Politik ohne Kompromisse

Im Atomkonflikt wird mit Sanktionen oder militärischen Interventionen genau das Gegenteil dessen erreicht, was man als Ziel vorgibt: Statt die Demokratie im Iran zu fördern und das Regime zu isolieren, wird die iranische Zivilgesellschaft gespalten, meint Bahman Nirumand.

Javier Solana (l.) und Condoleezza Rice bei einem Treffen im Außenministerium in Washington am 10. Mai 2006; Foto: AP
Die EU begeht einen Fehler, wenn sie auf den Falkenkurs aus Washington einschwenkt, meint Bahman Nirumand.

​​Der Konflikt um das iranische Atomprogramm eskaliert von Woche zu Woche. Die USA zeigen sich unnachgiebig, sie weigern sich, direkt mit Teheran zu verhandeln, sie bezeichnen den Iran als Schurkenstaat, als Zentrum des internationalen Terrorismus, sie wollen so rasch wie möglich Sanktionen gegen den Iran einleiten, sie drohen mit Krieg.

Eine neue Dynamik des Konflikts

Diese Vorgehensweise stimmt mit den ständigen Provokationen aus Teheran nahtlos überein. Ahmadinedschad scheut sich nicht davor, ungeachtet der zunehmenden Drohungen, feierlich zu erklären, endlich den Kreislauf für den atomaren Brennstoff geschlossen zu haben und das Volk aufzufordern, diesen "großen Sieg" mit einem Fest zu feiern.

Er attackiert Israel, stellt den Holocaust in Frage und erklärt, die Beschlüsse des UN-Sicherheitsrat seien ihm "nicht einen Pfifferling wert". Bush und Ahmadinedschad liefern sich ständig gegenseitig Steilvorlagen und verleihen damit dem Konflikt eine Dynamik, die - wenn sie nicht aufgehalten wird - zwangsläufig auf einen Krieg mit verheerenden Folgen hinausläuft.

Russland und China, die Nebenakteure im Atomkonflikt, möchten sich den Iran nicht zum Feind machen. Russland ist der größte Waffenlieferant Irans, baut für das Land Atomreaktoren und ist auch sonst auf dem persischen Markt präsent. China ist auf das iranische Öl und Gas angewiesen und gehört ohnehin zu den größten Handelspartnern Irans.

Beide Länder haben zudem strategische Interessen in der Region. Iran könnte als Brückenland zwischen dem Nahen und Mittleren Osten, bei der Bildung eines Gegenpols zum Machtzuwachs der USA in Mittel- und Ostasien, eine wichtige Rolle spielen, zumal Irans Präsident Ahmadinedschad bereits sein außenpolitisches Ziel, weg vom Westen, hin zum Osten, umzusetzen begonnen hat.

Zweifelhafte Rolle der EU

So klar die Rolle der anderen Direktbeteiligten beim iranischen Atomkonflikt ist, so rätselhaft bleibt die Rolle der EU. Was, fragt man sich, streben vor allem die drei EU-Staaten, Deutschland, Frankreich und Großbritannien an, die bislang die Verhandlungen mit dem Iran geführt haben?

Merken sie etwa nicht, dass sie den USA auf den Leim gegangen und entgegen ihrem erklärten Ziel, den Konflikt friedlich lösen zu wollen, mittlerweile voll auf die Linie Washingtons umgeschwenkt sind? Und wissen sie nicht, dass sie sich damit ins eigene Fleisch schneiden? Denn bei harten Sanktionen - und mehr noch bei einem Krieg gegen den Iran - würden sie unter den Beteiligten den größten Schaden davon tragen.

Allein der Anstieg des Ölpreises, der vermutlich die Grenze von hundert Dollar pro Barrel überschreiten könnte, würde der Wirtschaft des vereinten Europas einen großen Schaden zufügen. Die Staaten der EU würden wichtige Märkte in der Region verlieren, und auch ihre Sicherheit würde stark in Gefahr geraten. Was also treibt die EU dazu, den Weg des Friedens zu verlassen und sich den USA anzuschließen?

Prozess des Umdenkens gefordert

Dabei wäre gerade die Europäische Union die einzige unter den Beteiligten, die die Konfliktparteien wieder zur Vernunft bringen könnte. Bekanntlich liegen Vorschläge, die das Recht Irans auf Anreicherung akzeptieren und gleichzeitig die Gefahr einer möglichen Entwicklung des Landes zu einer Atommacht so gut wie ausschließen könnten, auf dem Tisch.

