15 Jahren Krieg gegen die Taliban: Der fast vergessene Konflikt am Hindukusch

Seit 15 Jahren führt die Nato Krieg gegen die Taliban in Afghanistan. Trotz gesellschaftlichen Fortschritten bleibt die Lage düster. Ein Ende der Gewalt ist nicht in Sicht. Von Agnes Tandler

«Mein Tod ist nur eine Frage der Zeit», sagt Baschir Social resigniert. Der 30-jährige Afghane studiert an der Amerikanischen Universität in Kabul. Am 24. August stürmten drei Attentäter auf den hochgesicherten Campus nahe dem alten Königspalast, lösten Sprengsätze aus und schossen auf Studenten und Lehrkräfte. 16 Menschen starben, mehr als 30 wurden verletzt.

Baschir war an jenem Tag nicht dort, doch mehrere Kommilitonen und einer seiner Professoren starben bei dem Anschlag. «Ich bin auch bald an der Reihe», sagt er. Dabei ist die Universität eine der wenigen Erfolgsgeschichten in Kabul. Sie hat vielen Afghanen, die unter dem bildungsfeindlichen Taliban-Regime groß wurden, die Chance eröffnet, endlich zu studieren und einen anerkannten Abschluss zu machen.

Die Hochschule war ein Ort der Hoffnung, sie stand für einen Neuanfang nach Jahrzehnten von Konflikt und Bürgerkrieg. Doch seit dem Attentat Ende August ist die Aufbruchstimmung Depression und Trauer gewichen. Die internationalen Lehrkräfte haben das Land verlassen. Der Universitätspräsident legte sein Amt nieder. Niemand weiß so recht, wie es weitergehen soll.

Seit 15 Jahren führt die Nato nun Krieg gegen die radikal-islamischen Taliban in Afghanistan. Am 11. September 2001 waren zwei gekaperte Passagierflugzeuge in die Zwillingstürme des World Trade Centers in Manhattan gerast. Mehr als 3.000 Menschen starben.

Knapp einen Monat später, am 7. Oktober, begann der US-geführte Angriff auf Ziele in Afghanistan. Zuvor hatte Washington das Regime in Kabul aufgefordert, Osama bin Laden, den Chef des islamistischen Terrornetzwerks Al-Qaida auszuliefern. Die Taliban gewährten ihm Aufenthalt in Kandahar.

Nach nur zehn Wochen hatten die gezielten Bombenangriffe der westlichen Alliierten die Taliban-Regierung und ihre Führer verjagt. Doch der schnelle Triumph währte nicht lang. Der Krieg gegen die Aufständischen entwickelte sich zu einem zähen und hässlichen Konflikt, der Milliarden Dollar verschlingt und auch nach 15 Jahren keine einfache Lösung zulässt.

In den USA wuchs die Kritik. US-Präsident Barack Obama erklärte daher 2014 das Ende der militärischen Intervention. «Der Krieg kommt zu einem verantwortungsvollen Abschluss», sagte Obama damals. Doch das erfüllte sich nicht. Immer noch sind mehrere tausend amerikanische Soldaten am Hindukusch stationiert - und bis zu 980 Bundeswehrangehörige. Formal handelt es sich um eine reine Unterstützungsmission für die afghanischen Truppen, doch ohne amerikanisches Geld und die fortwährenden Einsätze der US-Luftwaffe und der Spezialkräfte hätten die Taliban die Hauptstadt Kabul womöglich längst überrannt.

Die Aufständischen scheinen wenig an Schlagkraft zu verlieren, wie ihre jüngsten Anschläge in der Hauptstadt zeigen. Und mit einem Angriff auf die Stadt Kundus schafften sie es vor wenigen Tagen erneut, Angst und Schrecken zu verbreiten. Alle Friedensbemühungen mit den Extremisten liefen bislang ins Leere. Es gibt kaum Hoffnung auf einen Durchbruch in der nächsten Zeit.

Die vom Westen gestützte Regierung unter Präsident Aschraf Ghani in Kabul ist schwach. Weil die Taliban weite Landstriche kontrollieren, ist es kaum möglich, sicher auf dem Landweg von Kabul nach Kandahar zu gelangen. Viele Afghanen befürchten einen neuen Bürgerkrieg, wenn das westliche Engagement irgendwann ganz zu Ende geht.

Immer mehr Hilfsorganisationen ziehen sich aus dem Land zurück, doch Afghanistans labile Wirtschaft ist nicht in der Lage, diesen Verlust zu kompensieren. Baschir weiß dies nur zu gut. «Es gibt einfach keine Arbeit», sagt er. Sein Bruder, der eine Radiostation aufgebaut hat, versucht, diese zu verkaufen - doch es gibt keine Käufer.

Dennoch, in den vergangenen 15 Jahren hat Afghanistan beeindruckende Fortschritte gemacht. Mobiltelefone sind allgegenwärtig, es gibt unzählige neue Restaurants, Geschäfte, Schulen und Universitäten. Fernseh- und Radiostationen erreichen einen Großteil der Bevölkerung. Auch soziale Konventionen haben sich verändert - besonders für Frauen.

Doch die Aussichten sind trübe. Die afghanische Armee kämpft mit hohen Verlusten gegen die Aufständischen. Ein Sieg über die Taliban oder ein Friedensschluss scheinen unerreichbar. Die finanzielle Unterstützung des Westens wird weniger. Und Afghanistan verschwindet aus den Schlagzeilen. Die Welt scheint den Krieg am Hindukusch zu vergessen. (epd)