Mein Weg zu al-Qaida

Der amerikanische Journalist und Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright erzählt die Geschichte des Islamismus wie einen politischen Thriller. Andrian Kreye hat das Buch gelesen, das Experten als Standardwerk zur Vorgeschichte des 11. Septembers gilt.

Der amerikanische Journalist und Pulitzer-Preisträger Lawrence Wright erzählt die Geschichte des Islamismus wie einen politischen Thriller. Andrian Kreye hat das Buch gelesen, das Experten als Standardwerk zur Vorgeschichte des 11. September gilt.

​​Es gibt Geschichten, die muss man mehr als einmal erzählen. Die Geschichte von der schier unwiderstehlichen Anziehungskraft des Islamismus, der im Kairo der dreißiger Jahre zu gären begann und der in den Anschlägen des 11. September 2001 seinen ersten Gipfel der Geschichte erreichte zum Beispiel.

Kaum jemand hat diese Geschichte so gut verstanden und so brillant erzählt wie Lawrence Wright, Autor des Wochenmagazins New Yorker. Auch wenn sich schon viele an dieser Geschichte versucht haben – sein Buch "Der Tod wird euch finden " (Spiegel Buchverlag, DVA, 543 Seiten, 24,95 Euro) ist ein Ereignis.

Kein Entertainer im eigentlichen Sinn

Buchstäblich. Im vorigen Sommer inszenierte Wright seine Recherchearbeit als Performance. Und auch wenn er vielleicht nicht zum Entertainer taugt - jedes Mal, wenn er auf der Bühne des Culture Project Theaters im New Yorker Galerienviertel Soho stand und von den Intrigen in den Rängen der al-Qaida, des FBI und der CIA erzählte, von den Hunderten Interviews,

Lawrence Wright, Foto: Columbia University
"Kundiger Führer durch eine fremde und beängstigende Welt": Lawrence Wright

​​die er für sein Buch führte, dann wurde aus dem linkischen Autor im Pullunder der kundige Führer durch eine fremde und beängstigende Welt.

Als er dann im vergangenen Frühjahr den Pulitzer Preis bekam, führte er seinen Abend mit dem Titel "My Road To Al Qaida" im Konzertsaal der Town Hall am Times Square noch einmal vor rund eineinhalb tausend Zuhörern auf. Und noch einmal wurde deutlich, welchen Sog seine Erzählkunst entwickelt.

So wie Wright die Geschichte des Islamismus und der al-Qaida auf der Bühne und in seinem Buch erzählt hat, wird sie so klar wie nie zuvor. Gerade weil er sich nicht auf den 11. September beschränkt, sondern tief in der Geschichte des Islamismus schürft.

Sayyid Qutb, Vordenker der Islamismus

Da fällt es zunächst einmal schwer zu glauben, dass der Krieg gegen den Terror mit der enttäuschten Liebe eines Literaturkritikers aus Kairo begann, der eine der größten klassischen Schallplattensammlungen des Orients besaß.

Sayyid Qutb hieß der schmächtige Mann, der mit seinen Texten aus den fünfziger und sechziger Jahren als Mitglied der Moslembrüder zum Vordenker des Islamismus aufsteigen sollte. Doch es war kein Heiliger Krieg, der in ihm den Hass auf den Westen schürte, sondern eine luxuriöse Studienreise nach Amerika, auf der er sich in New York herumtrieb und mit einem Stipendium der ägyptischen Regierung auf Colleges in Washington und Colorado Englisch studierte.

Wright beschreibt Qutb, den der ägyptische Präsident Gamal Abdel Nasser 1966 hinrichten ließ, als modellhaften Islamisten. Ein gebildeter Mann, in westlicher Kultur gut bewandert, ein gepeinigter, stolzer und selbstgerechter Bildungsbürger, der zwischen der arabischen und westlichen Welt, zwischen Glaube und Moderne hin- und hergerissen ist und sich für den Hass auf die säkulare Welt entscheidet.

