Terrorismusforscher Peter Neumann: Verbote helfen kaum gegen Radikalisierung

Das Löschen und Verbieten von Inhalten im Internet hilft nach Einschätzung des Terrorforschers Peter Neumann kaum gegen die Radikalisierung junger Menschen. "Die Extremisten weichen dann auf andere Kanäle und Plattformen aus", sagte er am Dienstag auf der Medienkonferenz Republica in Berlin. Sinnvoller sei es, Jugendliche online wie offline direkt anzusprechen und die Kommunikation von Extremisten genau zu beobachten.

Kaum jemand radikalisiere sich nur online, so Neumann weiter. Das Internet habe aber die Wege in den Terrorismus verändert: So sei es über Soziale Netzwerke möglich, regelrecht über dschihadistische Inhalte zu stolpern. Häufig werde die interaktive Funktion unterschätzt, etwa die Kommentarspalten der Video-Plattform Youtube, über die Nutzer mit Terroristen in Kontakt kommen könnten.

Die Extremisten nutzten alle existierenden Kanäle, so Neumann, der auch OSZE-Sonderbeauftragter zur Bekämpfung von Radikalisierung ist. "Die Geschichte des Online-Dschihadismus entspricht der Geschichte des Internets." Zunächst hätten Terroristen Websites genutzt, später Online-Foren und Soziale Medien, heute kommunizierten sie über verschlüsselte Apps. Auf technischer Ebene nutzten sie das Internet so wie jeder andere auch: Für Kommunikation, Informationsaustausch und die Verbreitung der eigenen Ideen. "Terroristen kommen nicht vom Mars", betonte der Experte.

Die Strategie der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) habe sich allerdings zuletzt verschoben. Vor zwei bis drei Jahren habe die Miliz versucht, junge Menschen nach Syrien und in den Irak zu locken. Heute fordere sie sie eher auf, in westlichen Ländern zu bleiben und dort gegen "die Ungläubigen" zu kämpfen.

Von Regierungen verordnete Programme hätten kaum eine Chance gegen diese Form von Propaganda, sagte Neumann. Diese Versuche erinnerten oftmals an Eltern, die versuchten, 17-Jährigen das Internet zu erklären. Der IS funktioniere dagegen als "Graswurzelbewegung": Die Anhänger verbreiteten die Botschaften über populäre Plattformen, in Form von Remixen, Fotomontagen oder Memes - und dies trage entscheidend zu ihrem Erfolg bei. Dazu brauche es vergleichbare Graswurzel-Initiativen, so der Direktor des International Centre for the Study of Radicalisation and Political Violence (ICSR) in London. (KNA)