Wie gemäßigt ist die indonesische Gesellschaft?

Indonesien, der bevölkerungsreichste unter den islamischen Staaten, tut sein Möglichstes, um sich als führender Staat eines gemäßigten Islam in Asien zu positionieren. In diesem Jahr finden die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Ein Bericht von Stephen Fleay.

Miss Inul, Foto: dpa
Miss Inul

​​Im kommenden Frühjahr werden in Indonesien Parlaments- und Präsidentschaftswahlen abgehalten, und die erste Direktwahl eines Präsidenten wird in zwei Runden, im Juni und September, stattfinden. Die Themen des Wahlkampfes umfassen ein breites Spektrum, angefangen von der weitverbreiteten Korruption bis hin zu einer Kampagne der öffentlichen Moral mit stark religiösen Untertönen.

Unterhaltungskultur gegen streng religiöse Moralvorstellungen

Die Sängerin Miss Inul ist eine der populärsten Figuren des öffentlichen Lebens in Indonesien, besser bekannt als „the Driller“. Die Gründe liegen auf der Hand: Ihre Songs tragen Titel wie „Shake it, shake it“.

Miss Inuls äußerst suggestive Hüftbewegungen im indonesischen Fernsehen sorgten für Aufruhr unter Politikern der eher konservativen Religionsparteien, so dass sie selbst zu einem Wahlkampfthema in dem islamischen Staat mit der größten Bevölkerungsdichte avancierte.

Falls die derzeitige indonesische Regierung wiedergewählt werden sollte, würden unverhohlene sexuelle Anspielungen in der Öffentlichkeit mittels einer Gesetzgebung der öffentlichen Moral, wie sie von Teilen der Regierung beabsichtigt wird, verboten werden. Eheähnliche Lebensgemeinschaften und bestimmte sexuelle Neigungen würden unter hohe Strafen gestellt. Viele sind der Meinung, dass dies einen Verstoß gegen grundsätzliche Menschenrechte darstellen und der Scharia sehr nahe kommen würde. Miss Inul selbst, die eine außerordentliche Popularität bei der Bevölkerung genießt, würde nicht nur arbeitslos, sondern auch ins Gefängnis geworfen. Natürlich wäre dies der „worst case“, je näher aber die Wahlen rücken, desto deutlicher zeigt sich auch ein gemäßigterer Islam, mit dem immer mehr sympathisieren.

Ein moderater Religionsführer als Popstar

Mit beinahe Messias-ähnlichen Eigenschaften beruhigt Abdullah Gymnastiar, liebevoll Aa Gym genannt, die Massen mit Liedern und Versen. In einem Staat, der in den letzten Jahren mit beträchtlichen Problemen zu kämpfen hatte, zieht Aa Gym in seinen weitschwingenden weißen Roben überall große Menschenmengen an, wenn er den Frieden predigt.

Würde Aa Gym für das Parlament kandidieren, so würde er mit großer Wahrscheinlichkeit gewählt. Viele würden diesen moderaten Religionsführer sogar zu ihrem Präsidenten machen. Fast täglich sieht man ihn im Fernsehen, kann man seine Reden im Radio hören und seine Artikel in den Zeitungen lesen. Abdullah Gymnastiar verfügt über eigene Radio- und Fernsehstationen, veröffentlicht Bücher und hat gerade seinen eigenen Internet-Server gestartet. Er ist überall präsent und weithin bekannt. Doch wird er für das Parlament kandidieren?

Abdullah Gymnastiar, Foto: dpa
Abdullah Gymnastiar

​​Aa Gym selbst sagt, seine wichtigsten Anliegen seien Frieden und Harmonie für das indonesische Volk. „Ich möchte das indonesische Volk darin unterstützen, eine positive Zukunftsvision zu entwickeln“, sagt er. „Ich wünsche mir, dass die Leute zueinander finden und Indonesien zu einem großartigen Land machen. Ich möchte nicht in die Politik gehen.“

Der muslimische Geistliche Aa Gym wird also bei den anstehenden Wahlen nicht kandidieren, es ist jedoch, wie seine engeren Vertrauten verlauten lassen, sehr wahrscheinlich, dass er sich gegen Ende dieses Jahrzehnts stärker der Politik zuwenden wird.

Die australische Angst vor einer aggressiven islamischen Regierung

Unterdessen ist in Australien Besorgnis bezüglich einer “Bedrohung durch eine aggressive islamische Regierung in Indonesien“ laut geworden.
Berichten zufolge erklärte Bob Carr, Premier von Neu-Süd-Wales , dass sich Australien verstärkt mit Bedrohungen der eigenen Sicherheit in der Region beschäftigt.

Wie auch immer: Der einzige “radikale” muslimische Geistliche, der über genügend Anhänger verfügen würde, das Ergebnis der anstehenden Wahlen zu beeinflussen, ist Abu Bakar Ba´asyir. Allerdings sitzt der als Anführer der terroristischen Gruppierung Jemaah Islamiah Beschuldigte wegen Einwanderungsvergehen in Haft, und er wird wohl auch bis nach den Wahlen hinter Gittern bleiben.

