Ruf des Muezzins - Israel will Moschee-Lautsprecher verbieten

Fünf Mal am Tag rufen die Muezzins auch in Jerusalem zum Gebet – laut und nervig, sagen israelische Abgeordnete. Sie wollen die Lautsprecher auf den Moscheen verbieten. Von Stefanie Järkel

«Allahu Akbar, Allahu Akbar», «Gott ist groß, Gott ist groß» schallt es über die Altstadt von Jerusalem, über die Grabeskirche, den Tempelberg und auch die angrenzenden Stadtviertel. Es ist 11.25 Uhr, und die Muezzins rufen zum Gebet. In der Al Ein Moschee ein paar 100 Meter hinter der Stadtmauer singt Adam Awad - klein, oranges Polohemd, weißes Haar - die arabischen Zeilen. Der Muezzin stellt sich fünf Mal am Tag ans Mikrofon. «Es ist eine Forderung des Islams, es zu tun», sagt der 70-Jährige über den Gebetsruf. «Wir werden nicht damit aufhören.»

Doch israelische Parlamentsabgeordnete sehen den Gesang vor allem als Lärmbelästigung und wollen die Lautsprecher auf den Gebetshäusern verbieten. «Hunderttausende (...) leiden andauernd und jeden Tag unter dem Lärm, der durch die Rufe der Muezzins in den Moscheen verursacht wird», heißt es in einem Gesetzesvorschlag.

Voraussichtlich in der kommenden Woche will das Parlament erstmals darüber abstimmen. Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat bereits mit dem UN-Sicherheitsrat gedroht, sollte dieses Gesetz und ein weiteres zur Legalisierung «wilder Siedlungen» im Westjordanland verabschiedet werden.

Allein in Jerusalem rufen fast 80 Muezzins die Gläubigen parallel zum Gebet - auch in der Nacht und am frühen Morgen. «Es ist sehr laut, den ganzen Tag lang, und es wird keine Rücksicht auf anderer Leute Leben genommen», sagt Schoschana Goldstein.

Die 36-jährige Mutter von 14 Kindern lebt in der Altstadt, wo sie auch als Geldwechslerin arbeitet. Sie wolle nicht, dass gerade eines ihrer sieben kleinen Kinder durch den Ruf des Muezzins wach werde.

Die religiösen Juden würden auch drei Mal am Tag beten - «ohne Leute auf der Straße oder in ihren Häusern zu stören», sagt die junge Frau, die ihre Haare nach religiöser Tradition mit einer Mütze bedeckt.

Ministerpräsident Benjamin Netanjahu unterstützt die Gesetzespläne. «Israel ist ein Land, dass den Frieden der Religion für alle Glaubensrichtungen respektiert», sagte er kürzlich. «Israel ist außerdem dazu verpflichtet, die zu verteidigen, die unter der Lautstärke des exzessiven Geräuschs der Durchsagen leiden.» Auch in anderen Ländern, etwa in Europa, seien die Rufe der Muezzins gedämpft.

In Deutschland beispielsweise prüfen die Behörden Einzelfälle nach dem Lärmschutzgesetz, wie ein Sprecher des Umweltministeriums in Berlin sagt. Dabei sei auch die vom Grundgesetz geschützte Religionsausübung zu beachten.

Vergangene Woche hatten in Israel noch ultra-orthodoxe Kräfte in der Regierung interveniert: Es bestehe die Gefahr, dass das Gesetz auch die Schabbatsirenen verbiete. In religiösen Städten wie Jerusalem kündigt am Freitagabend eine Sirene den Beginn des Schabbats an, des wöchentlichen Ruhetages. Nun liegt der Kompromiss vor, die Lautsprecher nur zwischen 23.00 und 7.00 Uhr zu verbieten – ähnlich der Regelungen zur Ruhestörung.

Für Scheich Assam Chatib, Direktor der jordanischen Wakf-Stiftung, wäre auch das nicht akzeptabel. Die Wakf verwaltet historisch bedingt die religiösen Stätten in der Altstadt, auch die Al-Aksa-Moschee. «Die Lautsprecher sind wichtig, um die Menschen daran zu erinnern, dass es Zeit für die Gebete ist», sagt er in seinem Büro neben dem Tempelberg. In jüdischen Vierteln könne er sich vorstellen, dass die Muezzins nachts leiser riefen. «Aber nicht bei der Al-Aksa-Moschee.» Der Tempelberg mit der Moschee ist sowohl für Muslime als auch für Juden heilig.

«Das ist ganz offensichtlich eine Provokation für alle Muslime auf der Welt» sagt Chatib. «Das bedeutet, die wollen das ganze Land judaisieren, die wollen keine Christen und keine Muslime, die wollen nur einen jüdischen Staat.» Sollte das Gesetz verabschiedet werden, werde «die ganze Region in die Luft fliegen». In Israel leben aktuell knapp 1,5 Millionen Muslime. Das entspricht rund 18 Prozent der 8,5 Millionen Bewohner.

Der Propst der Erlöserkirche in der Altstadt, Wolfgang Schmidt, sieht ein Verbot der Lautsprecher sehr kritisch. «Wenn man eben in einer Stadt lebt, die Mittelpunkt dreier Religionen ist, dann stellt man sich auch darauf ein, die Lebensäußerungen dieser Religionen wahrzunehmen», sagt Schmidt. «Es braucht da eine gewisse Toleranz.» Es gebe auch Kirchenglocken in der Altstadt, die vom Band ertönten. Diese könnten von dem Gesetz ebenfalls betroffen sein.

Atef Sumrin - kurze, braune Haare, gestreiftes Hemd - ist Adam Awads Ruf in die Al Ein Moschee gefolgt. Der 35-Jährige zieht die Schuhe aus und sagt: «Wenn die das machen, dann wird jedes Haus eine Moschee.» Die Menschen würden auf die Dächer steigen und zum Gebet rufen. (dpa)