Qutb schrieb die Grundlagentexte des Islamismus. "Meilensteine", "Soziale Gerechtigkeit" und "Im Schatten des Koran", wortgewaltige Traktate, in denen er eine neue Generation Heiliger Krieger herbeiträumte, die eine gerechte Welt unter der Scharia erkämpfen sollten.

Männerfreundschaft

Ein einziges Kapitel reicht Wright, um ein komplexes Porträt des Ideologen zu zeichnen, der das Gefühl der Erniedrigung so kraftvoll in Worte fassen konnte und damit die Grundlagen einer Ideologie schuf, die in einem ewigen Kampf zwischen Idealismus und Nihilismus in mörderischer Konsequenz in den internationalen Terrorismus führte.

​​So hat Wright mit erzählerischem Geschick die Basis geschaffen, um die komplexen Beziehungen jener Männer in den staubigen Vororten Kairos zu entwickeln, die aus dem ominösen Sektierertum eine weltweite Bewegung schufen. Und gerade das ist die Stärke seines Buches. Lawrence Wright analysiert nicht. Er erzählt.

Sicher stehen im Mittelpunkt des Buches die beiden Männer, die als Köpfe der al-Qaida in die Geschichte eingegangen sind: der ägyptische Arzt Aiman al-Zawahiri und der saudische Erbe Osama bin Laden. Kunstvoll seziert Wright die gespannte Beziehung der beiden. Auf der einen Seite der kampferfahrene Ideologe al-Zawahiri, auf der anderen Seite der ehrgeizige Charismatiker Bin Laden.

Von ihren ersten Begegnungen im Pakistan der achtziger Jahre bis zu den Trainingslagern in Afghanistan bewegen sich die beiden genau in jenem Spannungsfeld zwischen Idealismus und Nihilismus, das den gewalttätigen Islamismus für viele so verführerisch macht.

Wrights "gewaltige Erzählkraft"

Auch die Gegenseite wird bei Wright lebendig. Da ist der cholerische Leiter des New Yorker FBI-Büros, John O'Neill, und ein Ensemble aus Bürokraten und Agenten, deren Erfolge im Konkurrenzkampf zwischen FBI und CIA untergehen. Eine der bedrückendsten Szenen des Buches spielt am 12. September 2001: Der FBI-Agent Ali Soufan begreift, dass die Behörden längst wussten, dass die Attentäter sich im Land befanden und muss sich erbrechen.

Es ist kein Zufall, dass Lawrence Wright die Geschichte des Islamismus mit solch gewaltiger Erzählkraft aufrollen kann. Neben seinem Handwerk als Journalist schrieb Wright Drehbücher. Eines davon wurde 1998 mit Denzel Washington und Bruce Willis als "Ausnahmezustand" verfilmt. Der Film handelte von einem Bombenanschlag von Islamisten auf die Stadt New York, in der daraufhin der Ausnahmezustand verhängt wird und die Bürgerrechte außer Kraft gesetzt werden.

Wright war sich der prophetischen Dimension seines Drehbuches sehr wohl bewusst. "Das ist doch mein Film", sagt er sich nach den Anschlägen und flehte seinen Chefredakteure David Remnick an, ihn auf die Geschichte anzusetzen.

Die Reportagen, die Wright in den nächsten Jahren im New Yorker veröffentlichte, bilden die Grundlage des Buches. Doch mit "Der Tod wird euch finden" geht er viel weiter.

Keiner hat die tödliche Konsequenz aus der Beziehung zwischen al-Zawahiri und Bin Laden, den bedrückenden Filz der amerikanischen Behörden und vor allem die spirituelle, ideologische und kulturelle Welt des Islamismus so präzise und souverän unideologisch beschrieben wie Wright. In den USA gilt er längst als der führende Experten zum Thema, sein Buch als Standardwerk.

Andrian Kreye

© Süddeutsche Zeitung 2007

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