Zeugnis einer gescheiterten Revolution

Alaa al-Aswanis neuer Roman "Die Republik der Träumer" ist das erste umfassende literarische Zeugnis der ägyptischen Revolution von 2011 und das tragische Schicksal ihrer jungen Protagonisten, die der teuflischen Koalition aus Muslimbrüdern und Armee zum Opfer fielen. Eine Rezension des libanesischen Schriftstellers Elias Khoury

Von Elias Khoury

Aus zwei Gründen hätte ich nie gedacht, dass ich eines Tages einen Schriftsteller und sein Buch als mutig bezeichnen würde: Erstens bin ich niemand der gerne Adjektive benutzt, denn die Eigenschaften des Beschriebenen sollten auch ohne sie im Text deutlich werden. Daher verkommen Adjektive oft zu überflüssigen Ausschmückungen, die literarischen Mängel übertünchen sollen.

Zweitens muss Literatur über die Zuweisung von Eigenschaften hinausgehen, sonst verdient sie ihren Namen nicht. Ein Romanautor muss über das schreiben, was in ihm arbeitet. Das muss er mit Aufrichtigkeit tun, der Wahrheit verpflichtet. Aufrichtigkeit aber hat nichts mit Mut oder Feigheit zu tun: Entweder ist man als Autor eine Stimme des Gewissens, oder man lässt das Schreiben besser sein. Wer mit Angst schreibt, erweist der Literatur einen Bärendienst.

Obwohl ich also Adjektive nur sehr ungern verwende, komme ich nicht umhin, Alaa al-Aswanis neuen Roman als mutig zu bezeichnen. "Die Republik der Träumer" ist kürzlich im Verlag "Dar al-Adab" in Beirut erschienen und nicht nur in Ägypten, sondern auch in mehreren anderen arabischen Unrechtsstaaten der Zensur zum Opfer gefallen.

Der ägyptische Autor Alaa al-Aswani während einer Buchvorstellung in Kairo.
علاء الأسواني: رواية «جمهورية كأن» تتناول الإنسان أينما كان، لذلك تتناول الرواية عددا من الشخصيات التي أثرت فيها «ثورة يناير» بالسلب أو الإيجاب، وبما أن «الحديث يدور عن يناير، كان من الضروري التعرض لجانب توثيقي من الثورة المصرية، ورفض ما جرى خلالها من مذابح وتجاوزات وربما كان ذلك هو السبب الذي جعل دور النشر داخل مصر تخاف من نشر الرواية، وهو أمر أتفهمه جيداً».

Es sind nicht Erzählweise oder Stil die das Prädikat mutig rechtfertigen. In dieser Hinsicht führt Al-Aswani das fort, was er bereits mit "Der Jakubijân Bau" und seinen Folgewerken begonnen hat.

Er kombiniert einen feinen Sinn für die gesellschaftliche Analyse mit seinem Detailwissen über das alltägliche Leben in Ägypten. Er bietet den Leserinnen und Lesern damit eine Mischung aus melodramatischen Elementen, Sehnsüchten und einem dramaturgischen Aufbau im Stil von Fernsehserien, was tatsächlich das Zeug dazu hat, zu einem arabischen Bestseller zu werden, wie es sie seit den Romanen von Ihsan Abdel Quddus nicht mehr gegeben hat.

Verzicht auf elitären Dünkel

Al-Aswanis literarisches Schaffen ist jedoch vielschichtiger als der von Abdel Quddus gepflegte Stil. Es ist ihm gelungen, die klassische, von Nagib Mahfuz perfektionierte Erzählweise auf eine Art zu adaptieren, die sie einer breiten Leserschaft zugänglich macht. Das arabischsprachige Publikum dürfte sich bei der Lektüre von "Der Jakubijân Bau" in eine Neufassung von Mahfuz' "Miramar" versetzt fühlen, in der Al-Aswani den jungen Kommunisten durch einen islamistischen Extremisten ersetzt hat.

Der geschickte Einsatz seines literarischen Könnens macht Al-Aswani zum einzigen arabischen Autor, der beständig in den Bestsellerlisten auftaucht. Andere Schriftsteller und Schriftstellerinnen wie Youssef Ziedan, Ahlam Mosteghanemi und Khaled al-Khamissi sind an dieser Aufgabe gescheitert.

