Beschädigtes Image

Die vom Pew-Institut veröffentlichte Studie zur gegenseitigen Einschätzung von Menschen aus dem Westen und von Muslimen gelangt zu dem Ergebnis, dass das Verhältnis beider Gruppen nach wie vor stark belastet ist. Ein Kommentar von Ülger Polat.

Die jüngst vom Washingtoner Pew-Institut veröffentlichte Studie zur gegenseitigen Einschätzung von Menschen aus den westlichen Industrieländern und von Muslimen gelangt zu dem Ergebnis, dass das Verhältnis beider Gruppen nach wie vor stark belastet ist. Ein Kommentar von Ülger Polat.

Musliminnen feiern; Foto: Ikhlas Abbis
Laut der PEW-Studie glauben Europäer, Muslime seien fanatisch, gewalttätig und verfügten über ein Defizit an Toleranz

​​Es wurden sowohl Europäer bzw. Nordamerikaner als auch Muslime, die in Europa, in den arabischen Ländern, in Nordafrika oder in Indonesien leben, zu ihren Einstellungen gegenüber dem Westen, dem Islam sowie dem brisanten Thema des islamisch fundamentalistisch motivierten Terrorismus befragt.

Die Ergebnisse belegen augenscheinlich, dass unter Muslimen in Europa ein weitaus positiveres und differenzierteres Bild gegenüber dem Westen vorherrscht als unter Muslimen in muslimischen Ländern. Diese 'positive' Einstellung bekunden die europäischen Muslime dadurch, dass sie die Menschen aus den westlichen Industrieländern als ehrlich, tolerant und respektvoll gegenüber Frauen erachten.

Demgegenüber schätzt eine Mehrheit der Muslime aus den muslimischen Ländern die Menschen im Westen als egoistisch, selbstsüchtig, unmoralisch, aber auch als gewalttätig und fanatisch ein.

Deutsche Spitzenreiter bei Negativbild

Umgekehrt lassen sich auch die Bevölkerungen der westlichen Industrieländer tendenziell eher von negativen Einschätzungen gegenüber Muslimen leiten und räumen einem friedlichen Zusammenleben nur geringe Chancen ein.

Die Studie spricht auch hier deutliche Worte: Muslime seien fanatisch, gewalttätig und verfügten über ein Defizit an Toleranz, so die auf breiter Basis erhobene Meinungsbekundung. Zu denken gibt insbesondere, dass sich unter den befragten Europäern die Deutschen diesem Urteil an erster Stelle anschließen.

Auch in dem Glauben der Deutschen, dass es natürlicherweise einen Konflikt zwischen muslimischen Lebensweisen und dem Leben in einer modernen westlichen Gesellschaft geben müsse – und das, obwohl die meisten Muslimen in Deutschland der Untersuchung zufolge einen solchen Konflikt nicht einmal für gegeben halten – übertreffen sie die übrigen Europäer.

Wie lässt sich dieses negative Image von Muslimen in Deutschland erklären, wo glücklicherweise keine islamistischen Anschläge verübt wurden und islamistische Gruppen, die von Al-Qaida unterstützt werden, unter muslimischen Migranten nur wenige Sympathisanten fanden? Warum stechen gerade die Deutschen vor den Franzosen und Briten mit dieser Einschätzung hervor?

Medien behindern Annäherung von Deutschen und Muslimen

In Zeiten, in denen der medialen Vermittlung von kollektiven Meinungen und Gefühlen ein vorrangiger Stellenwert eingeräumt werden muss, schlagen hier einseitig und emotional geführte Debatten etwa über Zwangsverheiratungen von und Ehrenmorde an türkischen Frauen, über unbändiges und kriminelles Verhalten von muslimischen Jugendlichen in deutschen Schulen (z.B. in der Rütli-Schule in Berlin), über die Einführung von Gesinnungstests am Beispiel von Baden-Württemberg sowie über den EU-Beitritt der Türkei zu Buche.

