Referendum löst Debatte um Integration von Deutsch-Türken aus

Die große Zustimmung zur Verfassungsänderung unter Deutsch-Türken ist nach Auffassung der Türkischen Gemeinde in Deutschland auf ein Gefühl der Ausgrenzung zurückzuführen. «Sie wollten dadurch Protest zum Ausdruck bringen gegen das, was sie seit Jahrzehnten aus ihrer Sicht hier empfinden», sagte der Bundesvorsitzende der Gemeinde, Gökay Sofuoglu, am Dienstag im SWR. «Dass sie sich diskriminiert fühlen, dass sie sich ausgegrenzt fühlen, hat, denke ich, zu der ganzen Diskussion vor dem Referendum und den Spannungen zwischen Europa und der Türkei geführt.»

Bei dem Referendum über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei hatten am Sonntag laut vorläufigem Ergebnis 51,4 Prozent der Wähler mit Ja gestimmt. Unter den türkischen Wählern in Deutschland votierten rund 63 Prozent für die Vorlage, mit der Präsident Recep Tayyip Erdogan seine Macht ausbauen will.

Die Grünen sehen in dem Ergebnis Versäumnisse in der Integrationspolitik der vergangenen Jahrzehnte. «In Deutschland brauchen wir jetzt eine Debatte darüber, warum ein Teil der Deutsch-Türken, die hier Demokratie und Rechtsstaatlichkeit genießen, diese in der Türkei abgewählt haben», sagte der Grünen-Chef Cem Özdemir der in Düsseldorf erscheinenden «Rheinischen Post» (Dienstag). Nötig sei die «klare Ansage», dass in Deutschland nur glücklich werde, wer mit beiden Füßen auf dem Boden des Grundgesetzes stehe und «nicht nur auf Zehenspitzen».

Die CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt sagte, sie hätte sich von den in Deutschland lebenden Türken «ein klares Bekenntnis zu Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gewünscht». «Leider ist genau das Gegenteil passiert», sagte Hasselfeldt den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Eine große Mehrheit der abstimmenden Deutsch-Türken, die in Deutschland alle demokratischen Freiheiten in Anspruch nehme, habe «der Verfassungsänderung zugestimmt und damit die eigenen Landsleute dazu verurteilt, künftig in einem autoritären Staat zu leben».

Zudem bekräftigte die Union ihre Forderung nach einer strengeren Regelung beim Doppelpass. «Ich halte es für wichtig, dass wir in der nächsten Legislaturperiode die Erleichterungen bei der doppelten Staatsbürgerschaft wieder rückgängig machen», sagte der innenpolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion, Stephan Mayer (CSU), der «Welt» (Dienstag). Mayer forderte, dass zumindest den Kindern eines Doppelstaatlers die Staatsbürgerschaft auch wieder entzogen werden kann, «wenn diese nicht in Deutschland leben und offenkundig auch keinen Bezug mehr zu Deutschland haben».

Die Linken-Politikerin Sevim Dagdelen bezeichnete die Integrationsdebatte als «Ablenkungsmanöver für die eigenen Fehler». Die hohe Zustimmung für das Referendum sei die Folge dessen, dass man jahrelang das Netzwerk von Staatspräsident Erdogan in Deutschland habe gewähren lassen, sagte sie dem Sender n-tv. (epd)

 

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