Progressive Islamschulen für konstitutionelle Freiheiten

Joanne McMillan schildert in ihrer Reportage, wie sich ein couragierter Islamgelehrter und Leiter einer Islamschule auf Java für die Minderheiten- und Freiheitsrechte in Indonesien einsetzt.

Joanne McMillan berichtet in ihrer Reportage, wie sich ein couragierter Islamgelehrter und Leiter einer Islamschule auf Java für die Minderheiten- und Freiheitsrechte in Indonesien einsetzt.

KH Maman Imanulhaq Fakieh; Foto: Al-Mizan Pesantren
Von konservativen Islamisten beschuldigt, einen "gefährlichen Liberalismus" zu vertreten: KH Maman Imanulhaq Fakieh

​​Es ist ein heißer Aprilnachmittag und der Gemeindesaal in Cangkol, einem Fischerort am Rande Cirebons im Norden Javas, ist brechend voll. Alle sind gekommen, um die ehemalige First Lady, Ibu Sinta Nuriyah Wahid, zu sehen.

Ibu Sinta, Gattin des vormaligen Präsidenten Abdurrahman Wahid, besucht im ganzen Land zahlreiche Treffen wie dieses, um sich, im Vorfeld der kommenden Wahlen, die Alltagssorgen der einfachen Menschen anzuhören.

Heute gibt es aber einige technische Probleme und der junge Kyai, der Islamgelehrte und Leiter der Islamschule, KH Maman Imanulhaq Fakieh, ein populärer und charismatischer Mann, unterhält die Menge am Mikrofon, während die Techniker versuchen, die Anlage einzustellen.

Die Menge ist gefesselt, was ihm Gelegenheit gibt, sein wichtigstes Anliegen anzusprechen: Religionsfreiheit - ein heißes Thema in Indonesien, nach den jüngsten Angriffen auf Moscheen der Ahmadiyya-Minderheit und den Rufen nach einem Verbot der Sekte.

Keine gewalttätige Religion

"Ist der Islam eine Religion der Gewalt?", schreit er ins Mikro und zeigt der Menge seine geballte Faust. "Nein!", antwortet das Publikum enthusiastisch, mehrheitlich Hausfrauen in Kopftüchern. "Erlaubt der Islam, dass irgendwer Gewalt ausübt?" - "Nein!"

"Und gegen bestimmte Menschen?" Dieselbe Antwort. "Und aus bestimmten Gründen?" Auch wieder "Nein". "Wollen wir, dass die Regierung die in der Verfassung garantierten Rechte schützt?" Die Menge schriet "Ja!"

Kyai Maman, 35, ist der geistige Führer der "Al-Mizan"-Pesantren in Jatiwangi im Westen

Kyai Maman spricht zwährend einer Gemeindeversammlung auf Java; Foto: Al-Mizan Pesantren
Für ein liberales und tolerantes Islamverständnis: Kyai Maman spricht während einer Gemeindeversammlung auf Java

​​ Javas. Außerhalb des Landes gelten indonesische Islamschulen (auch "Pesantren" genannt) seit der Berichterstattung über die Wurzeln des Terrorismus, als Zufluchtsorte für Extremisten, in denen junge Schüler mit fundamentalistischen Ideen indoktriniert werden und zu Terroristen herangebildet werden.

Und auch wenn es stimmt, dass viele Pesantren sehr konservative, wortgetreue Auslegungen des Islam lehren, hat nur eine sehr kleine Zahl von ihnen Verbindungen zu Terrororganisationen. Tatsächlich aber sind gerade Pesantren oft genug die Keimzellen sehr fortschrittlicher muslimischer Ideen in Indonesien und auch der muslimischen Welt im Ganzen.

Der bekannteste fortschrittliche Kyai ist der ehemalige Präsident des Landes, Abdurrahman Wahid, doch um ihn herum finden sich viele weitere Leiter von Pesantren, die sich zunehmend Gehör zu verschaffen und Einfluss zu gewinnen vermögen.

Kyai Maman gehört zu einer Gruppe von Kyai und Alumni von Pesantren in West-Java, zu der auch KH Syarief Usman Yahya, Leiter der "Kempek Pesantren" und KH Husein Muhammad von der "Dar al-Tauhid Arjawinangun Pesantren" gehören.

Der verstorbene KH Fuad Hasyim von der "Buntet Pesantren" sowie KH Yahya Masduki von der "Babakan Ciwaringin Pesantren" waren die Vorbilder der Gruppe. Sie alle predigen Pluralismus und ermutigen ihre Santri, also Schüler, die religiösen Texte im Kontext zu lesen.

