Afghanisches Gesetz hebelt Frauenrechte aus

Ein neues Gesetz in Afghanistan verhindert faktisch die Strafverfolgung bei familiärer Gewalt gegen Frauen - eine massive Einschränkung der Frauenrechte, so die Kritik von Menschenrechtsorganisationen.

Von Waslat Hasrat-Nazimi

Würde man nicht genau hinsehen, könnte man den neuen Gesetzesparagraphen leicht überlesen. "Folgende Personen dürfen nicht vor Gericht als Zeugen befragt werden: verteidigende Anwälte, Ärzte, Kinder und - Verwandte des Angeklagten". Das klingt auf den ersten Blick nicht ungewöhnlich, doch der Teufel steckt im Detail.

Wenn zum Beispiel Männer in Afghanistan ihre Frauen, Kinder oder Schwestern angreifen oder misshandeln, darf nach einem neuen Gesetz kein Verwandter vor Gericht gegen sie aussagen. Die Gesetzesvorlage, die gerade vom afghanischen Parlament verabschiedet wurde, schließt somit Eltern, Großeltern oder Geschwister - also fast alle potentiellen Zeugen von einer Anklage aus. Die meisten Gewalttaten gegen afghanische Frauen finden jedoch nach offiziellen Angaben innerhalb der Familienstrukturen statt und nicht außerhalb.

"Befürworter dieses Gesetzes argumentieren, dass Verwandte nicht objektiv sein können und dass ihre Aussagen zu Racheakten führen könnten", erklärt Samira Hamidi von der afghanischen Frauenrechtsorganisation "Empowerment Center for Women" (ECW). Doch sie hält die Argumente für wenig überzeugend. Mit diesem Gesetz werde die Verfolgung von häuslicher Gewalt erheblich erschwert und den Tätern faktisch Straffreiheit garantiert, sagt sie: "Es gibt Kriminellen die Möglichkeit, frei herumzulaufen."

Internationale Menschenrechtsorganisationen wie "Human Rights Watch" (HRW) verurteilten das Dekret scharf und forderten den afghanischen Präsident Hamid Karsai auf, es nicht zu unterzeichnen.

Ein 12-jähriges Mädchen im Hochzeitskleid; Foto:
12-jähriges Mädchen im Hochzeitskleid: Auch die Zwangsverheiratung Minderjähriger kann nach dem neuen Gesetz nicht mehr bestraft werden.

Einschränkung der Frauenrechte

Die Gesetzesvorlage gehört zu einer Neufassung des afghanischen Strafgesetzbuches, ein Projekt, das Juristen und Parlament in Afghanistan bereits seit sechs Jahren beschäftigt. Farkhunda Zahra Naderi, Abgeordnete des afghanischen Parlaments aus Kabul, ist über dessen Entscheidung enttäuscht. "Dieses Gesetz schränkt nicht nur die Rechte der Frauen ein. Wenn ihnen die Möglichkeit, als Zeugin aussagen zu dürfen, genommen wird, ist dies auch ein Verstoß gegen die Menschenrechte", so die Parlamentarierin.

Die neue Regelung habe enorme Konsequenzen für die Frauen in Afghanistan, meint Heather Barr von Human Rights Watch. "Sie macht es unmöglich, häusliche und sexuelle Gewalt innerhalb der Familie sowie Zwangsehen, Verheiratung von Minderjährigen oder Heirat zur Beilegung von Clan-Streitigkeiten (sogenannte Baad-Praxis) zu bestrafen." Barr hält die neue Regelung für ein weiteres Zeichen eines Trends im afghanischen Parlament, Frauenrechte in Afghanistan zu beschneiden: "Die neue Verordnung hebelt buchstäblich das 'Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen' aus."

Frauenschutzgesetz bedroht

Das sogenannte 'Gesetz zur Eliminierung von Gewalt gegen Frauen' sollte afghanischen Frauen Schutz gegen Gewalt einräumen und kriminelle Vergehen, wie Zwangsheirat und sexuelle Gewalt bestrafen. Letztes Jahr lag es dem afghanischen Parlament zur endgültigen Verabschiedung vor. Die Mehrheit der Abgeordneten stimmte dagegen. Viele, vor allem Männer, sahen durch das Gesetz traditionelle Wertvorstellungen verletzt. Weil dieses Gesetz aber auf internationalen Druck hin vom Präsidenten höchstpersönlich erlassen wurde, ist es dennoch rechtskräftig und bestraft Gewalt gegen Frauen.

Abgeordnete Farkhunda Zahra Naderi; Foto: DW/H.Sirat
Abgeordnete Farkhunda Zahra Naderi: "Das Parlament entscheidet frauenfeindlich"

Farkhunda Zahra Naderi gehört zu den 68 weiblichen Abgeordneten im Parlament, denen ein Viertel der Sitze reserviert sind. Sie beobachtet eine wachsende frauenfeindliche Tendenz in der Volksvertretung, angestoßen durch konservative Kräfte. "Wir Parlamentarier arbeiten in einer unsicheren Atmosphäre, in der wir ständig Angst haben müssen", sagt sie. "Das Parlament ist von einer politisch feindlichen Stimmung geprägt, in der es unmöglich ist, Gesetze zu machen, die langfristig für das Wohl des afghanischen Volkes sorgen können."

"Diese Entwicklung ist besorgniserregend", meint auch Heather Barr. "Und sie ist nicht nur im Parlament, sondern seit einiger Zeit auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen zu beobachten." Sie nennt Beispiele: "Letztes Jahr wurde die Frauenquote für die afghanischen Provinzräte von 25Prozent auf 20 Prozent herabgesetzt; es gab eine landesweite Debatte, ob die Steinigung als Strafe wieder eingeführt werden soll; hinzu kommt die Ernennung von ehemaligen Taliban als Kommissare in der unabhängigen Menschenrechtskommission. Wir haben die Ermordung von mehreren Polizistinnen beobachtet, und dass die Peiniger der schwerst misshandelten 15-jährigen Sahar Gul trotz Verurteilung wieder freigelassen wurden". Diese Ereignisse beweisen nach Ansicht der Menschenrechtsaktivistin, dass die Rechte der afghanischen Frauen in Gefahr sind.

"Druck auf die Regierung ausüben"

Im Hinblick auf den bevorstehenden Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan Ende des Jahres bedauern Frauenrechtsaktivistinnen diese Entwicklung. Dabei seien die Rechte der afghanischen Frauen eine der offiziellen Rechtfertigungen für einen militärischen Einsatz gewesen. "Doch inzwischen hat die internationale Gemeinschaft die afghanischen Frauen aufgegeben", fürchtet Heather Barr. Sie wünscht sich, dass Hilfsgelder in Zukunft unter der Bedingung vergeben werden, dass Kabul die Rechte der Frauen angemessen schützt. Nur so könne die internationale Gemeinschaft mehr Druck auf die afghanische Regierung ausüben.

Das jüngste Gesetz könnte alle bisherigen Erfolge für die afghanischen Frauen zunichte machen, fürchten Frauenrechtsaktivistinnen. Die Entscheidung darüber liegt nun in der Hand des Präsidenten - es steht und fällt mit seiner Unterschrift.

Waslat Hasrat-Nazimi

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de