Der Erste seiner Art

An der Universität Tübingen ist vor kurzem das bundesweit erste Zentrum für Islamische Theologie eröffnet worden. Die Leitung des Zentrums hat der Koranwissenschaftler Omar Hamdan, der bislang als einziger Professor an dem Zentrum lehrt. Arnfrid Schenk stellt ihn vor.

Von Arnfrid Schenk

Es riecht nach Farbe, die Wände sind fleckenlos weiß, an den Türen gibt es noch keine Namensschilder, bis auf eines im ersten Stock: "Prof. Omar Hamdan" steht darauf, "Leitung Zentrum für Islamische Theologie". Im Büro sitzt der Mann, mehrere Mappen in der Hand, die Hemdsärmel hochgekrempelt, er sieht ein wenig geschafft aus.

So viele Termine, sagt Omar Hamdan zur Begrüßung, so viele Mails, hundert am Tag, von Studenten, Wissenschaftlern, Journalisten, Politikern. Gestern war er bei einem Treffen "Runder Tisch Islam", das die baden-württembergische Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) in Stuttgart einberufen hat. An das Interesse an ihm, an seinem neuen Amt muss er sich noch gewöhnen, er will ja eigentlich nur eines sein: Theologe.

Seit Oktober leitet Hamdan das neue Zentrum für Islamische Theologie der Universität Tübingen, das erste in Deutschland. Vor zwei Jahren hatte der Wissenschaftsrat empfohlen, an deutschen Hochschulen eine bekenntnisorientierte islamische Theologie zu etablieren, vergleichbar mit den evangelischen und katholischen Fakultäten.

Die Schwaben waren am schnellsten

Dort sollen auch Lehrer für den islamischen Religionsunterricht und Imame ausgebildet werden, gefördert mit Geldern des Bundes. Neben Tübingen sind an den Unis Münster und Osnabrück, Erlangen-Nürnberg und Frankfurt weitere Zentren für Islamische Studien im Werden, die Schwaben waren am schnellsten. Allerdings mit Mühen – erst wenige Wochen vor Semesterstart war die erste der geplanten sechs Professuren besetzt.

Einweihung des Zentrums für Islamische Theologie mit der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney (m.), Bundesbildungsministerin Annette Schavan (r.) und Dr. Omar Hamdan (l.); Foto: dpa
"Meilenstein für die Integration und Zeichen für den Respekt vor der Religion des Islam": Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) gemeinsam mit der baden-württembergischen Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) und Prof. Dr. Omar Hamdan bei der Eröffnung des bundesweit ersten Zentrums für Islamische Theologie in Tübingen.

​​Omar Hamdan führt ins Souterrain der kleinen Instituts-Villa, hier steht das Fundament des neuen Studiengangs: Tausende von Büchern, einige noch in Kartons gelagert, viele schon geordnet im Regal, Koranwissenschaften in einem Gang, dann Rechtswissenschaften, islamische Glaubenslehre, Religionspädagogik.

Es ist Hamdans Privatbibliothek, er hat sie dem Institut vermacht, damit der Start reibungslos verläuft. 3.073 Bände sind es insgesamt, er weiß es genau, der Koranforscher hat sie nach und nach im Lauf seiner Wissenschaftlerkarriere gekauft. So zielsicher, wie er sie aus den Regalen greift, scheint er jedes gut zu kennen.

Omar Hamdan ist 47 Jahre alt, Palästinenser mit israelischem Pass, er ist in Tira geboren, einer Stadt, wenige Kilometer nördlich von Tel Aviv. Dort hat er an der Hebrew University Islamwissenschaften studiert, in den Neunzigern kam er nach Tübingen, schrieb sich für vergleichende Religionswissenschaften ein und promovierte bei Josef van Ess, einem der Großen des Fachs. Zuletzt forschte der Sunnit an der Freien Universität Berlin über Gemeinsamkeiten des Islams mit Judentum und Christentum im Mittelalter.

Auf der Suche nach akademischem Personal

Als Hamdan erfuhr, dass Tübingen vom Bundesbildungsministerium den Zuschlag für eines der Zentren für Islamstudien bekommen hat, bewarb er sich sofort. Dass er genommen wurde, ist nicht verwunderlich. Wissenschaftler und Theologen mit seiner Qualifikation, die dann auch noch auf Deutsch lehren können, sind Ausnahmen. Woher sollten sie auch kommen? Das Fach muss sich akademisches Personal erst selbst erschaffen. Die Zwischenzeit wird man wie an den anderen Hochschulen mit Gastprofessuren überbrücken.

Der Koran; Foto: James Robinson/DW
Für einen weltoffenen Islam: Omar Hamdan möchte einen Islam lehren, der eingebunden ist in einen europäischen Kontext. Aber ihm geht es auch darum, einen Zugang zu schaffen zu den Quellen der islamischen Theologie, etwa zum Koran.

