«Sherlock Bamf» - Asyltäuschern in Deutschland auf der Spur

Um Identitätstäuschern auf die Schliche zu kommen, hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) eine Spracherkennungssoftware entwickeln lassen. Doch bisher beherrscht der digitale Helfer nur Arabisch. Und mit guten Dialekt-Kenntnissen lässt sich die Software auch überlisten, wie ein Selbstversuch zeigt. Von Anne-Beatrice Clasmann

Nicht jeder Asylbewerber, der falsche Angaben über seine Herkunft macht, ist Kriegsverbrecher, Terrorist oder Intensivtäter. Den meisten von ihnen geht es wahrscheinlich nur darum, ihre Chance auf Anerkennung als Flüchtling zu erhöhen. Da wird aus dem Äthiopier schnell mal ein Eritreer. Oder ein Marokkaner verlegt seinen Geburtsort nach Aleppo.

Umgekehrt wird aber schon ein Schuh draus: Unter den Ausländern mit denen sich Polizei, Verfassungsschutz oder der Generalbundesanwalt beschäftigen, sind besonders viele, die mehr oder weniger erfolgreich versucht haben, ihre Identität zu verschleiern. Der Vizepräsident des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, (Bamf), Markus Richter, betont zwar: «Wir sind keine Ermittlungsbehörde.» Dennoch: Die Tätigkeit der Anhörer und Entscheider erinnert manchmal schon an Detektivarbeit. Denn rund 60 Prozent der Ausländer, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, legen keine Papiere vor.

Und was für Krimi-Detektiv Sherlock Holmes die Lupe war, sind für das Bamf die Geo-Daten vom Handy eines Flüchtlings oder das Ergebnis der Spracherkennungs-Software, die beim Bamf seit September 2017 im Einsatz ist. Beide Hilfsmittel sind allerdings nur von begrenzter Wirksamkeit. Die Geo-Daten zeigen zwar vielleicht, wo sich das Handy zuvor befunden hat. Allerdings taucht nicht jeder Asylbewerber zur Anhörung mit dem Mobiltelefon auf, das er schon zu Beginn seiner Odyssee bei sich trug. Die Trefferquote des neuen IT-Tools für die Transkription und geografische Zuordnung arabischer Namen ist mittelmäßig. Und auch die Spracherkennung funktioniert nicht optimal.

Im IT-Labor des Bamf in Nürnberg steht ein Bild auf dem Tisch. Es zeigt eine Familienszene in der Küche. Die Testperson soll in ihrer Muttersprache zwei Minuten lang beschreiben, was auf dem Bild zu sehen ist. Dann legt sie den Hörer auf. Die Software spuckt nach wenigen Sekunden das Ergebnis aus: «Arabisch Ägypten - Wahrscheinlichkeit 96,5 Prozent, Andere Sprachen/Dialekte 3,5 %».

Richter erklärt, die Software analysiere nicht die verwendeten Wörter, sondern die Aussprache. Er sagt: «Bei der Entwicklung haben uns nicht Sprachwissenschaftler geholfen, sondern Experten für Künstliche Intelligenz.» Das heißt: Ein Algerier, der sich als Vorbereitung auf die Anhörung syrische Fernsehserien anschaut und Vokabeln aus dem fremden Dialekt lernt, dürfte damit nicht durchkommen.

Ein neuer Versuch. Die Frau beschreibt das Bild noch einmal. Sie benutzt diesmal andere Wörter. Statt «G» spricht sie ein kurzes «Dsch» in den Hörer. Das Ergebnis: «54 Prozent Levantinisch, 24,2 Prozent Ägyptisch, 12,3 Prozent Irakisch, 9,4 Prozent Maghrebinisch, 0,2 Prozent andere Sprachen». Allerdings: Die Testperson ist weder Ägypterin noch Syrerin, sondern hat in Deutschland erst Arabisch studiert und dann als Journalistin in verschiedenen arabischen Ländern gearbeitet. Immerhin - die Situation ist nicht ganz so extrem wie damals, als der Bundeswehrsoldat Franco A. auf französisch

befragt und schließlich als «syrischer Flüchtling David Benjamin» anerkannt wurde.

Bei der Sprachprobe einer Syrerin aus Latakia, deren Familie Wurzeln in der Provinz Idlib an der Grenze zur Türkei hat, funktioniert der Sprachtest besser. Die Software stellt fest: Mit 15,8 prozentiger Wahrscheinlichkeit handelt es sich um Irakisch-Arabisch, zu 82,7 Prozent ist es Levantinisch.

