Den alten Glanz wiederherstellen

Zu den Zeichen einer sich allmählich vollziehenden kulturellen Wende in den Ländern des arabischen Frühlings gehört auch der seit einigen Monaten schwelende Streit um die Wiederbelebung der alten islamischen Lehranstalt in der Al-Zitouna-Moschee in Tunis. Von Joseph Croitoru

Von Joseph Croitoru

Vermutlich bereits Anfang des 8. Jahrhunderts als Madrassa gegründet, entwickelte sie sich im späten Mittelalter zu einer religiösen Hochschule: Neben der Kairoer Al-Azhar-Universität avancierte die Al-Zitouna damals zu einer der wichtigsten Lehrstätten des Islam und war ebenso für ihre gemäßigte Ausrichtung bekannt wie für berühmte Absolventen wie den arabischen Historiker Ibn Khaldun.

Bis heute halten die Tunesier die traditionsreiche Lehranstalt, was allerdings in der Forschung umstritten ist, für die älteste islamische Universität der Welt. Dieser Ruf vermochte sie freilich vor der radikal-säkularistischen Politik von Habib Bourguiba, dem ersten Präsidenten der tunesischen Republik, nicht zu schützen. Anfang der sechziger Jahre ließ Bourguiba die Lehranstalt schließen. Islam als Fach wurde nur noch in der nach ihr benannten benachbarten Al-Zitouna-Universität unter strenger Aufsicht des laizistischen Staates gelehrt.

Nach der tunesischen Revolution gründeten gemäßigte islamistische Aktivisten die Organisation "Freunde der Al-Zitouna-Moschee" mit dem Ziel, die geschlossene religiöse Hochschule zu neuem Leben zu erwecken. Die Gruppe mobilisierte immer mehr Unterstützer, reichte bei den neuen Machthabern Petitionen ein und erwirkte schließlich einen Gerichtsbeschluss, mit dem Anfang April grünes Licht für die Neueröffnung der einst so bedeutenden Lehranstalt gegeben wurde.

Den toleranten Geist wiederbeleben

Damit hoffen die Initiatoren den sich im Land bemerkbar machenden religiösen Radikalisierungstendenzen entgegenzuwirken. Man wolle dem toleranten Geist religiöser tunesischer Gelehrtheit zu neuer Geltung verhelfen, erklärte Fathi al-Khamiri, Sprecher der "Freunde der Al-Zitouna-Moschee", und ein Zeichen gegen Extremismus und die Vermengung von Religion und Politik setzen.

Rachid Ghannouchi von der an-Nahda-Partei in Tunesien, Foto: Reuters
Unorthodoxe Ehrbezeugung: Der als Redner eingeladene Gründervater der islamistischen Ennahda-Bewegung, Rachid Ghannouchi, wurde von Scheich Hussein al-Abidi mit einem Titel angeredet, der ansonsten nur für die Bezeichnung der einstigen Weggefährten Mohammeds verwendet wird.

​​Mitte Mai wurde die Anstalt, die nun vom tunesischen Erziehungs-, Hochschul- und Religionsministerium in Verbund mit der Moscheeverwaltung finanziert wird, feierlich neu eröffnet.

Die Feierstimmung wurde allerdings gleich durch eine Äußerung des Imams der Al-Zitouna, Scheich Hussein al Abidi, getrübt. Er hatte nämlich den zur Eröffnung als Redner eingeladenen Gründervater der islamistischen Ennahda-Bewegung Rachid Ghannouchi mit einem Titel angeredet, der ansonsten nur für die Bezeichnung der einstigen Weggefährten Mohammeds verwendet wird.

Die auffällige Ehrbezeugung löste unter den säkularen Gegnern des neuen Hochschulprojekts Befremden aus und bestärkte sie in ihrer Kritik, die Wiederbelebung der Anstalt sei nicht nur eine Entscheidung gegen Fortschritt und Modernität, sondern könnte bald von den ohnehin schon im Land erstarkenden Salafisten usurpiert werden.

Für die Ausbildung islamischer Rechtsgelehrter und Geistlicher, so der Einwand, müssten moderne Einrichtungen geschaffen werden, die wissenschaftlich wie pädagogisch auf dem neuesten Stand sein sollten.

Keine Einmischung der Politik

Den Kritikern halten die Initiatoren entgegen, dass ihre Sorge unbegründet sei, habe man sich doch von Beginn an auf den Grundsatz geeinigt, dass der Lehrbetrieb fern jeglicher Einflussnahme seitens der Politik stattfinden soll: Es gehe lediglich darum, sich mit der eigenen religiösen Tradition auseinander zu setzen und sie nach Jahrzehnten gezielter Vernachlässigung dem tunesischen Volk neu zu erschließen. Ghannouchi selbst spricht in diesem Zusammenhang denn auch von der "Korrektur eines historischen Fehlers".

Mag für die Befürworter die angestrebte Unabhängigkeit eine Selbstverständlichkeit sein, sie wird dennoch mit den zuständigen Ministerien verhandelt werden müssen. Nur wird dies, wie die jüngste Entwicklung im Land zeigt, offensichtlich alles andere als einfach sein. Denn der Imam von Al-Zitouna, Scheich Abidi, hat kürzlich mit seinen radikalen Äußerungen gegen tunesische Künstler, deren Ausstellung in Tunis von Salafisten gestürmt und zerstört wurde, bei den Behörden Missfallen erregt.

In den für die Moschee zuständigen tunesischen Ministerien äußerten Beamte die Absicht, Abidi bald zu entlassen. Dagegen haben seine Anhänger aber so vehement protestiert, dass diese Überlegung schon bald wieder vom Tisch war. Man wollte offenbar den Protestierenden nicht die Bestätigung für ihre Behauptung liefern, der tunesische Staat wolle sich die volle Kontrolle über die Al-Zitouna-Moschee sichern. Die Ministerien setzen nun auf Dialog.

Im September sollen die Streitparteien zusammenkommen, um eine größere Tagung vorzubreiten, auf der Ende des Jahres gemeinsam über die Gestaltung der Lehrgänge in Al-Zitouna debattiert werden soll.

Joseph Croitoru

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