Köpfe, Hände, Fäuste

Die Künstlerin Monika Huber setzt sich in ihren Werken kritisch mit der medialen Berichterstattung über den Arabischen Frühling auseinander. Zusammen mit der Nahost-Journalistin Susanne Fischer hat sie jetzt ein Buch herausgebracht. Von Björn Zimprich

Von Björn Zimprich

Eine Minute und dreißig Sekunden, so lange steht in modernen TV-Formaten wie Tagesschau oder heute journal Zeit für einen Bildbericht zur Verfügung. Einsdreißig, um dem mitteleuropäischen Fernsehzuschauern das Weltgeschehen zu erklären. "Einsdreißig", so lautet der Titel der Arbeit der Künstlerin Monika Huber, auf der das Buch "News. The televised revolution" aufbaut.

"Einsdreißig" enthält damit schon im Titel den Zweifel: Reicht das für eine würdigende Darstellung des Weltgeschehens? Vermutlich nicht. Und genau um diese Zeitraffung geht es in dem Buch. Wer sich auf das Kunstbuch "News. The televised revolution" einlässt, muss sich mehr Zeit nehmen. Eine platte Medienkritik begegnet dem Leser jedoch nicht. Es handelt sich vielmehr um eine stimmige Collage von 53 Bildern der Künstlerin Monika Huber sowie einer Auswahl von Texten der Nahostjournalistin Susanne Fischer, sowie weiteren Beiträgen von Bloggern und Aktivisten aus verschiedenen arabischen Staaten.

​​Auf diese Weise verarbeitet das Buch die mediale Berichterstattung über die Aufstände und Bürgerkriege seit Januar 2011 in der arabischen Welt, die unter dem Begriff Arabischer Frühling subsumiert werden. Zentrale These von Huber ist, dass die mediale Darstellung dieser Serie von Ereignissen austauschbar wurde. Ob Sana, Daraa, Kairo oder Tripolis. Symbole, Menschen und Aktionen verschwammen im Auge des Betrachters im Westen, eine genaue Zuordnung wurde erschwert. Diesen postulierten Prozess ahmt Huber in ihren Werken nach. Sie fotografierte Bilder aus Nachrichtensendungen vom Fernseher ab und wählte bestimmte Bildausschnitte aus. Sie druckte diese auf Zeichenpapier, übermalte sie, löste und löschte danach andere Bildfragmente und fotografierte das Endprodukt erneut.

Umrisse der Revolution

Im Ergebnis sind Schatten von Menschen zu sehen. Köpfe, Hände und Fäuste. Die Umgebung verschwimmt. Ort unbekannt. Schreiende Münder ohne Hinweis auf das Gesagte. Arabische Transparente, meist unleserlich. Frauenaugen blinzeln durch ein Niqab. Schemenhafte Umrisse einer Kalaschnikow.

Die Bilder sind die Antithese zur bildhaften Tatsachenvermittlung. Erheben keinerlei Anspruch auf Wissen, Dokumentation und Fakten. Statt brillanter Schärfe von Hochleistungskameras verschwimmen die Konturen. Die Bilder führen den Betrachter nicht zum Konkreten sondern ins Vage.

Aber "News. The televised revolution" lässt den Leser nicht im Ungefähren stranden, sondern setzt den Bildern Texte entgegen. Diese sind genauso fragmentiert und bruchstückhaft wie die Bilder von Huber, erscheinen aber dennoch viel klarer. Die Texte führen durch die Schauplätze der Aufstände. Kurzweilig, komprimiert, über Tunesien, dem syrischen Daraa, nach Damaskus und dann in den Libanon, wo die Libanesin Raed Rafei ihre Wahrnehmung des ägyptischen Aufstandes beschreibt. Interessanterweise begegnen wir hier Menschen, die ähnlich wie die Menschen in Europa die "Revolutionen" auch "nur" am Fernseher erlebt haben. Denn die arabische Welt ist wie der Arabische Frühling keine einheitliche Masse.

Über die Texte begegnet der Leser konkreten Menschen. Persönlichkeiten der Revolution wie Lilia Alibi, die in der tunesischen Interimsregierung Frauen- und Familienministerin war und versuchte, in dieser Zeit den Menschen zuzuhören, für jeden erreichbar zu sein.

Vertrauensverlust in die Bilder

Die nur 192 Wörter über den Tod des Gewalt ablehnenden Damaszener Aktivisten Ghiyath Matar berühren mehr als die drei ganzseitigen Fotos in den Seiten zuvor. Und genau dieser Effekt wird durch "News. The televised revolution" angestrebt. Während die Bilder den Leser zum fragenden und etwas verlorenen Betrachter degradieren, erlangt dieser erst durch die Erzählung Teilhabe am Geschehen. Die Ereignisse im Text wirken dabei glaubhafter als das Bild. Vielleicht ist diese neue Entwicklung durch die Berichterstattung über den Arabischen Frühling verursacht.

Zwei Syrische Journalisten filmen die Syrisch-Irakische Grenze, Juni 2005; Foto: AP/Bassem Tellawi
Die Bild-Text-Collage der Künstlerin Monika Huber führt dem Leser vor Augen, dass er sich erst durch die Lektüre der Texte ein realistisches und glaubhaftes Bild der Ereignisse machen kann.

​​Denn die Zuschauer und Medienmacher sind immer weniger geneigt, den Bildern aus Krisengebieten zu glauben, nachdem auch dem letzten Zuschauer bekannt ist, dass mit Bildern Politik gemacht wird. Besonders darunter zu leiden haben nach Fischer die sogenannten "Bürgerjournalisten" aus Syrien. Sie liefern zwar unter Lebensgefahr eine Flut von Bildern und Videos von Demonstrationen übers Netz in die Welt. Als verifizierbare Informationen gelten sie dennoch nicht.

Glaubhafter erscheinen den Medienagenturen da vielmehr westliche Journalisten, obwohl auch diese sich, ob in Libyen oder Syrien, von Kämpfern der Aufständischen an die Front karren lassen und damit deren Perspektive einnehmen. Diese "embedded journalists" der Rebellenarmeen ähneln dabei stark den scharf Kritisierten des Irak-Krieges. Aber Fischer stellt fest: "Anders als im Irak-Krieg, wo Befürworter und Gegner der amerikanischen Invasion unterschiedliche Deutungen der Ereignisse lieferten, stehen bei den arabischen Revolutionen zumindest die westlichen Journalisten fast geschlossen auf Seiten der Demonstranten." In diesem Sinne erscheint es längst überfällig, mit der "Mär des objektiven Journalisten" aufzuräumen.

"News. The televised revolution" ist damit auch ein Plädoyer, weniger auf TV-Bilder zu vertrauen, und dafür gelegentlich den Bloggern und Berichterstattern aus der Region ein Ohr zu schenken. Das Buch liefert dafür einen guten Einstieg.

Björn Zimprich

© Qantara.de 2012

Monika Huber/Susanne Fischer: "News. The televised revolution". Hirmer Verlag, München 2012 (in englischer Sprache).

Redaktion: Nimet Seker/Qantara.de