Pluralität der Muslime wahren

Die Islamkonferenz hat abermals gezeigt: Die Debatte um die Institutionalisierung des Islams in Deutschland in Form einer Dachorganisation wirft nicht nur Fragen nach der tatsächlichen Repräsentativität dieser Vertretung auf. Sie birgt auch die Gefahr der politischen Instrumentalisierung. Loay Mudhoon kommentiert.

Von Loay Mudhoon

Das erste konkrete Ergebnis der Deutschen Islamkonferenz (DIK) liegt nun vor: An deutschen Schulen soll in den nächsten Jahren islamischer Religionsunterricht eingeführt werden. Darauf konnten sich die an der Konferenz teilnehmenden Vertreter des Staates und der Muslime einigen – trotz teils heftiger Kontroversen. Denn nicht wenige muslimische Teilnehmer setzten sich für eine andere Form des Unterrichts ein: für die neutrale Islamkunde, die in der Hälfte der Bundesländer schon angeboten wird.

Bundesinnenminister Schäuble will den Islamunterricht als klares Zeichen verstanden haben, das die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft fördern soll. Dennoch musste er seinen Vorstoß, aufgrund zahlreicher offener Fragen und möglicher "Begleitrisiken", schnell einschränken und einräumen, dass die zentrale Voraussetzung für die Einführung des Islamunterrichts zurzeit nicht erfüllt ist.

Wer spricht für den Islam in Deutschland?

Dieser Schritt setzt nämlich die Anerkennung einer muslimischen Dachorganisation als Körperschaft des öffentlichen Rechts voraus, eine Kernforderung der vier großen, mehrheitlich konservativen muslimischen Verbände – Zentralrat, Islamrat, DITIB und VIKZ –, die sich im März 2007 im "Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland" (KRM) zusammengeschlossen haben und seitdem die Regeln des Aushandlungsprozesses für einen gesellschaftlichen Konsens über die Einbürgerung des Islam zu bestimmen versuchen – obwohl sie kaum mehr als zehn Prozent aller Muslime vertreten.

Als Nebeneffekt rückte Schäuble unfreiwillig die zentralen Fragen des Institutionalisierungsprozesses des Islam in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte: Wer hat die Deutungshoheit über den deutschen Islam und wer spricht für die deutschen Muslime? – aber der Reihe nach.

Islamunterricht statt Islamkunde

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (links) und Bekir Alboga, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime in Deutschland; Foto: AP
Bundesinnenminister Schäuble will den Islamunterricht als klares Zeichen verstanden haben, das die Integration von Muslimen in die deutsche Gesellschaft fördern soll.

​​

Selbstverständlich darf der nun anvisierte islamische Religionsunterricht, was Islaminterpretation, Lehrinhalte und Erziehungsziele anbelangt, nur unter Aufsicht des Verfassungsstaates und von in Deutschland ausgebildeten Lehrern erteilt werden. Alles andere wäre schlicht fahrlässig und mit dem Grundgesetz kaum vereinbar.

Ob diese Form des Islamunterrichts in den öffentlichen Schulen allein "Hasspredigern Konkurrenz machen kann", wie es sich Schäuble erhofft, dürfte allerdings mehr als fraglich sein, da die realen Ursachen der Radikalisierung in der Regel zu vielschichtig und komplex sind, um sie mit einer einzigen Maßnamen bekämpfen zu können.

Das Dilemma der fehlenden einheitlichen Vertretung

Dass der Verfassungsstaat den Wunsch nach einem repräsentativen Ansprechpartner für alle Muslime hegt, ist verständlich, gerade wenn man bedenkt, dass er auf verbindliche Absprachen mit Vertretern relevanter gesellschaftlicher Gruppen angewiesen ist. Dennoch dürfte dieser Wunsch im Rahmen der Islamkonferenz und in seiner jetzigen Form kaum zu realisieren sein – nicht nur, weil der Islam keine kirchlichen Strukturen kennt, sondern, weil die bisherigen Debatten eindrucksvoll zeigten, dass unter den muslimischen Vertretern noch keine substanzielle Einigkeit darüber besteht, die Werteordnung des Grundgesetzes in seiner Ganzheit anzuerkennen, insbesondere von Vertretern des Verbandsislam.

Es ist offensichtlich, dass die Frontlinien in der Auseinandersetzung um die "Einbürgerung des Islam" in Deutschland seit Einberufung der Deutschen Islamkonferenz vor anderthalb Jahren nicht zwischen dem säkularen Staat und den an der Konferenz teilnehmenden Vertretern der Muslime verlaufen. Vielmehr verlaufen die Konfliktlinien um die Deutungshoheit über den "deutschen Islam" und das muslimische Leben zwischen den Funktionären der Islamverbände und den liberalen, nichtorganisierten Muslimen, die längst in der deutschen Werteordnung angekommen sind und den Islam als wichtigen Teil ihrer kulturellen Identität begreifen.

Pluralität der Muslime wahren

Die Kritik an der momentanen Konstruktion der Deutschen Islamkonferenz sollte natürlich darüber nicht hinwegtäuschen, dass der schwierige Dialog mit den heterogenen Vertretern der Muslime alternativlos ist und bleibt. Außerdem sollte die Angst vor dem islamistischen Terrorismus diesen Dialog nicht begründen, sondern das Eigeninteresse des Staates am gesellschaftlichen Frieden und der Integration der Muslime in Deutschland.

Der Wunsch nach Institutionalisierung des Islam in Deutschland in Form einer einzigen Dachorganisation wirft nicht nur Fragen nach der tatsächlichen Repräsentativität dieser politisch erwünschten Einzelvertretung auf, sondern birgt auch die Gefahr der politischen Instrumentalisierung in sich. Aus diesem Grunde wäre es gewiss aus der Sicht des Staates sinnvoll, den Verbandsfunktionären die Deutungshoheit über den Islam nicht allein zu überlassen, größere Offenheit gegenüber den kritischen und nichtorganisierten muslimischen Stimmen zu wagen - und sich um die Wahrung der Pluralität der Muslime mehr zu bemühen.

Denn nur diese innerislamische Pluralität bietet den dringend benötigten Schutz vor politischer Instrumentalisierung, der im Sinne unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung ist.

Loay Mudhoon

© Qantara.de 2008