Die EU könnte eine Schlüsselrolle übernehmen, wenn Berlin, London und Paris es wagen würden, dem Druck aus Washington zu widerstehen und einen friedlichen Weg einzuschlagen.

Dafür gibt es aber zurzeit keine Anzeichen. Warum nicht? Welche gewichtigen Argumente gibt es, die die EU überzeugen konnten, auf einen eigenen, friedlichen Weg zu verzichten, sehenden Auges auf eine Katastrophe zuzusteuern und gar einen Krieg zu riskieren?

Selbstverständlich wäre die Vorstellung Ahmadinedschad mit der Atombombe in der Hand grauenhaft. Ich persönlich lehne nicht nur Atombomben, sondern auch die friedliche Nutzung der Atomenergie für den Iran ab, denn erstens sind Atomreaktoren viel zu kostspielig und zweites im Erdbebengebiet Iran viel zu gefährlich.

Nuklearfreie Zone für den gesamten Nahen Osten

Wir haben reichlich Sonne, Wasser und Wind und könnten aus diesen natürlichen Ressourcen unseren Energiebedarf decken, wenn in zwanzig, dreißig Jahren die Öl- und Gasquellen erschöpft sein sollten.

Aber es ist ein Irrtum zu glauben, es gehe bei dem Konflikt mit dem Iran nur darum, die nukleare Gefahr aus der Region zu verbannen. Denn wenn es tatsächlich darum ginge, ist nicht nachvollziehbar, warum man den Vorschlag der Reformer im Iran nicht aufnimmt und die ganze Region zur atomfreien Zone erklärt?

Man könnte auch zumindest den letzten russischen Vorschlag aufnehmen, der Iran erlaubt, bei langfristiger Aussetzung der industriellen Urananreicherung auf niedriger Ebene Uran für die Forschung anzureichern und den atomaren Brennstoff in Russland zu produzieren.

Man könnte auch danach fragen, warum Washington bereit ist, mit Nordkorea zu verhandeln, aber direkte Verhandlungen mit Iran ablehnt.

Die Antwort ist, weil die USA ganz andere Ziele verfolgen als sie vorgeben, weil sie einen Regimewechsel im Iran herbeiführen und das Land mit den reichen Ölquellen unter ihre Kontrolle bringen möchten.

Deshalb lässt sich die Bush-Regierung auf keine Kompromisse ein, deshalb fordert Washington nun, dass der UN-Sicherheitsrat immer härtere Sanktionen gegen Iran beschließt, Sanktionen, an deren Ende möglicherweise eine militärische Intervention mit verheerenden Folgen für die gesamte Region, aber auch für Europa und USA, steht.

Wasser auf die Mühlen der Radikalen

Doch mit Sanktionen gar mit einer militärischen Intervention erreicht man genau das Gegenteil dessen, was man als Ziel vorgibt. Statt die Demokratie zu fördern und das herrschende Regime zu isolieren, wird man die beachtlich weit entwickelte iranische Zivilgesellschaft spalten und um Jahre zurückwerfen.

Und man wird Radikalen und Fundamentalisten vom Schlage Ahmadinedschads sowie anderen terroristischen Gruppen den besten Dienst erweisen, weil sie noch mehr Hass und Rache schüren und dadurch ihre Basis stabilisieren und erweitern können.

Eine kluge Politik, die Frieden will und gleichzeitig im Iran Demokratie anstrebt, kann nur eine Politik sein, die nicht das iranische Volk, sondern das Regime isoliert.

Hätte man den Druck, den man in den letzten drei Jahren wegen des Atomkonflikts auf Iran ausübte, gegen Missachtung der Menschenrechte, gegen Unterdrückung der Frauen, gegen die rigorose Zensur der Presse und der freien Meinungsäußerung, gegen Unterdrückung der Werktätigen und ethnischen und religiösen Minderheiten und schließlich gegen Misshandlung der Regimekritiker in den Gefängnissen eingesetzt, wäre die iranische Zivilgesellschaft wesentlich weiter als heute.

Krieg bringt keine Lösung. Das wissen sicherlich auch kluge Politiker in Berlin, Paris und London. Noch ist es nicht zu spät. Sie sollten das Kriegsboot verlassen und den vor drei Jahren eingeschlagenen politischen Kurs wieder aufnehmen.

Bahman Nirumand

© Qantara.de 2006

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