Warten auf die afghanische Apokalypse

Mit "Osama" hatte der afghanische Regisseur Siddiq Barmak zahlreiche internationale Preise gewonnen. Mit der erbarmungslosen, aber phantasievollen Umsetzung seines neuen Films "Opium War" demaskiert der Regisseur das Grauen der afghanischen Realität. Von Martin Gerner

​​ Dieser Film ist wie die Tiefen der afghanischen Seele. Erfüllt von der Erfahrung unermesslichen Schmerzes und doch nicht verlegen um einen Witz. Eine Tragik-Komödie angesichts der US- und internationalen Militärpräsenz in Afghanistan, die schlau genug ist, ihre Kritik in Humor zu hüllen. Über weite Strecken gelingt das, wenn auch nicht immer.

Der Erfolgsdruck war groß auf Regisseur Siddiq Barmak. Nach "Osama" erwartete die internationale Filmszene einen neuen Paukenschlag von dem 46-jährigen Autor. Als "Opium War" Ende Oktober beim Filmfestival in Rom mit dem "Goldenen Marc Aurel" für den besten Film ausgezeichnet wurde, wich zumindest ein wenig Last von Barmak.

Der Mensch als Mensch im Grauen des Krieges

Für den Zuschauer braucht es einen Moment, bis er bereit ist, sich auf die Fiktion einzulassen. Die afghanische Wirklichkeit lastet schließlich wie Blei auf dem Gemüt eines jeden politisch halbwegs informierten Kinogängers.

Zwei US-Soldaten stehen im Mittelpunkt des Films, ein weißer Offizier und sein farbiger Adjutant. Zusammen haben sie einen Hubschrauber-Absturz knapp überlebt. Bald werden aus den Helden schwächelnde Opfer. Zugleich bekommen die starren Soldatenmasken menschliche Züge. Dies ist Barmaks Traum, "die humane Seite" der Menschen zu zeigen, die in Krieg und Kriegshandlung verwickelt werden.

Dann nimmt die Groteske ihren Lauf: Kinder und Frauen stellen sich den US-Soldaten furchtlos in den Weg. Das Gewehr nutzen diese nur noch als Fernrohr. Sogar ihr Hubschrauber-Wrack wird zur Beute der ansässigen Bauernfamilie, die es als Not-Behausung nutzt.

Die Phantasie demaskiert die Dumpfheit des Realen

Aus dieser Absurdität erwachsen viele starke Bilder. Indem über das Unmögliche phantasiert wird, vermittelt sich die Dumpfheit des Realen.

​​ Die Umkehrung der Rollen ist gleichwohl nicht total. Die afghanische Familie, die unter einem sowjetischen Panzer in einem Erdloch wohnt, bleibt auf der Schattenseite des Lebens. Von der Ernte ihres Schlafmohnfeldes kann sie nicht leben.

Weil der Vater Schulden hat, muss er seine Tochter an bewaffnete Milizionäre verheiraten, die in grünen Burkas aus dem Nichts auftauchen. Sind es Taliban oder Al Qaida-Kämpfer? "Es könnten genauso gut Mujaheddin oder einfache Kriminelle sein", erklärt Barmak und verweis so auf das real herrschende Chaos im Lande, in dem es keine Sicherheit gibt.

Die Bewaffneten in den Burkas verschwinden so rasch wie sie aufgetaucht sind. Der Regisseur belässt es hier wie anderswo bei Andeutungen. Das wirkt fragmentarisch, es bleiben Rätsel zurück.

Hat der Mensch als Gattung versagt?

Eine Auszeit nimmt die Komödie als sowohl der US-Offizier wie der alte Afghane anfangen über Apokalypse und ein 'globales Armaggedon' zu sinnieren. "Als Menschen haben wir uns als untauglich erwiesen, diesen Planeten zu verwalten", philosophiert der eine. "Why is god?" (Warum gibt es Gott), fragt der Andere.

Das ist düstere Prophezeiung. Glaubt man Barmak, so gibt der Film die aktuelle Stimmungslage in Afghanistan wieder. Zugleich spiegeln sich hier jahrzehntelange Entbehrung und enttäuschte Hoffnungen. Der alte Mann im Film weiß immerhin: "Die Amerikaner werden irgendwann gehen, wie die Russen."

​​ Dieser Film lässt einen ohnmächtig zurück. Als reiste man selbst durch die widersprüchliche Wirklichkeit Afghanistans. Gegen die Fülle der Probleme scheint es keinen Ausweg zu geben. Und alle Not ist menschengemacht.

Linderung aus der Katastrophe verspricht allein das Opium. Die gestrauchelten US-Helden wie die afghanischen Bauern betäuben sich wechselseitig damit. Den Schmerz ersticken – eine nachvollziehbare Schwäche angesichts des Leids.

Das Kind in der Wahlurne

"Is this doomsday?" (Ist das der Tag des jüngsten Gerichts?), fragt eine afghanische Frau als ein Hubschrauber droht, ihr Haus mit davonzutragen. Esel kommen mit riesigen Wahlurnen auf dem Rücken über die Berge. Anzugträger mit schwarzen Brillen, die die Kabuler Mafia verkörpern, erscheinen als Herolde der neuen Demokratie. Aber der Akt der freien Wahl funktioniert alles andere als reibungslos. Im Staub gebiert eine schwangere Frau ein Kind. Statt Stimmzetteln wird das Neugeborene in die Wahlurne gelegt. Eine poetisch-bittere Klage über die unfertige Demokratie, die nach Afghanistan importiert worden ist.

Ob sich soviel Symbolik auch einem größeren Publikum erschließt, bleibt abzuwarten. Anfang 2009 soll "Opium War" in die europäischen Kinos kommen.

In jedem Fall hat Barmak Mut bewiesen. Es gibt wenige Filmemacher, die ihr Thema so frontal angehen. Schließlich gibt es etwas zu verlieren. Nach wie vor gilt: die US-Regierung ist der Koch in Afghanistan. Alle Anderen im besten Fall Kellner.

Martin Gerner

© Qantara.de 2008

Qantara.de

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