Doch was hilft es, wenn man weiß, dass jemand «levantinisches Arabisch» spricht? Schließlich bezeichnet man damit eine Dialektgruppe, zu der verschiedene Untergruppen zählen, die im Libanon, Jordanien, Syrien, und von den Palästinensern gesprochen wird. Jordanier erhalten normalerweise keinen Schutz, Syrer schon. Oder wenn das System einen Menschen aus Nordafrika als Sprecher von «Maghrebinisch-Arabisch» erkennt?

Für die Asyl-Anerkennung macht es einen großen Unterschied, ob jemand aus dem relativ friedlichen Tunesien kommt oder aus der von Milizen kontrollierten libyschen Hauptstadt Tripolis, wo man ähnlich spricht. Ob er Ägypter ist oder aus Ost-Libyen stammt, wo der lokale Dialekt nicht viel anders klingt als in Nord-Ägypten.

Vizepräsident Richter sagt, die Fehlerquote der «Sprachbiometrie» habe zu Beginn bei über 20 Prozent gelegen. Aktuell sei sie bei 18 Prozent, «als lernendes System wird die Genauigkeit der Anwendung stetig verbessert». Der Jurist erklärt: «Es ist kein Beweis, sondern ein Indiz» und klingt dann eben doch wie ein Ermittler.

Weitere Indizien liefern außerdem Fingerabdrücke und biometrische Fotos. Beides hilft zu verhindern, dass sich ein Asylbewerber unter verschiedenen Identitäten an mehreren Orten in Deutschland registrieren lässt wie der tunesische Terrorist Anis Amri, der im Dezember 2016 in Berlin zwölf Menschen tötete. Außerdem lässt sich anhand der Fingerabdrücke feststellen, ob jemand schon anderswo in Europa als Asylbewerber registriert wurde.

Die «Papierlosigkeit» vieler Flüchtlinge hat viele Gründe: Krieg, fehlende staatliche Strukturen, eine lebenslange Fluchtgeschichte. Manchen Asylbewerbern haben Schlepper die Dokumente abgenommen. Oder sie sind verloren gegangen. Doch was auffällt: Obwohl in Syrien vor sieben Jahren ein grausamer Krieg ausbrach, der Millionen von Menschen in die Flucht getrieben hat, ist die Zahl der syrischen Antragsteller, die ohne Papiere beim Bamf vorsprechen, im Vergleich zu Schutzsuchenden anderer Nationalitäten gering.

Von zehn Menschen, die nach eigenen Angaben aus Eritrea stammen, legte in den ersten sieben Monaten dieses Jahres im Schnitt nur einer Dokumente vor, um seine Identität nachzuweisen. Von den Menschen aus Russland hatte etwa jeder zweite Papiere dabei. Dagegen legten rund acht von zehn Menschen, die nach eigener Aussage aus Syrien stammen, Ausweispapiere vor, wie eine Antwort der Bundesregierung auf eine parlamentarische Anfrage zeigt.

Die Spracherkennungssoftware kommt immer dann zum Einsatz, wenn jemand ohne Papiere kommt und eine arabische Herkunft angibt. Ausgenommen sind Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren. Bei der Widerrufsprüfung, die spätestens drei Jahre nach der Gewährung von Asyl- oder Flüchtlingsschutz ansteht, und entscheidend für die Frage ist, ob eine dauerhafte Niederlassungserlaubnis erteilt wird, ist das anders.

Hier kommt die Dialekterkennung nur dann zur Anwendung, wenn keine Dokumente vorliegen und die Anerkennung im schriftlichen Verfahren erfolgt war. Mit anderen Worten: Wer bei der Anhörung erfolgreich gelogen hat und sich auch bei der Widerrufsprüfung nicht auffällig verhält, hat gute Chancen, damit durchzukommen. So wie einige türkische Staatsbürger, die in den 1980er Jahren als libanesische Bürgerkriegsflüchtlinge anerkannt worden waren.

Allerdings hat sich seit der Flüchtlingskrise der Jahre 2015 und 2016 etwas geändert. 2017 wurden alle Dolmetscher, die für das Bamf arbeiten, verpflichtet, das Bundesamt unverzüglich darauf hinzuweisen, «wenn beim Dolmetschen Auffälligkeiten und Unstimmigkeiten sprachlicher Art auf Seiten eines Antragstellers erkennbar sind.» (dpa)