Die Vision des von ihnen vertretenen Islam ist im Koran, in der Sunna und klassischen islamischen Texten verankert und steht für Gerechtigkeit für alle Menschen.

Der gemeinsame Nenner

Zu Beginn dieses Jahres wurde das Thema "Ahmadiyya-Sekte" zum gemeinsamen Nenner für

Anhänger der Islamic Defenders Front (FPI) in Jakarta; Foto: AP
Radikal und kompromisslos im Umgang mit der "Ahmadiyya"-Minderheit: Anhänger der Islamic Defenders Front (FPI) in Jakarta

​​ die fortschrittlichen Muslime. Während fundamentalistische Organisationen wie die "Islamic Defenders Front" (FPI) und der "Indonesian Mujahidin Council" (MMI), aber auch viele moderate Gruppen, darauf drängten, die Ahmadiyya-Sekte zu verbieten, organisierten fortschrittliche Kyai, darunter auch Kyai Maman, Gemeindetreffen, um eine Botschaft der Toleranz und des Pluralismus zu verbreiten.

Als es der Polizei und den lokalen Verwaltungen nicht mehr gelang, die Ahmadiyya-Anhänger vor den Gewaltexzessen der radikalen Islamisten zu schützen, boten die Milizen der "Nahdlatul Ulama" (NU), der größten islamischen Organisation Indonesiens, den Kyai an, die Moscheen und Häuser der Ahmadiyya zu schützen.

Denen, die wie Kyai Maman versuchten, die Ahmadiyya zu schützen, ging es dabei niemals nur um die Freiheit dieser einen religiösen Bewegung, sondern vielmehr um den Kampf für das in der Verfassung garantierte Recht eines jeden Bürgers, seine jeweilige Religion auszuüben und seine Meinung frei auszudrücken.

Die Angelegenheit wurde schnell zu einem Präzedenzfall, ging es doch um nicht weniger als die Durchsetzung religiöser Grundsätze einer Mehrheit als Rechtsbasis für die Diskriminierung eines Minderheitenglaubens.

Und tatsächlich schien sich dies zu bestätigen, als im vergangenen Jahr ein von der Regierung eingesetzter Ausschuss von Staatsanwälten, Islamgelehrten und Staatsbeamten die Empfehlung aussprach, die Sekte zu verbieten, weil sie "von den Prinzipien des Islam abgewichen" seien.

Für demokratische Grundrechte

Kyai Maman erklärt, dass es gar nicht darum gehe, ob die Mitglieder der Ahmadiyya vom Islam abgewichen seien oder nicht.

Muslime beim fastenbrechen während des Ramadans in Denpasar; Foto: AP
In Indonesien leben die rund 191 Millionen Muslimen überwiegend friedlich mit anderen Religionsgemeinschaften zusammen. Der radikale Islam hat jedoch in den letzten Jahrzehnten an Dynamik spürbar zugenommen.

​​ "Ich habe nie die Lehren der Ahmadiyya verteidigt", sagt er. "Was wir verteidigen, ist ihr Recht als Bürger, wie es die Verfassung garantiert. Ich würde auch für die FPI eintreten, wenn sie Unterdrückung und Terror ausgesetzt wäre. Es geht also nicht um die Ahmadiyya, sondern um Menschen, deren grundlegenden Rechte als Menschen und Bürger unseres Landes beschnitten werden."

Wegen ihres Eintretens für die Rechte der Ahmadiyya sind die fortschrittlichen Kräfte selbst zur Zielscheibe für Angriffe der extremistischer Gruppen geworden. Der aufsehenerregendste unter ihnen ereignete sich am 1. Juni vergangenen Jahres am "National Monument" (Monas) in Jakarta, also am Gedenktag für Sukarnos berühmte Rede aus dem Jahr 1945, in der er Indonesiens Staatsdoktrin formulierte, bekannt als die "Pancasila".

Nach der Entscheidung der Regierung über das Schicksal der Ahmadiyya, die ein Verbot an jedem beliebigen Tag vorsah, versammelten sich Dutzende Demonstranten, unter ihnen auch Kyai Maman, zu einer friedlichen Kundgebung, um für die Religionsfreiheit einzutreten.

"Aus zwei Gründen trafen wir uns am Monas", berichtet Kyai Maman. "Zum einen wollten wir die Pancasila feiern, unsere nationale Philosophie, in der er um das Leben in einer pluralistischen Gesellschaft geht. Der andere Grund aber war, unsere Regierung zu drängen, die Verfassung zu achten."

