Partnerschaft im Schatten einer Bedrohung

Die türkisch-israelischen Beziehungen werden 60 Jahre alt. Am Anfang einer fruchtbaren, aber konfliktreichen Beziehung steht der Wille der Türkei, eine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt zu spielen. Doch dahinter verbirgt sich mehr als nur die Ambition, Frieden zu schaffen. Von Jan Felix Engelhardt

Die türkisch-israelischen Beziehungen werden 60 Jahre alt. Am Anfang einer fruchtbaren, aber konfliktreichen Beziehung steht der Wille der Türkei, eine Vermittlerrolle im Nahostkonflikt zu spielen. Doch dahinter verbirgt sich mehr als nur die Ambition, Frieden zu schaffen. Ein Rückblick von Jan Felix Engelhardt

Israels Präsident Shimon Peres beim türkischen Präsidenten Abdullah Gül in Ankara; Foto: AP
Die bis heute guten Beziehungen zwischen der Türkei und Israel auf militärischem und wirtschaftlichem Gebiet haben ihre Wurzeln in der wechselvollen Geschichte beider Staaten.

​​ Am 28. März 1949 erkennt das türkische Parlament Israel als souveränen Staat an - als erstes muslimisches Land überhaupt. Die jüdischen Gemeinden in Istanbul und anderen türkischen Städten feiern dieses Ereignis, kaum ein Jahr nach der Proklamation des jüdischen Staates.

In der Istanbuler Synagoge Neve Shalom findet extra ein Gottesdienst statt, jüdische Familien feiern die neue Freundschaft bis tief in die Nacht.

Denn trotz diskriminierender Minderheitengesetze in den Kriegsjahren, trotz Widerständen in Öffentlichkeit und Politik: die türkische Regierung Inönü knüpft 1949 enge Beziehungen mit dem jungen Israel. Wie kam es dazu?

Zweiter Weltkrieg. Obwohl die Türkei ein Verteidigungsbündnis mit Frankreich und England unterzeichnet hat, bleibt sie neutral und beteiligt sich nicht aktiv am Krieg. Viele Offiziere und Politiker sind von den militärischen Erfolgen Nazi-Deutschlands während der ersten Kriegsjahre beeindruckt, andere möchten sich nicht mit den Achsenmächten anlegen.

Gleichzeitig ist die Türkei die natürliche Brücke nach Palästina und damit Transitland der "Alija Bet", der illegalen Immigration europäischer Juden ins "gelobte Land".

Widersprüchliche Politik im Zweiten Weltkrieg

Die Türkei schwankt zwischen Unterstützung und Verhinderung der Flucht. Prominente jüdische Wissenschaftler erhalten bereitwillig Anstellung an türkischen Universitäten, während einfache Flüchtlinge keine Arbeitserlaubnis bekommen.

Türkische Diplomaten in Europa retten jüdische Familien vor den Nazis, während Istanbuler Behörden dem mit jüdischen Flüchtlingen überfüllten Schiff Struma jede Hilfe verweigern.

Roosevelt, Inönü und Churchill auf der zweiten Kairo Konferenz 4.-6.12.1943; Foto: Wikipedia
Strategisch wichtiger Partner im Zweiten Weltkrieg sowie im nachfolgenden "Kalten Krieg" - die türkische Regierung unter Inönü (im Bild zusammen mit Roosevelt und Churchill).

​​ Zwar verfassten Geschichtsschreiber in Israel und der Türkei den Fortsetzungsroman der osmanisch-türkischen Toleranz: zuerst die Aufnahme der sephardischen Juden ins Osmanische Reich 1492, dann der Schutz jüdischer Flüchtlinge und Bürger vor den Fängen der Nazis.

Doch die Politik der Türkei war weit widersprüchlicher. Mit ihrer neutralen Haltung tanzte die Regierung Inönü quasi auf dem diplomatischen Drahtseil. Erst als die Niederlage Nazi-Deutschlands absehbar wurde, stellte sie sich auf die Seite der Alliierten.

Die türkische Anerkennung Israels war also nicht durch die politische Vergangenheit motiviert. Ausschlaggebend war die zukünftige Rolle, die die Türkei im Nahen Osten und während des beginnenden Kalten Krieges spielen wollte, ja spielen musste.

Wichtigster politischer Grund war die Einbindung der Türkei ins westliche Bündnis, angetrieben von der Angst vor der Sowjetunion. Denn die Türkei stand ganz oben auf der "Wunschliste" Stalins und bekam dessen Machtanspruch direkt nach Ende des Zweiten Weltkrieges zu spüren.

Angst vor der sowjetischen Bedrohung

Juni 1945: die Sowjets fordern Kontrolle über den Bosporus und die Dardanellen, den einzig möglichen Zugang Russlands zum Mittelmeer, dem wirtschaftlich und militärischen Nadelöhr. Doch die Meerenge ist auch Lebensader der Türkei und führt direkt durch die größte Metropole des Landes: Istanbul. Beim Gedanken an sowjetische Kriegsschiffe im Herzen der Türkei bekommt die Regierung Inönü kalte Füße und sucht die Annäherung an die Westmächte.

