Abschottung statt Freihandel

Die 1995 in Leben gerufene "Euro-Mediterrane Partnerschaft" hatte sich neben Frieden und Stabilität in der Region auch die Einrichtung einer regionalen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 zum Ziel gesteckt. Davon sind die Partner jedoch weit entfernt. Bernhard Schmid mit Hintergründen

Proteste gegen die Politik der EU aus Anlass des Gipfels der Euromediterranen Partnerschaft in Barcelona 2005; Foto: AP
Proteste gegen die Abschottungspolitik der EU anlässlich des Gipfels der Euromediterranen Partnershaft in Barcelona 2005

​​Man kann sich des Eindrucks eines Déjà-Vus nicht verkneifen: Das Mittelmeer rückt in jüngster Zeit wieder ins Blickfeld der Politik einiger EU-Länder.

So haben der neue französische Präsident Nicolas Sarkozy und der italienische Regierungschef Romano Prodi am 28. Mai in Paris angekündigt, den Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum in naher Zukunft eine neue Priorität einzuräumen.

Anlässlich einer Pressekonferenz im Anschluss an ein Gespräch der beiden Politiker erklärte Prodi an jenem Abend, sieben "euro-mediterrane" Staaten sollten zu einer gemeinsamen Konferenz zusammentreten. Zu ihnen zählten Sarkozy und Prodi neben ihren eigenen Ländern auch Spanien und Portugal – auch wenn letzteres nicht ans Mittelmeer angrenzt -, Griechenland, Zypern und Malta.

Neue Vision von der "Mittelmeer-Union"

Das Ziel der gemeinsamen Anstrengungen solle die Bildung einer "Mittelmeer-Union" zusammen mit den Ländern auf der Süd- und Ostseite des Meeres bilden.

War da nicht schon mal was? Doch: Vor zwölf Jahren wurde mit viel Präsentationsaufwand und Getöse der "euro-mediterrane Dialog" ausgerufen. Auf der so genannten Europa-Mittelmeer-Konferenz vom 27. und 28. November 1995 in Barcelona wurde, begleitet von vielen Versprechungen über "interkulturelle Zusammenarbeit" und den Abbau von Vorurteilen, der Startschuss für die Herausbildung einer Freihandelszone rund um das Mittelmeer abgegeben.

Bevorzugtes Instrument dabei sollte der Abschluss bilateraler Abkommen zwischen der EU einerseits und jeweils einem Land vom Süd- oder Ostufer des Mittelmeers andererseits sein.

Mit allen am "Barcelona-Prozess" beteiligten Staaten sind inzwischen solche Abkommen geschlossen worden und in Kraft getreten, mit Ausnahme Syriens.

Auf ökonomischer Ebene sollte der Integrationsprozess ursprünglich der Bildung einer regionalen Freihandelszone bis zum Jahr 2010 dienen. Den beteiligten Staaten wurde ein anhaltendes Wirtschaftswachstum durch Steigerung ihrer Exporte versprochen.

Kritiker befürchteten hingegen, dass durch den Wegfall von früheren protektionistischen Schranken viele heimische Industrien – aufgrund ihrer geringeren Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Industrie im Norden – durch die Wettbewerber aus der EU "platt gewalzt" würden.

Keine Investitionen in Schlüsselindustrie

Dieser Prozess hat freilich erst begonnen. Bislang spielt eher die Ansiedlung von Industrie- und Dienstleistungsgewerben in ökonomischen "Nischen" der Länder wie Tunesien und Marokko, die sich schon früh an dem Prozess beteiligten, eine Rolle.

So ist die Ansiedlung von Call-Centers, die aus Europa ausgelagert wurden, in diesen beiden Staaten inzwischen ein wichtiger Wirtschaftszweig: Der Anteil der Maghrebländer Marokko und Tunesien am Umsatz der französischen Call-Center-Branche stieg von 4,7 Prozent im Jahr 2003 auf bereits 11,5 Prozent in 2005.

Callcenter in Deutschland; Foto: dpa
Callcenter können ohne Probleme vom Ausland aus arbeiten

​​Die Investitionen konzentrieren sich vorwiegend in solchen "Nischen"-Bereichen und im tertiären Sektor, nicht etwa in Schlüsselindustrien.

Im Prinzip ist die Bildung einer Freihandelszone nach wie vor denkbar, aber bei den versprochenen Ergebnissen wird ein bedeutender Rückstand verzeichnet. So hängt das Wachstum, das etwa in Marokko in den vergangenen beiden Jahren durchaus real war – 2006 erreichte es um die 6 Prozent, und die Arbeitslosigkeit ging deutlich zurück – vor allem am Tourismussektor. Die Industrie hingegen hinkt spürbar dahinter.

Konkurrenz aus China

Ursächlich dafür sind mehrere Faktoren: Zum einen hatte die Textilindustrie bis in jüngste Vergangenheit in Marokko und Tunesien, also in den beiden Ländern, die 1996 die ersten Assoziierungsabkommen mit der EU abschlossen, ein großes ökonomisches Gewicht.

Es ist aber seit dem Jahreswechsel 2004/05, mit dem Auslaufen des internationalen "Multifaserabkommens" zur Begrenzung der weltweiten Textilexporte, unter Druck geraten. Ausschlaggebend dafür ist vor allem die mächtige chinesische Konkurrenz, die seitdem eine Exportoffensive begonnen hat.