"Gerade als wir damit anfangen wollten, kamen Leute in weißen Umhängen und mit den Bannern der FPI. Sie skandierten 'Allahu akbar' (Gott ist mächtig)." Die FPI-Anhänger griffen daraufhin die Demonstranten mit angespitzten Bambusstäben und Steinen an. 19 Menschen wurden verletzt, einige davon schwer.

Eigentor für die islamistischen Eiferer

Kyai Maman gehörte zu denen, die am schwersten verletzt wurden. Er erinnert sich, dass sein Kopf mit Bambusstäben traktiert wurde, bis er zu Boden fiel, wo er von mindestens zehn Leuten weiter mit Füßen getreten und misshandelt wurde. Mit einer Gehirnerschütterung und Kopfverletzungen musste er ins Krankenhaus geliefert werden.

Die Übergriffe schockierten einen großen Teil der indonesischen Öffentlichkeit. Und der Angriff auf Kyai Maman trug zu einem Meinungsumschwung in der Öffentlichkeit bei, denn die FPI hatte, ob aus Dummheit oder Absicht, einen Kyai angegriffen, also das moralische Gegenstück eines Priesters oder einer Nonne - und das in einem muslimischen Land.

In den Tagen nach dem Zwischenfall fanden sich weniger Rufe nach einem Verbot der

Brennende Kirche in Ujungpandang auf Sulawesi; Foto: AP
Auf Sulawesi und in anderen Teilen der Inselrepublik kommt es immer wieder zu Übergriffen islamistischer Extremisten auf Christen - brennende Kirche in Ujungpandang auf Sulawesi

​​ Ahmadiyya, dafür aber immer mehr zugunsten eines Verbots der FPI. 57 Mitglieder der FPI wurden nach den Angriffen inhaftiert, darunter auch ihr Anführer Rizieq Shihab, was zu einer großen Schwächung der Organisation führte.

Die darauf ergangene Entscheidung der Regierung über das weitere Vorgehen im Fall der Ahmadiyya war jedoch weder ein Sieg der Gegner eines Verbots, noch einer des Pluralismus. Der am 9. Juni verkündete Beschluss des Rates war kein ausdrücklicher "Bann" der Sekte, doch verlangte er von ihnen, "ihren Glaubensgrundsätzen keinen Ausdruck mehr zu verleihen und zum Mainstream-Islam zurückzukehren."

Kyai Maman sieht in dieser Entscheidung einen exzessiven und doppeldeutigen Eingriff der Regierung, der nur dazu dienen soll, sie aus einer schwierigen politischen Situation zu befreien. "Aufgabe der Regierung ist es, die Religionsfreiheit zu garantieren, nicht aber, sich in Glaubensfragen einzumischen."

Vom Puritaner zum Progressiven

Kyai Maman ist nicht immer für die Werte des Pluralismus eingetreten. Es gab eine Zeit, als er Gewalt im Namen der Religion eher befürwortete als ablehnte. Er wuchs in einem puritanischen Pesantren auf, in der er sich in einem engen Kreis von Gläubigen bewegte und nur traditionelle religiöse Texte las.

Seine Weltsicht, erklärt er, war früher "schwarz-weiß". Jeder mit einer anderen Meinung war für ihn ein Sünder. Schon der bloße Anblick einer christlichen Kirche oder eines Kreuzes brachte sein Blut in Wallung. Er engagierte sich in militanten Gruppen, die sich die "Säuberung" von Spielhallen und Bordellen in der Region um Majalengka zur Aufgabe gemacht hatten.

Er war dabei, als Mitglieder seiner Gemeinde Kirchen zerstörten sowie Geschäfte und Häuser von in Jatiwangi lebenden Chinesen. "Zu jener Zeit glaubte ich, dass es nur eine Wahrheit gebe: wir waren es, die im Recht waren und alle anderen hatten Unrecht."

Aber die Ereignisse von 1998 sollten zum Wendepunkt in seinem Leben werden. Als er sah,

Istiklal-Moschee in Jakarta; Foto: AP
Wende zum friedlichen Islambild: "Als Maman sah, was die von den Muslimen ausgehende Gewalt anrichtete, wurde ihm klar, dass etwas falsch sein musste an dem, wie er die religiösen Texte verstanden hatte."

​​ was die von den Muslimen ausgehende Gewalt anrichtete, wurde ihm klar, dass etwas falsch sein musste an dem, wie er die religiösen Texte verstanden hatte.

