkulare Intellektuelle in Ägypten – stellte das Militär das kleinere Übel zur Herrschaft Mursis dar. Ghitani unterstützte General Al-Sisi und sah in ihm gar einen "Retter Ägyptens". Diese Haltung brachte ihm viel Kritik von Seiten der Demokratieaktivisten ein, insbesondre in den sozialen Netzwerken.

Suleman Taufiq

© Qantara.de 2015