Proteste gegen den früheren ägyptischen Präsidenten Hosnis Mubarak auf de Tahrir-Platz in Kairo; Foto: dpa
Ägyptens Demokratie-Bewegung zerrieben zwischen Muslimbrüdern und Militärs: Indem Alaa al-Aswani die Geschichte der Revolution und ihrer jungen Protagonisten erzählt und schildert, wie Armee und Muslimbrüder den Traum vom Wandel für ihre Interessen instrumentalisieren, erinnert uns Al-Aswani an den Schmerz, der sich tief in das ägyptische Kollektivgedächtnis gebrannt hat.

Der Erfolg Al-Aswanis ist ein positives Signal für die arabischsprachige Literaturlandschaft. Der gelernte Zahnarzt hat gezeigt, dass er das Handwerk der Schriftstellerei perfekt beherrscht. Er versteht sich darauf, die Geschichten seiner Charaktere, die immer nah an den Lebensrealitäten der ägyptischen Gesellschaft geschrieben sind, mit Hilfe vielschichtiger miteinander verwobener Erzählstränge zu entfalten.

Er trifft so den Geschmack eines breiten Publikums mit einer Mischung aus Realismus und Melodramatik. Obwohl er dabei nicht mit den vorherrschenden kulturellen Vorstellungen bricht, zeigt er so doch andere Facetten der krisengeschüttelten ägyptischen Gesellschaft, die angesichts von Armut und Elend, dem repressiven Sicherheitsstaat und dem Verlust des moralisch-ideologischen Kompasses immer mehr die Hoffnung verliert.

Inmitten einer Geschichte über die Revolution

Zu Beginn des Romans trifft der Leser auf Ashraf und seine Wohnung am Tahrir-Platz. Seine persönliche Krise, seine zerfallende Ehe und das Gefühl der Freiheit, das er durch die Revolution und seine Liebe zur Hausangestellten Ikram gewonnen hat, setzt Al-Aswani ganz in der Tradition seines bisherigen Schaffens geschickt ein, um seine Leserinnen und Leser in die Geschichte zu verwickeln.

Das jedenfalls ist der erste Eindruck, denn Ashraf gewinnt die Sympathie des Lesers. Dann allerdings merkt man plötzlich, dass der Roman den Leser stattdessen inmitten einer Geschichte über die Revolution des 25. Januar mitsamt all ihrer Irrungen und Wirrungen katapultiert hat.

 

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Man kann kritisieren, dass der Roman zu sehr durch die Inszenierung der Verschwörung dominiert wird, in deren Zentrum der Chef der Sicherheitsdienste Ahmad Elwani steht. Denn Al-Aswani lässt den militärischen Geheimdienst sofort mit Beginn der Revolution eine Verschwörung spinnen, die der "Die Republik als ob" einen Touch von Spionage-Thriller verleiht und zuweilen verhindert, dass andere Handlungsstränge voll zur Entfaltung kommen.

Eingekerkert, gefoltert und getötet

Natürlich ist es Al-Aswanis gutes Recht, die Handlung um das Verschwörungsszenario aufzubauen. Das eigentliche Vermächtnis des Romans liegt aber darin, dass er das erste und bisher einzige umfassende literarische Zeugnis der Revolution und des tragischen Schicksals ihrer jungen Protagonisten ist, die eingekerkert, gefoltert und getötet wurden. "Die Republik als ob" dokumentiert die Geschichte derer, die dem teuflischen Pakt zwischen den Muslimbrüdern und der Armee zum Opfer fielen, bevor die Allianz zerbrach und im Putsch gegen die Regierung Mursis und dem Massaker auf dem Rabaa al-Adawiya-Platz in Kairo endete.

Diese bisher einmalige literarische Aufarbeitung der Ereignisse ist die wahre Stärke des Buches und begründet sein dokumentarisches Potenzial. Indem er die Geschichte der Revolution und ihrer jungen Protagonisten erzählt und schildert, wie Armee und Muslimbrüder den Traum vom Wandel für ihre Interessen instrumentalisieren, erinnert uns Al-Aswani an den Schmerz, der sich tief in das ägyptische Kollektivgedächtnis gebrannt hat.

