Zensur gegen Tabubrecher

Vor den Parlamentswahlen am 7. September verhängt die marokkanische Justiz Maulkörbe für Journalisten der freien Presse. Kritik an König Mohammed VI. wird mit Repression beantwortet. David Siebert berichtet.

Arbeitslose Akademiker demonstrieren im Juli 2007 in Rabat gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung; Foto: David Siebert
Arbeitslose Akademiker demonstrieren im Juli 2007 in Rabat gegen die Arbeitsmarktpolitik der Regierung. Mehr als 30 Prozent der Universitäts-Absolventen finden keine Anstellung.

​​Schlechte Zeiten für die Pressefreiheit in Marokko: Erst letzte Woche wurde Mustapha Hurmatallah, Journalist der arabischsprachigen Tageszeitung "Al Watan Al An" zu einer achtmonatigen Haftstrafe verurteilt.

Er soll "vertrauliche Dokumente" über den "Anti-Terror-Kampf" des marokkanischen Sicherheitsapparats veröffentlicht haben.

"Dieses Urteil ist politisch motiviert und soll Journalisten einschüchtern", kritisierte Jim Boumelha, Präsident der "Internationalen Journalisten-Förderation" (IFJ).

Wochenmagazin beschlagnahmt

Bereits Anfang August beschlagnahmten die Behörden 100.000 Exemplare einer Ausgabe des französischsprachigen Wochenmagazins "Tel Quel" und seiner arabischsprachigen Schwesterausgabe "Nichane".

Der Journalist und Herausgeber, Achmed Benchemsi, hatte im Editorial der beiden Magazine gewagt, eine Thronrede des Königs zu den kommenden Parlamentswahlen zu kritisieren. Nun wird gegen ihn wegen "Beleidigung des Königs" ermittelt.

In den letzten Jahren galt Marokko als Land, in dem die Pressefreiheit große Fortschritte verzeichnen konnte. Unabhängige, kritische Wochenmagazine wie "Le Journal Hebdo", "Nichane" und "Tel Quel" haben sich auf dem Zeitschriftenmarkt etabliert und als Tabubrecher einen Namen gemacht.

Lebendige Presselandschaft

Mit Aufmachern wie "Die Marokkaner und der Alkohol", "Homosexualität in Marokko" oder "Das Vermögen des Königs", sorgen sie regelmäßig für Aufsehen.

Die neue lebendige Presselandschaft im Königreich gilt vielen als Beweis für die Demokratisierungsbestrebungen des jungen Königs Mohammed VI. Anders als im Nachbarland Algerien wurden auch private Radio- und Fernsehsender zugelassen.

Bericht warnt vor Rückschritten

Doch trotz des neuen liberalen Windes, der durch Medienlandschaft weht, häufen sich die Klagen von Journalistenverbänden. Ein aktueller Bericht der amerikanischen NGO "Comitee to protect Journalists" (CPJ) warnt davor, dass die Pressefreiheit in Marokko in den letzten fünf Jahren "beträchtliche Rückschritte" hinnehmen musste.

"Anders als etwa in Tunesien üben die Behörden den Druck indirekt über die Justiz aus", meint Joel Campagna, Verfasser des CPJ-Berichts."Gegen eine Reihe von unabhängigen Medien wurden extrem hohe Schadenersatzforderungen wegen angeblicher Verleumdungen verhängt.

"Die marokkanischen Journalisten, mit denen wir gesprochen haben, lassen keinen Zweifel daran, dass mit den Urteilen regimekritische Journalisten bestraft werden sollen."

Überhöhte Geldbußen

Bereits 2005 sprach die Justiz gegen "Tel Quel" zweimal Schadensersatzforderungen von mehr als 80.000 Euro aus. Laut Aussagen marokkanischer Journalisten und Rechtsanwälte, lagen diese Strafen ein Neunfaches über den sonst in solchen Fällen üblichen Geldbußen.

Im April 2006 verhängte die Justiz gegen Aboubakr Jamaï, Herausgeber des "Journal Hebdo", eine Rekord-Strafe von 270.000 Euro – die höchste Schadensersatzforderung, die jemals gegen einen Journalisten in Marokko verhängt wurde.

Das Magazin hatte die Objektivität eines Berichts des "European Strategic Intelligence and Security Centre" (ESISC) über die Westsahara-Unabhängigkeitsbewegung Polisario in Frage gestellt. Der private europäische Think-Tank hatte deswegen eine Verleumdungsklage eingereicht.