Die reagieren zwar verschnupft ob der fehlenden Unterstützung der Türkei während des Krieges, messen ihr aber im Konflikt mit den Sowjets strategische Bedeutung zu. Truman-Doktrin und Marshall-Plan machen die Türkei zum Bollwerk gegen den Kommunismus.

Mit der antikommunistischen Haltung Inönüs ist auch die Ablehnung der Türkei gegenüber einem unabhängigen Judenstaat vor 1949 zu erklären.

Man fürchtete den sowjetischen Einfluss auf die Zionisten und stimmte 1947 gegen den Teilungsplan der UNO, der einen eigenständigen jüdischen Staat vorsah. Erst als die Judenverfolgung unter Stalin einsetzte und die arabischen Staaten sowjetische Unterstützung suchen, rückt eine Anerkennung Israels durch die Türkei näher.

Ankara als ehrlicher Makler

März 1949: Der israelische Staat ist gerade ein Jahr zuvor ausgerufen worden und befindet sich in Friedensverhandlungen mit den im Palästinakrieg geschlagenen arabischen Staaten.

Auch die Vereinten Nationen bemühen sich um Frieden in der Region. Die Schlichtungskommission der UNO (UNCCP) soll Araber und Israelis aussöhnen, das Flüchtlingsproblem lösen und den Status Jerusalems klären. Es verhandeln Delegationen aus Frankreich, den USA – und der Türkei.

Zwar scheitert die Mission, doch für die Türkei wird mit ihrer Teilnahme der Grundstein für die politisch wie wirtschaftlich fruchtbare Beziehung zu Israel gelegt. Ankara empfahl sich als ehrlicher Makler im arabisch-jüdischen Konflikt.

Als muslimisches, neutrales Land werde die Türkei von beiden Seiten als Verhandlungspartner akzeptiert. Schließlich habe man gute Beziehungen zu den arabischen Staaten, die schwere Zweifel an der Vermittlerrolle Frankreichs und der USA pflegten.

Die Vereinten Nationen setzen auf diesen Trumpf, auch weil führende israelische Politiker in der Türkei studiert und gearbeitet haben, darunter Ministerpräsident David Ben-Gurion und Außenminister Mosche Scharett. Gemeinsam mit Amerikanern und Franzosen nimmt die türkische Delegation um Hüseyin Cahit Yalçın ihre Arbeit auf.

Gemeinsam gegen den arabischen Sozialismus

Yalçın, über 70 Jahre alt und bekannter Publizist, findet bei Arabern und Israelis Gehör. Die Kommission verhandelt parallel in Jerusalem und auf Rhodos, da Israelis und Araber nicht zu gemeinsamen Gesprächen bereit sind.

Doch die anfänglichen Hoffnungen, den Konflikt durch Verhandlungen zu lösen, werden bald durch Widerstände von arabischer und israelischer Seite in Luft aufgelöst.

Auf einer in Lausanne abgehaltenen Konferenz können sich die Konfliktparteien lediglich auf vage Äußerungen zur Beilegung der Flüchtlinsfrage und zum Status Jerusalems einigen. Zwar setzt die Schlichtungskommission ihre Arbeit bis in die 60er Jahre fort, doch ihre Anstrengungen münden stets in diplomatischem Misserfolg.

Für die Türkei aber ist die Teilnahme an der Kommission der "erste Tanz auf internationalem Parkett" seit Kriegsende. Parallel zu den UN-Verhandlungen nähern sich die Türkei und Israel 1949 weiter an. Am 19. März treffen sich erstmals türkische und israelische Minister in Ankara.

Israels Außenminister Scharett und der türkische Handelsminister Barlas sprechen sich für enge ökonomische und kulturelle Beziehungen beider Länder aus. Grund dafür ist der wachsende arabische Sozialismus, dem Türken und Israelis ein Bündnis entgegensetzen wollen.

Auf dem Weg nach Westen

Hinzu kommt der Wille der Türkei, stärker im Westblock eingebunden zu sein. Zeitgleich zur türkisch-israelischen Annäherung befindet sich der türkische Außenminister Sadak in Washington, um bei der Weltbank über Kredite für die heimische Wirtschaft zu verhandeln.

Der Westen erwartet ein klares Signal, dass die Türkei seine Politik mitträgt – im Nahen Osten wie im Nordatlantikpakt, über den zur selben Zeit in Washington verhandelt wird und dem die Türkei wenige Jahre später beitritt.

Und die Türkei liefert den Beweis, verlässlicher Partner im Kalten Krieg zu sein: Am 24. März stimmt das türkische Parlament für die Anerkennung Israels, die am 28. März erfolgt.

Die türkischen Zeitungen titeln: "Wir haben den Staate Israel anerkannt", die jüdischen Gemeinden feiern. Der Grundstein für weitreichende militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit ist gelegt, die Türkei ist ein Stück weiter auf ihrem Weg nach Westen.

Jan Felix Engelhardt

© Qantara.de 2009

Jan Felix Engelhardt beschäftigt sich mit den türkisch-israelischen Beziehungen im Zuge des Research Masters am Institut für Nahoststudien der Universität Leiden.

Qantara.de

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