Indem diese Debatten in den letzten Monaten immer wieder im Mittelpunkt der deutschen Aufmerksamkeit stehen, behindern sie eine differenziertere Wahrnehmung und eine Annäherung von Deutschen und Muslimen.

Sie vertiefen das Negativbild von Muslimen, die ohnehin als nicht zivilisiert, antidemokratisch, verfassungs- und frauenfeindlich sowie intolerant gegenüber anderen Religionen gelten. Damit wurden sie in der deutschen Öffentlichkeit zugleich als ein möglicher Risikofaktor für die innere Sicherheit stilisiert.

Abneigung gegenüber Muslimen

Obgleich die Ressentiments gegenüber muslimischen Migranten in Deutschland schon eine Tradition haben, lässt sich eine neue Entwicklung in Deutschland darin verzeichnen, dass gesamtgesellschaftliche Probleme und soziale Missstände pauschal auf muslimische Migranten bzw. auf den Islam übertragen werden.

Imam-Ali-Moschee in Hamburg; Foto: Ikhlas Abbis
Neben der Bekämpfung von sozialer Benachteiligung von muslimischen Migranten muss eine Politik eingeleitet werden, die einen interkulturellen und interreligiösen Dialog in Deutschland fördert, meint Ülger Polat

​​Bereits in den 90er Jahren zeigte eine von der Gesellschaft Sozialwissenschaftlicher Infrastruktureinrichtungen e.V. durchgeführte "Allgemeine Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften" (ALLBUS), dass die überwiegende Mehrheit der Deutschen eine Abneigung gegenüber Muslimen hegt und sie sich noch weniger als Nachbarn oder als Familienmitglied wünscht als Italiener oder deutschstämmige Aussiedler aus Osteuropa.

Das Erstaunliche dabei ist, dass somit die Ressentiments gegenüber Muslimen schon in Zeiten vorhanden waren, als weder ein islamistischer Terrorismus noch ein Scheitern der Integration von muslimischen Migranten die öffentlichen Debatten beherrschten.

Interkultureller Dialog erforderlich

Die Ursachen bleiben dieselben: Seit dem Beginn der Arbeitsmigration und bis heute hat die überwiegende Mehrheit der Deutschen nur äußerst geringen bzw. keinen Kontakt zu muslimischen Migranten und baut daher zu ihrer Meinungsbildung auf emotional erhitzte Debatten, die, indem sie Allgemeingültigkeiten suggerieren, für Muslime diffamierend sein müssen.

Entsprechend gelangt die Studie des Sozioökonomischen Panels des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zu dem Ergebnis, dass eine große Mehrheit der Muslime keine deutschen Freunde hat, obwohl sich die meisten von ihnen mehr Kontakte zu Deutschen wünschen.

Dieses Ergebnis zeigt uns deutlich, dass es dringend notwendig ist, neben der Bekämpfung von sozialer Benachteiligung von muslimischen Migranten eine Politik einzuleiten, die einen interkulturellen und interreligiösen Dialog in Deutschland fördert.

Der Islamophobie entgegentreten

Nicht nur Integration und Gleichberechtigung von Migranten in Ausbildung und Beruf, sondern auch Begegnungen, die ein unvoreingenommenes Kennenlernen ermöglichen, regelmäßiger Kontakt und Austausch, schließlich die Bildung von Freundschaften zwischen Deutschen und Muslimen sind die wichtigsten Garanten für eine gegenseitige Annäherung und schlechthin für sozialen Frieden.

Ressentiments und Vorurteile gegenüber muslimischen Migranten können einzig in dieser Weise abgebaut werden. Sowohl durch staatliche Instanzen als auch durch Instanzen der Zivilgesellschaft können solche Prozesse initiiert und gefördert werden.

Gleichzeitig müssen Politiker, Organisationen, Vereine und Organe der Berichterstattung engagiert der zunehmenden Islamophobie in Deutschland entgegentreten.

Ülger Polat

© Qantara.de 2006

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The Pew Research Center hier können Sie die Studie herunterladen (engl.)