Im Januar 2007 trat Jamaï, der als Pionier des neuen kritischen Journalismus in Marokko gilt, von seinem Posten als Herausgeber zurück, um den wegen der Geldstrafe drohenden Ruin der Zeitschrift abzuwenden.

Bereits während des Karikaturenstreits war der Sitz der Zeitschriftenredaktion mehrfach von Demonstranten belagert worden, die dem Journal eine Verunglimpfung des Islam vorwarfen. "Reporter ohne Grenzen" vermutete, dass die Proteste von den Behörden inszeniert wurden.

Verletzung der "heiligen Werte"

Auch das arabischsprachige Magazin "Nichane" wurde Anfang dieses Jahres Opfer von Zensur. Wegen des Artikels "Wie die Marokkaner über Sex, Politik und Religion lachen" wurden die Journalisten Driss Ksikes und Sanaa Elaji wegen Verletzung der "heiligen Werte" der Monarchie und des Islam zu drei Jahren Bewährungsstrafe und 7.200 Euro Geldstrafe verurteilt. "Nichane" erhielt ein zweimonatiges Publikationsverbot.

Dass der Meinungsfreiheit in Marokko noch immer enge Grenzen gesetzt sind, zeigt auch das neue Pressegesetz: Statt vormals 26, führt es zwar jetzt nur noch vier Straftatbestände, für die Journalisten mit Haftstrafen belangt werden können.

Wer aber die Königsfamilie kritisiert, die "Moral der Armee untergräbt" oder den Islam oder die Integrität des Nationalstaats in Frage stellt, kann weiterhin mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden. Innerhalb der letzten fünf Jahre wurden 13 Journalisten wegen dieser Straftatbestände verurteilt.

Mit Berufsverbot bestraft

Aber nicht nur Journalisten müssen mit Problemen rechnen, wenn sie Tabuthemen brechen: Als im vergangenen Jahr eine Gruppe von Rechtsanwälten aus der Provinz Tetouan den lokalen Justiz- und Polizeibehörden Korruption und Amtsmissbrauch vorwarf, wurden fünf der Juristen mit Berufsverbot belegt.

Auch andere Akteure der Zivilgesellschaft wissen von Repression zu berichten. Tagtäglich protestieren auf dem Boulevard Mohammed V. hunderte von jungen Menschen, die trotz ihrer Universitätsdiplome arbeitslos sind. Mehr als 30 Prozent der Hochschulabsolventen in Marokko finden keine Arbeit.

"Wir haben viel Repression und Gewalt seitens der Polizei erleben müssen. Es gab Verletzte, Knochenbrüche, viele Leute leiden noch heute unter Traumata. An einem einzigen Tag wurden mehr als 30 Demonstranten verletzt", berichtet Samira, eine 30-jährige arbeitslose Sprachwissenschaftlerin.

Gefängnisstrafen für Aktivisten

Nach den alljährlichen Erste-Mai-Demonstrationen wurden zahlreiche Mitglieder der "Marokkanischen Menschenrechtsorganisation" (AMDH) festgenommen. "Sie sollen Parolen gerufen haben, die den König kritisieren. Das gilt in Marokko als Strafbestand", erklärt Abdelhamid Amine, Vizepräsident der AMDH.

Zehn der Menschenrechtsaktivisten, die auch in anderen Organisationen wie ATTAC oder den Gewerkschaften aktiv sind, wurden zu Gefängnisstrafen von bis zu drei Jahren und zusätzlich hohen Geldstrafen verurteilt.

Unter den Festgenommenen ist auch Mohammed Bougrine, ein 72 Jahre alter Menschenrechtler, der bereits unter dem alten König Hassan II. insgesamt 15 Jahre Haft verbüßen musste.

Skepsis gegenüber Reformkurs

Vor den kommenden Parlamentswahlen scheint der Makhzen – wie der Machtklüngel zwischen Königshaus, Wirtschaft und Staatsapparat in Marokko genannt wird – zunehmend nervös auf Kritik von Oppositionellen zu reagieren.

Abdelhamid Amine sieht sich durch die jüngsten Ereignisse in seiner Skepsis gegenüber dem Reformkurs der Monarchie bestätigt: "Das beweist, dass wir noch weit von der Demokratie entfernt sind. Es gab Fortschritte im Bereich der Menschen- und Bürgerrechte. Aber sie sind nicht in der Verfassung verankert und können jederzeit wieder zurückgenommen werden."

David Siebert

© David Siebert

Qantara.de

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