Schluss mit lustig

Der Anschlag auf die französische Satirezeitung "Charlie Hebdo" stellt einen Angriff auf die Presse- und Meinungsfreiheit dar – auch wenn Titelwahl und Bezug der Sonderausgabe "Charia Hebdo" auf die Folgen der Wahlen in Tunesien recht abwegig erscheinen. Von Bernard Schmid aus Paris

Von Bernard Schmid

Auch nach fast einer Woche geht das Rätselraten im Fall der Satire-Wochenzeitung Charlie Hebdo weiter. In der Nacht vom 1. auf den 2. November brannte eine Zeitungsredaktion in Paris zu zwei Dritteln aus. Ursache dafür war der Wurf eines Molotow-Cocktails. Gegen ein Uhr früh brach das Feuer in den Räumen der linksliberalen, satirischen Wochenzeitung Charlie Hebdo aus.

Am folgenden Morgen erschien eine spektakuläre Ausgabe der für ihren Antiklerikalismus und ihren Spott bekannten Zeitschrift, die unter dem Titel Charia Hebdo ("Scharia-Wochenzeitung") stand und als deren "Chefredakteur" sich auf satirische Weise der Prophet Mohammad zu erkennen gab.

Dass ein Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen bestehen könnte, ist nicht auszuschließen, aber bisher nicht erwiesen. Einige Redakteure der Wochenzeitung mutmaßten, es könnte sich möglicherweise auch um die Tat von Rechtsextremen handeln, die versuchten, Öl ins Feuer bestehender gesellschaftlicher Konflikte zu gießen.

Im Visier türkischer Hacker

Auch die Webseite des Satireblatts wurde zum Opfer eines Hackerangriffs. Deren Urheber ist inzwischen bekannt, es handelt sich um eine Gruppe von jungen Hackern aus der Türkei, die unter dem Namen Akincilar auftritt.

Sonderausgabe der Charlie Hebdo: Charia Hebdo; Foto: picture alliance
"100 Stockschläge, wenn Sie sich nicht tot lachen"</em>- Für eine Titelstory in Anspielung auf den Wahlerfolg der Islamisten in Tunesien war die Ausgabe der "Charlie Hebdo" am 2. November in "Charia Hebdo" umbenannt worden.

​​Einer von ihnen, der 20-Jährige Ekber alias "Black Apple", bekannte sich im Journal du Dimanche zu der Tat. Er erklärte, seine Gruppe habe gegen eine Beleidigung des Propheten Mohammed agieren wollen. Gleichzeitig distanzierten sich Ekber und die anderen Akincilar-Aktivisten jedoch von dem Brandanschlag: "Natürlich unterstützen wir keine Gewalt", so Ekber.

Der Redaktion der Satirezeitschrift ging es mit ihrer Sonderausgabe unter dem Titel Charia Hebdo vor allem darum, auf die Folgen der Wahlen in Tunesien und die Erklärung der Scharia zur Quelle der Gesetzgebung in Libyen zu reagieren.

Die Entscheidung zu dem Titel ist zweifellos inhaltlich falsch. Denn der Bezug auf den Wahlausgang in Tunesien ist ebenso konstruiert wie in der Sache irrig. Die Wahlsiegerin, die tunesische Partei "Ennahda" ("Wiedergeburt, Renaissance") ist wohl nicht wegen der Einführung der Scharia gewählt worden – zumal sie ihren Wählerinnen und Wähler nicht diese versprochen hat, sondern, im Gegenteil, für die Bewahrung der bestehenden Zivil- und Familiengesetze eintritt.

Auch hat "Ennahda" inzwischen angekündigt, neben dem bereits unter dem früheren Artikel Eins der Verfassung ("Der Islam ist die Religion Tunesiens") keine weiteren grundgesetzlichen Bezüge zur Religion herstellen zu wollen.

Die am 23. Oktober gewählte Verfassungsgebende Versammlung soll innerhalb eines Jahres neue Verfassungsregeln im erstmals demokratisch regierten Tunesien ausarbeiten. Die Einführung eines vorgeblichen Gottesstaates, wie etwa im Iran, ist dabei auf keinen Fall zu erwarten. Nicht, weil man der als moderat-islamistisch geltenden stärksten Partei einen Blankoscheck des Vertrauens ausstellen müsste, aber weil die gesellschaftlichen Verhältnisse in Tunesien dem absolut entgegen stehen.

Die Gründe dafür, dass "Ennahda" gewählt wurde, liegen vielmehr an ihrem gegenwärtigen politischen Auftreten: Ihr mutiger Einsatz gegen die Diktatur Ben Alis, unter der die Partei rund 30.000 politische Häftlinge und unzählige Folteropfer zu beklagen hatte, wurde vom Wähler schließlich honoriert.

Zudem knüpfte "Ennahda" ihren wirtschaftsliberalen Kurs an soziale Versprechen, auch wenn letztere (ebenso wie bei anderen Parteien) sicherlich zum Teil enttäuscht werden dürften.

Vorurteilsbeladen und realitätsfremd

​​Titelauswahl und Bezug zur Wahl in Tunesien basieren also auf einem Vorurteil, das nicht mit der Wirklichkeit korrespondiert. Dennoch ist Charlie Hebdo sicherlich kein rassistisches Motiv anzulasten, handelt es sich doch um eine Zeitung, die auch mit anderen Religionsgemeinschaften – wie etwa mit Frankreichs Katholiken –mindestens genauso "respektlos" ins Gericht geht. Dies ist sogar das langjährige erklärte Markenzeichen der Satirezeitung. Rassismusvorwürfe, wie sie bislang erhoben wurden, gehen daher also völlig fehl.

Nichtsdestotrotz erhielt die Zeitung nach dem Anschlag unerhoffte Unterstützung von Personen mit durchaus rassistischen Absichten – so etwa von Marine Le Pen vom rechtsextremen Front National, die von einem "Anschlag auf den französischen Laizismus" sprach. Auch der rechtskonservative Innenminister Claude Guéant – gegen den eine Strafanzeige wegen rassistischer Auslassungen läuft, zählt dazu. Er stattete der verwüsteten Reaktion einen symbolischen "Solidaritätsbesuch" ab.

Doch gegen diese politischen Vereinnahmungsversuche wehrte sich die Redaktion von Charlie Hebdo. Ende vergangener Woche erschien eine vierseitige Karikaturenbeilage des Satireblatts zu der Tageszeitung Libération, welche derzeit die Redaktion von Charlie Hebdo in ihren Räumen beherbergt.

Darin wird die plötzliche Gefühlsaufwallung von Claude Guéant für die Meinungsfreiheit sarkastisch hinterfragt – mit dem Hinweis, dass es Guéant war, der 2010 mehrfach Journalisten illegal abhören ließ, um "undichte Stellen" innerhalb der Regierung aufzuspüren. Nicht alle Umarmungsversuche sind also willkommen.

Vorerst wird Charlie Hebdo nun bei der sozialliberalen Tageszeitung Libération erscheinen. Das Pariser Rathaus hat bereits angekündigt, der Redaktion bei der Suche neuer Arbeitsräume zu assistieren.

Bernard Schmid

© Qantara.de 2011

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de