Orientalismus als Popkultur und Kunstform

Der ägyptische Kulturverein "Bidoun" hat rund 1.000 Poster, Cartoons, Kataloge und Kuriositäten in einer wandernden Ausstellung gesammelt, die zeigen, wie sehr die Klischees vom Orient auch nach 1945 präsent waren. Aus Kairo berichtet Amira El Ahl.

Der Nahe Osten hat Künstler und Kulturschaffende aus dem Westen seit jeher fasziniert. Der ägyptische Kulturverein "Bidoun" hat rund 1.000 Poster, Cartoons, Kataloge und Kuriositäten in einer wandernden Ausstellung gesammelt, die zeigen, wie sehr die Klischees vom Orient auch nach 1945 präsent waren. Aus Kairo berichtet Amira El Ahl.

Klischees aus 1001 Nacht: Europäische Orient-Groschen-Romane; Foto: Amira El Ahl
Klischees aus 1001 Nacht: Europäische Orient-Groschen-Romane, dokumentiert vom Bidoun Library Project in Kairo

​​ Trivialliteratur erkennt man meist schon an den bunten Bildern auf dem Einband: Da werden spärlich bekleidete, aber dafür umso hübscher anzusehende Frauen von durchtrainierten Männern in Heldenpose gerettet, gehalten und geküsst. "Der heimliche Sohn des Scheikhs" gehört ganz augenscheinlich in die Sparte des Groschenromans, ein billiger Thriller.

Kommen dann allerdings noch "Die heimliche Braut des Scheikhs", "Die jungfräuliche Braut des Scheikhs" und "Die Geliebte des Scheikhs" sowie zahlreiche weitere Abwandlungen des gleichen Themas hinzu, wird es schnell bizarr.

Dann sieht man plötzlich nicht mehr einen simplen Groschenroman vor sich, sondern ein Propagandawerkzeug, welches Klischeebilder vom rückständigen "orientalischen" Mannes bestätigt und verstärkt.

Die Scheikh-Serie ist im "Bidoun Library Project" zu sehen, einer Kollektion von knapp 1.000 Druckerzeugnissen, die entweder aus dem Nahen Osten kommen oder sich mit ihm beschäftigen. Die Sammlung stammt fast ausschließlich aus dem 20. Jahrhundert und beschäftigt sich ganz speziell mit der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, einer Zeit, in der das Verhältnis zwischen Orient und Okzident und dem Eindruck der historischen Umwälzungen neu definiert wurde.

Zeitgenössische Kultur aus dem Nahen Osten

Initiiert wurde das Projekt von den Machern des vierteljährlich erscheinenden Kunst- und Kulturmagazins Bidoun. Die Organisation Bidoun fördert zeitgenössische Kunst und Kulturproduktionen aus dem Nahen Osten. Neben ihrem Magazin organisieren die Redakteure auch Ausstellungen, reisende Bibliotheken, Videoprogramme und vieles mehr. Die Bidoun Library in Kairo ist ihr neuestes Projekt.

Die Bidoun Library in der Townhouse Gallery in Kairo; Foto: &copy Bidoun-Magazin
Kunst- und Kulturbücher sowie Magazine gestalten für eine arabisches Publikum mit einem speziellen Nahost-Fokus: Die Bidoun Library in der Townhouse Gallery

​​ Bei dieser Bibliothek handelt es sich um eine mobile, facettenreiche Kollektion von Büchern, Magazinen und Musikvideos, die zurzeit in der Townhouse Galerie in Kairo ausgestellt wird. Das Licht der Welt erblickte die Bidoun Library im Herbst 2009 in Abu Dhabi.

Die Idee war es, dem Publikum in der arabischen Welt Bücher und Magazine über Kunst und Kultur in Bezug auf den Nahen Osten zur Verfügung zu stellen, die sonst in diesem Teil der Welt schwer bis gar nicht zu erhalten sind.

Hinzu kam der Impuls, ein Archiv aufzubauen, in dem Publikationen aus der Region gesichert werden, die nicht mehr gedruckt werden oder sich in privaten Kollektionen befinden, und somit der Öffentlichkeit verschlossen bleiben.

Von Anfang an war klar, dass die Bidoun Library ein sich fortwährend wandelndes Projekt sein würde, eine sich ständig neu formierende Kollektion. So ist die Ausstellung in Kairo nicht zu vergleichen mit der in Abu Dhabi oder denen, die danach in Dubai, Beirut und New York folgten.

Raritäten und Kuriositäten

Seit 2009 hat die Bidoun Library ganz unterschiedliche Dinge gezeigt. Unter anderem dokumentierten die Bidoun-Macher den Kunstboom im Nahen Osten im neuen Jahrtausend, sammelten Arbeiten des Dar El Fata El Arabi, ein hauptsächlich ägyptischer, aber von der PLO finanzierter Verlag, der in den 1970er Jahren Kinderbücher produzierte, sowie Avantgarde-Kunstmagazine aus der arabischen Welt wie Fonoon Al Arabeyya, das in den 1980er Jahren von irakischen Exilanten in London herausgebracht wurde.

