Groß-Imam Al-Tayyeb fordert Respekt für Werte Europas - Geistlicher spricht vor Bundestagsabgeordneten

Appell für Toleranz, Frieden und Religionsfreiheit: Scheich Ahmad Mohammad al-Tayyeb nutzte seinen Besuch am Dienstagabend im Bundestag für eine Verteidigung des Islam. Dass hohe Geistliche das Parlament besuchen, ist nicht unüblich, wenn auch selten.

Der muslimische Gelehrte ist einer der mächtigsten sunnitischen Imame der Welt. Sein Vortrag mit Fragerunde im Parlament sollte ein Beitrag zum Dialog des Westens mit dem Islam sein. Die Freiheit der Religionsausübung und die Gleichberechtigung der Frau sind dabei Reizthemen - bei denen auch der Groß-Imam der Kairoer Al-Azhar-Universität Fragen offen lassen musste.

Al-Tayyeb nutzte seinen Vortrag für einen Aufruf an die Muslime in Europa, die hiesigen Werte zu respektieren und zu verteidigen. Europa habe Werte, Gesetze und Vorschriften, die gänzlich mit dem Islam übereinstimmen, sagte er vor den mehr als hundert Abgeordneten und Vertretern muslimischer Verbände sowie der katholischen, evangelischen und der koptischen Kirche in Deutschland. Als Beispiele nannte er Toleranz und Glaubensfreiheit und lobte die Flüchtlingspolitik von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er bitte die Muslime, diese hohen ethischen Werte zu bewahren und ihnen Rechnung zu tragen.

Der Groß-Imam verteidigt seine Religion als friedlich und barmherzig. Islamistischer Terror verrate den Islam, sagte er und forderte einen gemeinsamen Kampf gegen Terrorgruppen wie den «Islamischen Staat» (IS). Al-Tayyeb sagte, der Islam respektiere andere Religionen und Andersgläubige. «Gott hat die Menschen, die nicht an den Islam glauben, nicht erschaffen, um sie dann zu töten», sagte al-Tayyeb. Vielmehr stehe Gott für «absolute Glaubensfreiheit».

Auf konkrete Nachfragen fällt die Antwort allerdings weniger klar aus. In einem von Muslimen beherrschten Land sollte eine «kleine Kopfsteuer» von Andersgläubigen erhoben werden, damit man sie schützt, sagte al-Tayyeb. Auch beim Eingangsplädoyer für Gleichberechtigung erzeugt der Geistliche dann auch Stirnrunzeln: Eine schlüssige Antwort auf die Frage, warum zwar Muslime andersgläubige Frauen heiraten dürfen, Musliminnen aber nicht, kann er nicht liefern.

Al-Tayyeb plädiert stattdessen für einen verstärkten Austausch und appelliert an die europäischen Gesellschaften, Muslime nicht an den Rand zu drängen. Einen explizit europäischen Islam erkennt der Gelehrte nicht. Der Islam habe Riten und Gebete, die überall angewandt werden könnten, sagte er.

Am Ende der rund zweistündigen Veranstaltung bleibt das Fazit von Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), der Dialog zwischen des westlichen Gesellschaften und dem Islam bleibe wichtig ebenso wie der Austausch zwischen den Religionen. Aus historischen Erfahrungen wisse man: «Religionen haben ein ambivalentes Verhältnis zur Toleranz, die sie in ihren Lehrmeinungen nachhaltig vertreten und in der Praxis häufig verweigern - nach innen wie nach außen», sagte der Parlamentspräsident. Die Religionskriege im christlichen Abendland sollten zu den Lektionen gehören, die man hoffentlich ein für allemal verstanden habe, sagte er. (epd)

Der ägyptische Groß-Imam Ahmed Mohammed al-Tayyeb im Qantara-Interview