Arab. Buchcover "Die Republik als ob" von Alaa al-Aswani im Verlag "Dar al-Adab"
Mutig ist Al-Aswanis neuer Roman deshalb, weil er das Schweigen bricht. Das erfordert einen mutigen Schriftsteller wie Alaa al-Aswani; und es ist dieser Mut, der „Die Republik als ob“ als Zeugnis unserer Zeit und ihrer geplatzten Träume so lesenswert macht, schreibt Elias Khoury.

Der Roman ist gesponnen aus einem reichhaltigen Repertoire an Protagonisten, die in unterschiedlichsten Beziehungen zueinander stehen: Da sind zum Beispiel der bereits erwähnte General Elwani und seine Tochter Dania, die mit Khalid befreundet ist, der während der Revolution ums Leben kommt. Sein Tod wiederum entfacht den Funken der Revolution in seinem Vater, dem armen Taxifahrer Madani. Die Leser bekommen aber auch Einblick in die Geschichte der Fernsehmoderatorin Nurhan und ihrer drei Ehemänner und lernen Scheich Schamil kennen, dessen salafistische Ideologie sich bestens mit den Interessen von autoritären Herrschern, Großkapitalisten und Betrügern verträgt. Ebenso werden sie Zeuge der Liebe zwischen Mazin und Asmaa und haben Teil am Arbeitskampf der Belegschaft einer Zementfabrik.

Al-Aswani bedient sich der ganzen Trickkiste des Romanschreibens: von Kurznachrichten über Erlebnisberichte und cineastische Szenenwechsel bis hin zum Spannungsaufbau im Stil eines Thrillers, werden verschiedenste Stilmittel und Methoden eingesetzt, um eine Geschichte zu schreiben, die die Realität schonungslos widerspiegelt. Zuweilen wirken seine Charaktere zwar etwas stereotyp und oberflächlich, letztlich funktionieren sie aber gut als Mittel, um die Niederschlagung der Revolution und den Aufstieg der Gegenrevolution nachzuzeichnen.

Schonungslose Aufarbeitung der Revolution

Die Bedeutung dieses Buches gründet allerdings weder auf seiner stark an die Ära Mahfuz' erinnernde Erzählweise, noch auf der stereotypen Darstellung einiger Figuren oder der einfach und eingängig gehaltenen Sprache. Dafür legt es nicht nur ein beeindruckendes und detailreiches Zeugnis über die Ereignisse der Revolution von 2011 ab. Es porträtiert auch auf eindrückliche Art eine neue Generation von Ägyptern und Ägypterinnen, die trotz des politischen Stillstandes im Land nach den Sternen greifen wollte. Sie musste jedoch an den Spätfolgen der jahrzehntelangen autoritären Herrschaft scheitern, die zur Folge hatte, dass Armee, Geheimdienste und Muslimbrüder die einzigen wirklich organisierten Kräfte in Ägypten waren.

Al-Aswani durchbricht mit seinem Roman die Kultur des Schweigens. Gemeint ist jenes Schweigen im Kunst- und Kulturbetrieb, das sich um das schreckliche systematische Unrecht hüllt, das nicht nur in Ägypten, sondern auch in anderen autoritären arabischen Regimen geschah und geschieht und das seinen bitteren Höhepunkt in Syrien erreichte, wo Repressionen an der Tagesordnung waren und letztlich Tod und Verderben den Sieg davongetragen haben.

Das Traurige ist, dass die ägyptische Kulturszene angesichts des Repressionsapparates in sich zusammengefallen ist. Es scheint als ob die tonangebenden Stimmen in der Gesellschaft mit dem Verweis auf die Gefahr durch Islamisten die Opposition mundtot gemacht und Kritiker zum Schweigen gebracht haben. Nicht nur das! Die Konterrevolution hat wohl auch eine neue Ära autoritärer Herrschaft eingeleitet, die noch repressiver agiert und völlig ungeniert selbst mit dem kleinsten Maß an Menschlichkeit bricht.

Mutig ist dieser Roman deshalb, weil er das Schweigen bricht. Das erfordert einen mutigen Schriftsteller wie Alaa al-Aswani; und es ist dieser Mut, der "Die Republik als ob" als Zeugnis unserer Zeit und ihrer geplatzten Träume so lesenswert macht.

Elias Khoury

© Qantara.de 2018

Aus dem Arabischen von Thomas Heyne

Alaa al-Aswani: „Die Republik der Träumer“. übersetzt aus dem Arabischen von Lemke Markus. Hanser Verlag 2021