Das Ende der Pressefreiheit?

Die Pressefreiheit in Algerien, eingeführt 1988 und bislang fast einmalig in der arabischen Welt, ist ernsthaft gefährdet. Journalisten werden verhaftet, Zeitungen geschlossen. Bernhard Schmid mit Hintergründen.

Wahlen in Algerien, Foto: AP
Wahlen in Algerien 2004

​​Nach der Jugendrevolte vom Oktober 1988, die nach knapp drei Jahrzehnten das Ein-Parteien-Regime des FLN (Front de libération nationale, Nationale Befreiungsfront) zur Implosion brachte, wurde in Algerien die Pressefreiheit zeitgleich mit dem Mehrparteiensystem eingeführt. Seitdem herrschte in dem nordafrikanischen Land eine Zeitungsvielfalt und Pressefreiheit, die fast überall sonst in der arabischen Welt - ausgenommen im Libanon - und auf dem afrikanischen Kontinent - mit Ausnahme Südafrikas - ihresgleichen suchte.

Auch in den Jahren des Bürgerkrieges, von 1992/93 bis 1998, konnte diese Errungenschaft de facto verteidigt werden, freilich um den Preis von über 60 getöteten Journalisten in den ersten vier Konfliktjahren. Jetzt aber scheint sie ernsthaft gefährdet.

Ohne weiteren Kommentar fiel das Urteil: Zwei Jahre Haft ohne Bewährung! Damit bestätigte das Appellationsgericht von Algier am 11. August den Richterspruch aus erster Instanz, der Mitte Juni 2004 im hauptstädtischen Bezirk El-Harrasch gefällt wurde. Mohammed Benchicou, der Herausgeber der postkommunistisch-republikanischen Tageszeitung Le Matin, bleibt damit in Haft.

Die Karikaturisten der algerischen Presse zeichnen am folgenden Vormittag ausnahmslos Richter, die entweder an Marionettenschnüren hängen oder an der Telefonstrippe - um sich die Anordnungen der politischen Machthaber geben zu lassen.

"Klatschweiber im Dampfbad"

Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika der im April dieses Jahres wieder gewählt wurde, legt nur eine begrenzte Wertschätzung für die Pressefreiheit an den Tag: Während seines ersten Präsidentschaftswahlkampfs im Frühjahr 1999 hatte er kritische Journalisten öffentlich als "Klatschweiber im Dampfbad" abgetan. Bei anderer Gelegenheit merkte er einige Zeit später an, "die Terroristen mit der Feder" seien genauso schlimm wie "jene mit dem Schwert".

Am 17. Mai 2001 verabschiedete er neue restriktive Bestimmungen im Strafrecht, die vor allem hohe Geldstrafen sowie drei- bis zwölfmonatige Haft im Falle von Beleidigung des Präsidenten oder der Staatsorgane vorsehen. Daraufhin häuften sich bis 2003 die Prozesse, die durch Klagen des Verteidigungsministeriums ausgelöst wurden.

Der berühmte, den Militärs ebenso wie den Islamisten und dem Präsidenten gegenüber völlig respektlose Karikaturist Ali Dilem (Zeichner der Tageszeitung Liberté) etwa wurde mehrfach angeklagt.

Repression gegen Journalisten

Bei Benchicou, der unter anderem in Konflikte mit dem Innenminister Yazid Zerhouni verstrickt war und den eine heftige persönliche Animosität mit Präsident Bouteflika verband, verfuhr man anders. Er wurde nicht etwa aufgrund eines Presse- oder Meinungsdelikts angeklagt und hinter Schloss und Riegel gesetzt, sondern unter dem Vorwand, er habe eine "unpolitische" Straftat in Gestalt eines Finanzvergehens begangen.