Die Texte, erklärt er, sprachen doch vom Islam immer als einem Segen für die ganze Welt, nicht nur für die Muslime. Das Ziel des Islam konnte, so folgerte er nun, nicht darin bestehen, bei Menschen Angst auszulösen.

Hiervon ausgehend entschied er sich, auch anderen Stimmen zuzuhören. Er begann, die Führer anderer Religionen in seine Pesantren einzuladen - Priester, Pastoren und buddhistische Mönche - zum interreligiösen Dialog. Er lud sie auch zu religiösen Zeremonien und kulturellen Feiern in die Pesantren ein, sogar dazu, seinen Schülern Unterricht zu geben.

Dies war ein Schritt, der zunächst auf Kritik in seiner Gemeinde stieß. Auch seine eigene Familie war dagegen. "Mein Vater mochte es nicht, wenn ich Umgang zu Nicht-Muslimen pflegte. In seinen Augen waren es "schmutzige Ungläubige" (kafir). Doch nach und nach stellten sie fest: "Oh, Priester sind cool und buddhistische Mönche sind auch cool."

Er begann auch, sich anderen Ideen zu öffnen und studierte philosophische Werke, beschäftigte sich mit sozialistischem Gedanken und mit der christlichen Befreiungstheologie. Er traf sich mit Künstlern, Schriftstellern und Musikern.

Er versuchte sich im Gedichte schreiben. Er stellte fest, dass Kunst einen Wert hat, der sich mit dem der Religion vergleichen lässt, geht es darin doch auch um die Befreiung von weltlicher Macht und menschlichen Leidenschaften. "Von der Kunst", so sagt er, "können Menschen lernen, einen harmonischeres Leben zu führen und die Dinge nicht nur schwarz-weiß zu sehen."

Politik und öffentliches Image

Auch wenn er von sich behauptet, ein "fundamentales" Desinteresse an Politik zu haben, wurde Kyai Maman unlängst zu einem aktiven Mitglied der "Nationalen Erwachungspartei" (PKB). "Ich wurde dazu von Gus Dur (Abdurrahman Wahid) eingeladen, und so beschloss ich zu prüfen, ob die Politik als Instrument im Kampf für Pluralismus dienen kann."

Ihm ist klar, dass einige Ziele nur auf dem Weg über eine Partei und über die Politik zu erreichen sind: "Wir müssen Schritte unternehmen, um unsere Freunde in die Legislative zu bringen, um sicherzustellen, dass unsere pluralistischen Werte verteidigt und aufrechterhalten werden."

Der Fall der Ahmadiyya habe ihn in dieser Überzeugung bestärkt. Dennoch sieht er seine vorrangige Aufgabe auch weiterhin in der Arbeit an der Basis. Es geht dabei nicht nur um das Säen pluralistischer Werte, sondern auch darum, etwas für das Wohlfahrtssystem zu leisten.

"Wer ist denn am anfälligsten für den Einfluss und die Provokationen durch radikale Gruppen?", fragt er und antwortet selbst: "Für gewöhnlich sind es doch jene, denen es schwer fällt, über die Runden zu kommen. Also ist es nicht unsere Aufgabe, diese Gruppen mit Gewalt zu bekämpfen, sondern schlicht dafür zu sorgen, dass es in den Gemeinden einen größeren Wohlstand gibt und ein Ende der Armut."

Der Ahmadiyya-Vorfall und seine rasche Bekanntheit in der Folge der Ereignisse am Nationaldenkmal haben ihn auch einiges über die Bedeutung der Medien für die Beeinflussung der öffentlichen Meinung gelehrt.

"Der Fehler der fortschrittlichen Muslime liegt meiner Ansicht nach darin, dass wir kaum Einfluss auf die Medien haben. Vielleicht liegt dies aber auch im Wesen der Presse selbst, nach dem Motto: 'schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten!". Wenn etwa ein Priester in meiner Pesantren ein Mahl zu sich nimmt oder ich in einer Kirche oder einem Kloster mein Fasten breche, wird das niemals in der Zeitung erscheinen. Wenn mich aber ein Priester verprügelt oder ich seinen Altarwein vergifte, wird darüber ganz sicher berichtet werden."

Joanne McMillan

© Inside Indonesia 2008

Übersetzung aus dem Englischen: Daniel Kiecol

Die Autorin arbeitet als Übersetzerin und Journalistin für das "Fahmina Institut" in West-Java.

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