Bücher in der Townhouse Galerie in Kairo; Foto: Amira El Ahl
Historische Propaganda- und Skurrilitätensammlung: In der Townhouse Galerie in Kairo gibt es arabische Comics, Kunstbücher, das offizielle Firmen-Magazin vom saudischen Ölgiganten Aramco, etliche Bücher über den Schleier und sogar eine Kopie von Hitlers "Mein Kampf" auf Arabisch.

​​ Die Ausstellung in New York war für die Bidoun Library ein Wendepunkt. Da nun ein westliches Publikum angesprochen wurde, spielten die Kuratoren mit dem Paradoxon des Nahen Ostens, welcher als Konstrukt viel stärker in der Vorstellung des Westens denn in Kairo, Beirut oder Damaskus existiert.

Die Kuratoren setzten sich vor den Computer und begaben sich auf die Suche nach Material, dass sich mit dem Nahen Osten auseinandersetzt. Dafür gaben sie bei verschiedenen Internetsuchmaschinen Begriffe wie "Araber", "Iran", "Öl" und "1970" ein.

Heraus kam eine Mischung von Büchern über den Schleier, Gewalt im Islam, die Ölkrise, Terroristenromane und das legendäre orientalisierte Michael Jackson-Musikvideo "Remember the time". Mit ihren Suchbegriffen fanden die Kuratoren zwar die am weit verbreitetsten, jedoch nicht die verlässlichsten Informationen.

Offene Interpretation

Die Suche folgte nicht nach einem bestimmten Muster und die ausgestellten Objekte sollen keine bestimmte Botschaft übermitteln, erklärt Bidoun-Redakteurin Negar Azimi: "Wir haben diese Bücher ganz neutral anhand von pragmatischen Kriterien zusammengetragen. Erst wenn sie zusammenkommen, ergibt sich daraus etwas Neues, Eigenständiges, aber die Interpretation liegt beim Betrachter."

Leiniger's offizielles iranisches Witzbuch; Buchcover: Verlag Pinnacle
Schräge Scherze über verrückte Mullahs: Auch Steve Leiniger's offizielles iranisches Witzbuch ist unter den Ausstellungsexponaten zu sehen.

​​Viele der Objekte, die in New York zu sehen waren, sind nun auch nach Kairo gereist. Trotzdem ist auch diese Ausstellung wieder etwas besonderes, ganz eigen in seiner Zusammensetzung. Sie vermittelt den humanitären Gedanken, der den Ausschlag für die Sammlung gab, sowie den Diskurs, der in New York mit dem Publikum geführt wurde.

In der Townhouse Galerie in Kairo gibt es arabische Comics, Kunstbücher, das offizielle Firmen-Magazin vom saudischen Ölgiganten Aramco, etliche Bücher über den Schleier und sogar eine Kopie von Hitlers "Mein Kampf" auf Arabisch. Es ist ganz im Sinne der Kuratoren, dass der Besucher hier stöbert und auf eigene Erforschungstour geht.

Etwa 50 Bücher, die von Kunstbuchverlagen in der Schweiz und Deutschland gesponsert wurden, werden permanent in der Townhouse Bibliothek bleiben und so einen Teil des Ausgangsgedankens der Bidoun Library erfüllen.

Ein Magazin als Kunstobjekt

Es ist eine kleine Geste, aber nichtsdestotrotz ein wichtiger Beitrag in einer Stadt, in der es fast unmöglich ist, in einer öffentlichen Bibliothek an solche Bücher zu gelangen.

Denn schon bald zieht die Bidoun Sammlung weiter, diesmal nach London. Der Wunsch der Kuratoren ist, dass sie kontinuierlich wandert. Palästina, Liverpool und Bahrain stehen unter anderem auf der Wunschliste.

Es gibt so viel zu sehen, zu lesen und zu entdecken in der Ausstellung, dass die Zeit nicht zu reichen scheint. Da kommt es gelegen, dass die Herbstausgabe des Bidoun Magazins sich des Themas dieser besonderen Bücherei annimmt und als eine Art Ausstellungskatalog fungiert.

So kann der Besucher nicht nur in Ruhe in der Sammlung schmökern, sondern auch gleichzeitig ein Unikat mit nach Hause nehmen. Denn jedes der 5000 gedruckten Exemplare hat ein Foto-Unikat auf dem Cover, das der ägyptische Sammler Amgad Naguib für jeweils 1 US-Dollar aus seiner Sammlung entlassen hat. Und so wird aus einem Magazin, dessen Thema das Buch als Objekt ist, selber ein einzigartiges Objekt.

Amira El Ahl

© Qantara.de 2010

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de

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