Radikale Muslime brachten Suhartos Diktatur zu Fall

Es waren die Studenten - viele wurden als radikal bezeichnet -, die dazu beigetragen haben, Präsident Suhartos Regime zu beenden. 1998 gingen Tausende in Jakarta auf die Straße, um gegen die Staatsgewalt zu kämpfen. Suharto trat zurück und ebnete somit den Weg zu dem, was viele als Indonesiens erste wirkliche Demokratie ansehen.

Dr. Amin Aziz, Tutor an der Universität Bandung, meint, dass der neue Modus getrennter Parlaments- und Präsidentenwahlen zu Verwirrung führen könnte: „ In den kommenden Wahlen wird ein neues Wahlsystem umgesetzt. Es unterscheidet zwischen Parlaments– und Präsidentschaftswahlen. Das ist neu in Indonesien, und man kann nicht erwarten, dass alle Leute verstehen, wie das funktioniert. Bislang haben wir nicht Kandidaten gewählt, sondern Parteien. Die Medien sollten die Leute darüber informieren und somit dazu beitragen, dass es eine erfolgreiche Wahl wird.“

Allein eine Wahl mit Millionen von Wählern an den Wahlurnen zu organisieren, erfordert einen beachtlichen Aufwand. Dieses aber für zwei oder drei Durchgänge beider Wahlen zu bewerkstelligen, ist eine immense Aufgabe.

Der zukünftige Präsident braucht nur Abitur

Nichtsdestotrotz gibt es einige Fehler im System. Wie Chusnul Mari'yah, Mitglied des indonesischen Wahlausschusses, erläutert, muss der zukünftige Präsident keinen Universitätsabschluss besitzen. „Das ist der Unterschied zwischen einer politischen und beruflichen Karriere. Ein Lehrer im Kindergarten benötigt einen Universitätsabschluss. Er oder Sie muss die Universität für mindestens zwei Jahre besucht haben. Aber der Präsident braucht lediglich einen Oberschulabschluss, das ist alles.“

Wer wird also der nächste Präsident der Republik Indonesien? Zur Wahl stehen interessante Kandidaten, darunter auch Vertreter langjähriger Präsidentendynastien.

In den vergangenen Jahren hatte Präsidentin Megawati Sukarnoputri das Amt inne, nun sind zwei weitere Töchter Sukarnos, Schwestern Megawatis, für verschiedene Parteien beim Rennen um das Präsidentenamt dabei. Ihr Bruder ist Mitglied des derzeitigen Parlaments.

Die Tochter des früheren Präsidenten Suharto, Siti Hardiyanti Rukmana, auch „Tutut” genannt, wurde als Überraschungskandidatin gehandelt und löste damit zahlreiche Spekulationen um die mögliche Rückkehr der Suharto-Getreuen aus. Bruder Tommy Suharto wird nicht dabei sein – er sitzt in Haft wegen eines Auftragmordes an einem Richter.

Politischer Einfluss des Militärs hat Tradition

Auch mehrere Generäle machen sich Hoffnungen auf das höchste Amt. Seit langem besitzen die indonesischen Militärs Einfluss auf die Regierung.

Ebenso bewerben sich ein Medienmogul und ein Comedy-TV-Star um das Amt. Durch die über 20 Parteien, die in den Wahlkampf gehen, wird es wohl ein recht großes Aufgebot für die Präsidentenwahl geben.

Die Wahl wird weltweit Aufmerksamkeit hervorrufen

Außer dem Wahlausschuss existiert ein neu gegründetes Korruptionskomitee, um den Präsidentschaftskandidaten auf den Zahn zu fühlen. Ohne Zweifel wird es auch unabhängige Wahlbeobachter außerhalb Indonesiens geben. Nicht nur hier wird die Wahl genauestens verfolgt werden, sondern in der ganzen Welt.

Beobachtern zufolge deuten die Anzeichen auf eine Rückkehr der Präsidentin Megawati Sukarnoputri, doch viele Probleme sind ungelöst, z.B. die heimtückische Militärkampagne gegen Separatisten in der nördlichen Provinz Aceh. Auch gegen abtrünnige Splittergruppen in Papua am anderen Ende des indonesischen Archipels wird hart vorgegangen. Auf den Molukken halten die Unruhen zwischen religiösen Gruppierungen an.

Armut ist das dringendste Problem

Der Kampf gegen Korruption und Terrorismus geht weiter. Wer auch immer die Macht in dem bevölkerungsreichsten islamischen Land haben wird, der muss sich mit einem offensichtlichen und drängendem Problem auseinandersetzen: das der extremen Armut der vergessenen unteren Schichten.

Stephen Fleay

Aus dem Englischen von Helen Adjouri

© DEUTSCHE WELLE/DW-WORLD.DE 2004

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