Was bei den Atomverhandlungen mit dem Iran fehlt

John Bryson Chane, ehemaliger Bischof der Episkopalen Diözese von Washington DC, kritisiert, dass bei den Atomgesprächen zwischen dem Iran und den 5+1-Staaten die Stimme der weltweiten interreligiösen Glaubensgemeinschaften kein Gehör findet.

Von John Bryson Chane

Laut einer Pew-Meinungsumfrage zu Religionsgemeinschaften aus dem Jahr 2010 identifizieren sich acht von zehn Menschen weltweit mit einer religiösen Gruppierung. Etwa 1,8 Milliarden bezeichnen sich als Muslime und über zwei Milliarden als Christen. Dazu gehören muslimische und christliche Kleriker, Gelehrte und Religionsführer, die sich seit Anfang des neuen Jahrtausends treffen, um gemeinsam über Probleme zu diskutieren, die nichts Geringeres als die Zukunft der Menschheit und die ökologische Nachhaltigkeit des Planeten bedrohen. Ein wesentlicher Aspekt bei diesen Übereinkünften war die theologisch begründete Ablehnung nuklearer Waffen.

Heute verfügen mindestens neun Nationen über Nuklearwaffen, wobei die USA und Russland den Löwenanteil davon besitzen. Die Menschheit ist gegenwärtig in der Lage, binnen kürzester Zeit fast jegliches Leben auf diesem Planeten zu zerstören.

Seit dem Jahr 2000 gab es Dutzende von Treffen zwischen muslimischen und christlichen Religionsführern. Ihre Teilnehmer nehmen innerhalb ihrer jeweiligen Gemeinde eine gewichtige Führungsrolle ein. Diese Treffen haben sowohl in vielen europäischen Staaten als auch in den Vereinigten Staaten und im Iran stattgefunden, ohne dabei viel Aufsehen zu erregen.

Die Treffen wurden von den Regierungen dieser Länder zur Kenntnis genommen und ernsthaft verfolgt. Nach meinem Besuch im Iran vor einigen Jahren hatte ich Gelegenheit, mit dem damaligen Präsidenten George W. Bush und mit Beamten des US-Außenministeriums zu sprechen – Gespräche, die Hoffnungen weckten. So ermöglichte es das Weiße Haus im Jahr 2006, als ich Bischof war, dass der ehemalige iranische Präsident Mohammad Khatami nach Washington kommen und in der Nationalkathedrale predigen konnte.

Nuklearwaffen als große Sünde

Der Oberste Rechtsgelehrte des Iran, Ayatollah Ali Hosseini Khamenei, hat bereits mehrere Fatwas veröffentlicht, die eindeutig besagen, dass der Iran keine Nuklearwaffen anstrebt. Im schiitischen Islam des Iran ist eine Fatwa des Obersten Rechtsgelehrten staatspolitisch bindend. Im Februar 2012 gab Ayatollah Khamenei öffentlich bekannt: "Die Islamische Republik Iran betrachtet den Besitz von Nuklearwaffen als große Sünde und ist weiterhin der Auffassung, dass der Besitz solcher Waffen nutzlos, kostspielig und gefährlich ist."

Der Oberste Rechtsgelehrte des Iran ist sowohl Staatschef als auch höchster religiöser Führer des iranischen Schia-Islam, besitzt also doppelte Autorität. Seine Fatwa nicht anzuerkennen, wäre sowohl gegenüber seiner religiösen Position als auch in Bezug auf seinen Status als politischer Führer eine große Respektlosigkeit. Dieser Mangel an Respekt hat in Verbindung mit fehlendem Vertrauen zu Zynismus und Schuldzuweisungen geführt. Das Ergebnis sind Verhandlungen, die auf beiden Seiten von einer "Auge um Auge, Zahn um Zahn"-Mentalität bestimmt sind.

Diese Fatwaist insofern besonders bemerkenswert, als sie mit Erklärungen fast aller großen christlichen Glaubensrichtungen in Einklang steht. Die Episkopalkirche hat acht solcher Beschlüsse gefasst. Die Lambeth-Konferenz des Anglikanischen Kirchenbundes mit 75 Millionen Mitgliedern hat 1998 eine Resolution verabschiedet, in der alle Regierungen und die UN aufgerufen werden, sich darauf zu einigen, die Produktion, die Durchführung von Tests, die Einlagerung sowie die Verwendung nuklearer Waffen zu beenden.

Für eine weltweite Ächtung von Atomwaffen

Auch der Vatikan und die Katholische Bischofskonferenz in den USA haben im Jahr 2010 solche Aufrufe initiiert. Ähnliche Resolutionen und Bekenntnisse kamen von weiteren christlichen Glaubensgemeinschaften aus aller Welt, unter anderem von der Vereinigten Presbyterianischen Kirche, der Evangelisch-Lutherischen Kirche, der Vereinigten Methodistenkirche, der Amerikanischen Baptistenkirche, dem Nationalen Kirchenrat und dem Weltkirchenrat.

Und trotzdem unterscheidet sich die Autorität der christlichen Religionsführer immer noch erheblich von der ihres iranischen Kollegen. Es gibt Regierungsmitglieder und Verhandlungsführer der 5+1-Verhandlungen, die die Parallelen zwischen Ajatollah Khameneis Nuklearfatwa und den Nuklearverurteilungen der christlichen Glaubensrichtungen lediglich deshalb ignorieren, weil im Westen die Trennung von Kirche und Staat praktiziert wird.

Trotzdem können Christentum und Islam genau jetzt, da die Verhandlungen ihre entscheidende Phase erreichen, als Brückenbauer dienen. Während die Verhandlungsführer auf Beweisen bestehen, können die Kirchen Vertrauen aufbauen. Dies setzt allerdings voraus, dass die Verhandlungsführer couragiert genug sind, interreligiösen Beziehungen eine gewisse Bedeutung beizumessen, was bedeutet, nationalstaatliche Diplomatie nicht durch sie zu ersetzen, sondern sie zu ergänzen.

John Bryson Chane

© Common Ground News Service 2015

Übersetzt aus dem Englischen von Harald Eckhoff

John Bryson Chane war der achte Bischof der Episkopalen Diözese von Washington DC, und leitender Berater für den interreligiösen Dialog an der Washingtoner Nationalkathedrale. Als einer der prominenten Führer des globalen interreligiösen Dialogs besuchte er mehrfach den Iran und veranlasste die Einladung des ehemaligen iranischen Präsidenten Mohamed Khatami. 2011 war er als Mitglied einer vierköpfigen Delegation an der Befreiung der im Evin-Gefängnis inhaftierten US-amerikanischen Wanderer beteiligt. John Bryson Chane zählt zu den wenigen Persönlichkeiten des Westens, die Ayatollah Ali Khamenei, den religiösen Führer der Islamischen Republik, treffen konnten.