​​In Tübingen sind 36 Studenten eingeschrieben, darunter mehr Frauen als Männer. Die Absolventen können nach ihrem Bachelorabschluss auch als Imam arbeiten. "Auch", sagt Hamdan, das ist ihm wichtig. In der Abschlussurkunde werde nicht stehen: "Absolvierte eine Imamausbildung".

Aber es sind entsprechende Seminare vorgesehen. Ein Imam in Deutschland könne nicht nur über das Mittelalter oder über islamische Länder sprechen, sagt er. Er müsse vor allem Themen aufgreifen, die relevant sind für das Leben in Deutschland. Dazu gehöre zum Beispiel auch der Schulalltag. Er müsse einen Weg finden zwischen Tradition und Moderne.

Großer Nachholbedarf

Der Nachholbedarf ist groß: Bislang sprechen die meisten der 2.000 Imame in der Bundesrepublik kaum Deutsch und kennen sich nicht aus in dem Land, in dem sie wirken sollen. Die meisten von ihnen werden als Import-Imame vom türkischen Staat entsandt und nach vier Jahren wieder abberufen.

Auch als Religionslehrer sollen Hamdans Absolventen einmal arbeiten. Das Schulfach ist erst im Werden: Obwohl auf unsere Schulen eine Dreiviertelmillion muslimische Schüler gehen, können sie islamischen Religionsunterricht nur im Rahmen einiger Modellversuche besuchen.

In Baden-Württemberg gibt es solche Versuche derzeit an rund 20 Grundschulen und einigen Hauptschulen. Sollte das Fach einmal in allen Bundesländern eingeführt werden, brauchte es dafür 2000 Lehrer, schätzt das Bundesministerium für Bildung und Forschung.

Studierende der islamischen Theologie an der Universität Tübingen; Foto: dpa
Seit Oktober 2011 studieren an der Universität Tübingen 23 Frauen und 13 Männer den achtsemestrigen Bachelorstudiengang "Islamische Theologie".

​​Was Omar Hamdan beim Aufbau einer islamischen Theologie in Deutschland etwas überrascht hat, ist das Politische daran. Weil der Islam keine Kirche kennt, sind die Universitäten auf die Zusammenarbeit mit den verschiedenen islamischen Verbänden angewiesen. Über einen Beirat sind sie an die Studiengänge angebunden. Die Verbände vertreten aber oft sehr orthodoxe Sichtweisen, manche Wissenschaftler fürchten ein übergriffiges Verhalten, das sich nicht mit freier Lehre vereinbaren lässt.

In Tübingen aber, sagt Hamdan, habe der Beirat nur ein Mitspracherecht in bekenntnisrelevanten Fragen, nicht jedoch, was Studieninhalte betrifft. Er habe die Zusammenarbeit problemfrei erlebt, erzählt er. Dann schiebt der Professor die wieder heruntergekrempelten Hemdsärmel ein zweites Mal nach oben und sagt: "Außerdem – ich bin Theologe, kein Politiker."

Zugang zu den Quellen der islamischen Theologie

Er möchte einen Islam lehren, der eingebunden ist in einen europäischen Kontext. Aber Hamdan geht es auch darum, einen Zugang zu schaffen zu den Quellen der islamischen Theologie, etwa zum Koran. Viele Muslime hätten falsche Vorstellungen von den Grundlagen des Islam. Und dann zieht er ein Bild aus der Moderne heran: Wer ohne Quellenwissen sei, sei wie ohne Zugang zum Internet – abgeschnitten.

Was ist für Omar Hamdan das Wesen des Islams? Die Antwort kommt schnell und lässt Raum: "Eine Lebensweise, die einen sehr weiten Horizont öffnet."

Es ist fast fünf Uhr geworden, der Professor zeigt auf sein Smartphone, die Gebetszeiten sind darauf abgespeichert, er würde das Gespräch jetzt gern beenden und seinen Pflichten als gläubiger Muslim nachkommen. Und dann schnell zu seiner Familie, zu seiner Frau und seinen drei Söhnen.

Aber Zeit für eine Frage ist noch. Kann der Islam, der in Deutschland entsteht, auch einmal in islamische Länder hineinwirken? So weit möchte Hamdan noch nicht denken. Ihm geht es zuerst um das, was vor seiner Haustür passiert. "Die Muslime hier wollen teilhaben an der Gesellschaft, in der sie leben", sagt er, es gehe ihnen um Gleichstellung, um das Gefühl, hier eine Heimat zu haben. "Auf diesem Weg ist ein Zentrum für islamische Theologie ein großer Schritt."

Arnfrid Schenk

© DIE ZEIT 2012

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de