Am 23. August 2003 war Benchicou, anlässlich seiner Rückkehr aus Paris, am Flughafen von Algier durch die Grenzpolizei festgehalten worden. Dabei wurden bei ihm so genannte bons de caisse gefunden, Bankobligationen, mit denen man sich ein bis zu zwei Jahre lang eine festgelegte Summe am Bankschalter ausbezahlen lassen. Die Grenzpolizei stellte einen "Verstoß gegen die Wechselgesetze", die den illegalen Kapitalexport behindern sollen, fest.

Die Sache hat nur mindestens zwei Haken. Erstens wurden die Bankpapiere, die der Chefredakteur bei sich trug, nicht bei der Ausreise, sondern bei der Rückkehr nach Algier in seiner Aktentasche gefunden - er kann also kaum Gelder illegal außer Landes geschafft haben. Zweitens sind die Obligationspapiere in algerischen Dinar abgefasst, und deswegen in keinem anderen Land einlösbar. Damit kann eine illegale Kapitalausfuhr quasi ausgeschlossen werden.

Zeitungsschließung als Racheakt

Seit Anfang August 2004 sitzt nun nicht nur ihr Chefredakteur in Haft, sondern es musste auch die Zeitung Le Matin ihr Erscheinen einstellen. Staatliche Finanzämter hatten Steuerrückstände geltend gemacht, die in der Vergangenheit de facto durch das Regime bei den privaten Zeitungen nie eingetrieben wurden - die aber nun, in angespannteren Zeiten, zu einer Waffe gegen diese zu werden drohen.

Die Behörden setzen eine extrem kurze Zahlungsfrist und leiteten alsbald in Rekordzeit die Zwangsversteigerung des Redaktionsgebäudes von Le Matin ein. Die Redaktion fand sich ohne Sitz und ohne Geld, aber mit Schulden wieder. Am 3. August 2004 erschien die letzte Druckausgabe.

Viele Journalisten sind betroffen

Doch Benchicou und seine Redaktionskolleginnen und -kollegen sind keineswegs die einzigen algerischen Journalisten, denen es derzeit an den Kragen geht. Der Korrespondent mehrerer algerischer Tageszeitungen und Aktivist einer Menschenrechtsvereinigung im 300 Kilometer südlich von Algier gelegenen Djelfa, Ghoul Hafnaoui, etwa wurde am im Juni 2004 zu einer zweimonatigen Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt, weil er örtliche Honoratioren beleidigt habe.

Er hatte auf Versäumnisse aufmerksam gemacht, die zum Tod von dreizehn Säuglingen in einem örtlichen Krankenhaus führten. Im Berufungsverfahren im Juli wurde die Strafe gleich auf drei Monate erhöht; zugleich wurden 39 weitere Klagen von Nomenklaturisten und Honoratioren eingereicht.

Am 10. August 2004 trat Hafnaoui in einen Hungerstreik, den er aufgrund seiner akuten gesundheitlichen Gefährdung zwei Wochen später abbrechen musste. Nunmehr nähert sich seine bisherige Freiheitsstrafe Mitte September einem Ende, doch Ende September warten bereits zwei neue Prozesse auf Ghoul Hafnaoui.

Am 28. Juni wurde in Oran der Direktor der Zeitung Er-Rei El-Aam, (Die öffentliche Meinung), der gemäßigte Islamist Ahmed Bennaoum, inhaftiert, weil Honoratioren eine Anzeige gegen ihn erstattet hätten. Und am 30. Juni schließlich entzog die algerische Regierung dem in Qatar ansässigen Fernsehsender Al-Jazira die Akkreditierung, so dass ihr Korrespondent, der algerische Staatsbürger Mohammed Daho, nicht mehr legal tätig sein kann.

Das Regime störte sich an Diskussionssendungen, in denen unwahre Behauptungen über Algerien verbreitet worden seien. Die Arbeit des Korrespondenten Mohammed Daho selbst, der in seiner Arbeit immer darauf bedacht war, unauffällig zu bleiben und nicht anzuecken, wird nicht beanstandet.

Bernhard Schmid

© Qantara.de 2004