Der tunesische heimische Textilsektor hielt der "Dampfwalze", deren Herannahen viele Beobachter befürchtet hatten, allerdings etwas besser stand als zunächst angenommen.

Zum anderen hat die Landwirtschaft in jüngster Zeit keine Zuwächse erlebt, sondern einen deutlichen Rückschlag. Letzterer hängt freilich nicht unmittelbar mit den Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Maghrebländern und der EU zusammen, sondern vor allem mit der Dürreperiode in den letzten beiden Jahren.

Deshalb war auch der Disput um die Agrarexporte zwischen Marokko und Tunesien einerseits und den EU-Staaten andererseits in der jüngeren Periode nicht sonderlich virulent.

Importquoten im Norden

Strukturell ist der Konflikt nach wie vor vorhanden: Die beiden nordafrikanischen Länder würden gern ihren Anteil an Agrarprodukten, die sie zollfrei in die EU ausführen können, die aber dort strengen Importquoten unterliegen, ausweiten.

Hingegen besteht insbesondere Spanien, das um Marktanteile für ähnliche Landwirtschaftserzeugnisse konkurriert, darauf, dass diese Quoten nicht erhöht werden. Da die marokkanische und tunesische Landwirtschaft aufgrund von Hitze und Trockenheit im vergangenen Jahr einen starken Produktionsrückgang erlebten, stellte sich die Streitfrage nicht.

In den Jahren 2005 und 2006 sind die verzeichneten Investitionsabsichten in allen nordafrikanischen Ländern stark angestiegen. In Algerien, das sich seit Anfang des Jahrzehnts allmählich vom wirtschaftlichen Rückgang während der Bürgerkriegsjahre erholt, haben sich die Investitionen seit 2001 gar versechsfacht.

Dabei ist aber eine deutliche Verschiebung zu beobachten: Dominierend sind derzeit – zumindest bei den angekündigten Investitionen, die freilich erst noch realisiert werden müssen – nicht länger die EU-Länder. Vielmehr sind derzeit die Investoren aus den arabischen Golfstaaten, in geringerem Maße auch aus Ägypten, sowie aus Ostasien vorherrschend.

Anstieg des Süd-Süd-Handels

Stark im Kommen befindet sich dabei China. Unternehmen aus diesem Land bauen derzeit in Algerien an zahlreichen Infrastrukturprojekten, etwa im Wohnungs- und Straßenbau – und bringen dafür oftmals ihre eigenen Arbeitskräfte mit.

Die chinesischen Arbeiter schlafen häufig in Containern direkt auf oder neben den Baustellen und arbeiten im Drei-Schichten-Betrieb. Aus Kostengründen, aber auch aufgrund des befürchteten "Korruptionsrisikos" bei einheimischen Firmen, zieht die Regierung in Algier bei vielen Staatsaufträgen inzwischen chinesische Unternehmen vor.

Die Golfaraber und Ägypter ihrerseits investieren am stärksten in die Telekommunikation, etwa den Ausbau des Mobilfunksektors.

Grundsätzlich ist es zu begrüßen, dass der Anteil des "Süd-Süd-Handels" wächst und die einzelnen Mittelmeerstaaten nicht mehr auf eine ausschließlich bilaterale Beziehung mit Europa angewiesen sind. Dies sollte auch die Arroganz, die die EU häufig im Umgang mit den südlichen Anrainerländern des Mittelmeers an den Tag legt, mindern.

Doch im Einzelnen hat der chinesische Industrialisierungsmodus, der im Laufe einer "nachholenden Entwicklung" viele negative Erscheinungen des europäischen Industrialisierungsprozesses wiederholt und auf einer hyperintensiven Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft basiert, seinerseits viele hässliche Seiten.

Eine neue "Mittelmeerunion"

Manche EU-Regierungen haben anscheinend gemerkt, dass sie auf der anderen Mittelmeerseite politisch und ökonomisch an Boden verlieren. Auch aus diesem Grunde möchten Sarkozy und Prodi eine neue Mittelmeerpolitik der Union lancieren.

Französischer Präsident Nicolas Sarkozy; Foto: AP
Möchte den Beziehungen zwischen Europa und dem Mittelmeerraum in naher Zukunft eine neue Priorität einräumen: Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy

​​Ihre Initiative hat jedoch noch andere, eher innenpolitische Hintergründe. So hat Nicolas Sarkozy seine Idee einer neuen "Mittelmeerunion" erstmals am 7. Februar in Toulon lanciert, in einer Rede, in der er in weiten Teilen die französische Kolonialpolitik des vergangenen Jahrhunderts zu rehabilitieren versuchte.

Zumindest zum Teil knüpft Sarkozy politisch und ideologisch an diese Vergangenheit an. Die Wahl des Orts war dabei kein Zufall, denn die südfranzösische Großstadt zählt zu jenen Gebieten, in denen nach der Entkolonialisierung 1962 viele frühere Algerienfranzosen angesiedelt worden waren.

Zum anderen ist die Rede von einer neuen "Mittelmeerunion" für den französischen Präsidenten auch ein Mittel zum Zweck, die Türkei aus der EU herauszuhalten, da er erklärtermaßen einen türkischen Beitritt zur EU ablehnt.

Insofern hat er die Idee von der neuen "Union" bewusst auch als Gegenvorschlag zu einer möglichen EU-Integration der Türkei und anderer Länder lanciert, um letztere zu blockieren. Solche Hintergedanken sind der Vorstellung einer echten "Partnerschaft" sicherlich nicht dienlich.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2007

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