Deutsche Muslime nicht radikaler als Nichtmuslime

14 Prozent der Muslime akzeptieren Gewalt und Demokratiefeindlichkeit, so eine Studie des Bundesinnenministers. Die Ergebnisse unterscheiden sich kaum von Untersuchungen über Einstellungen von Nichtmuslimen.

Muslime beim Gebet; Foto: dpa
Die Einstellungen von Muslimen und Nichtmuslimen zur Demokratie sind sehr ähnlich.

​​Ein "ernstzunehmendes islamistisches Radikalisierungspotential" macht Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in Deutschland nicht erst seit heute aus.

Im Vorwort zu einer am Mittwoch (19.12.2007) veröffentlichten umfangreichen Studie erneuert der Minister aber seine Warnung und er mahnt zu mehr Kooperation zwischen Muslimen und Nichtmuslimen in Deutschland, um drohenden Gefahren vorzubeugen.

Knapp 2000 von über drei Millionen Muslimen in Deutschland wurden für diese Studie in Telefoninterviews befragt – so viele wie noch nie zuvor für eine solche Untersuchung.

Die 515 Seiten lange Untersuchung wurde von den Hamburger Kriminologie-Professoren Peter Wetzels und Katrin Brettfeld erarbeitet und sie zeigt unter anderem, dass rund vierzig Prozent der Muslime "fundamentale Orientierung" haben. Die Untersuchung bestätigt die Befürchtungen des Ministers ansonsten aber nur in begrenztem Umfang.

Ergebnisse vergleichbar mit Nichtmuslimen

"Fundamentale Orientierung" heiße nicht gewaltbereit, noch nicht einmal demokratiefeindlich, sondern lediglich "stark religionsbezogen". Die Untersuchung scheint im Gegenteil sogar zu zeigen, dass sich Muslime in Deutschland gar nicht so sehr von der nichtsmuslimischen Bevölkerung unterscheiden.

Der Anthropologe Werner Schiffauer von der Viadrina Universität in Frankfurt an der Oder warnt deswegen gegenüber der auch vor Fehlinterpretation der Untersuchung: Auch bei der nicht-muslimischen Bevölkerung gebe es einen ähnlich hohen Anteil mit antidemokratischen Einstellungen.

"Bei beiden Gruppen gibt es auch die gleiche Prozentzahl von Xenophobie: Bei Muslimen eher Antisemitismus, bei den Nichtmuslimen Anti-Islamismus oder Islamophobie." Auf Grund der Studie die Muslime oder den Islam als Problem festzumachen, sei deshalb falsch.

Warnung vor Fehlinterpretation

Ähnlich reagiert Peter Wetzels, einer der Verfasser der Studie. Auch er warnt davor, in die Untersuchung Dinge hineinzulesen, die dort nicht stünden.

Christliche Pilgerscharen an einem Kreuz; Foto: dpa
Die Mehrheit der Deutschen ist religiös, wie kürzlich eine Studie herausfand.

​​Die überwiegende Mehrheit der Muslime in Deutschland sei "normkonform" und stehe nicht im Widerspruch zur Demokratie. Es gebe aber eine kleine Minderheit unter den Muslimen, die "demokratieresistent" sei. Ihr Anteil entspräche aber ziemlich genau der Größe ähnlicher Gruppen in der nichtmuslimischen Bevölkerung, die auch die Demokratie ablehnten oder gewaltbereit seien.

Auch dass vierzig Prozent der Muslime tief religiös geprägt seien, scheint Wetzels weder zu überraschen noch zu beunruhigen. Nach einer von der Bertelsmann-Stiftung erst in der vergangenen Woche veröffentlichten Studie sind rund siebzig Prozent aller Deutschen religiös, jeder fünfte gilt sogar als "hochreligiös".

Der Wissenschaftler will nicht instrumentalisiert werden. Denn sowohl die eine als auch die andere Gruppe könnte versucht sein, in der Studie Bestätigungen für die eine oder andere politische These zu suchen.

Wetzels bestreitet in diesem Zusammenhang sogar, dass das Bundesministerium des Inneren den Auftrag zur Erarbeitung der Studie gegeben habe: "Die Forschungsarbeit ist entstanden vor dem Hintergrund von Forschungsarbeiten, die wir vorher schon durchgeführt hatten zur Frage des Verhältnisses von Religion und Kriminalität. Das Bundesministerium des Inneren hat ein Forschungsprojekt gefördert und nicht in Auftrag gegeben. Es hatte auch auf die Gestaltung dieses Forschungsvorhabens keinen inhaltlichen Einfluss."

Studienautor: Dialog alternativlos

Das Ziel der Untersuchung sei zunächst einmal gewesen, überhaupt festzustellen, in welchem Maße bestimmte Einstellungen in der muslimischen Bevölkerung in Deutschland verbreitet seien und welche Hintergründe diese Einstellungen haben.

Versammelte Runde bei der zweiten Islamkonferenz; Foto: dpa
Dialog "alternativlos": Im September 2006 begann die erste deutsche Islam-Konferenz mit Vertretern muslimischer Verbände und des Staates.

​​Die Konsequenzen, die man hieraus ziehe, richteten sich sämtlich in Richtung Prävention. Um aber erfolgreich Prävention betreiben zu können, müsse man die Hintergründe kennen – etwa Erfahrungen der Diskriminierung oder Marginalisierung. Es sei deswegen besonders wichtig, die Integrationsbemühungen zu verstärken, sowohl von Seiten der Aufnahmegesellschaft als auch von Seiten der muslimischen Verbände und Organisationen.

Die Untersuchung sei nicht geeignet, Prognosen zu stellen, räumt Professor Wetzels ein. Sicher sei jedoch, dass der begonnene Dialog, der sich auch im Zusammenwirken von staatlichen Stellen auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene entfaltet hat, notwendig und alternativlos ist.

"Es nutzt uns nichts, mit Verweis auf ein bestehendes Problem bei einer Minderheit Prozesse in Gang zu bringen, die die Gesamtheit dieser Gruppe ausgrenzen. Wir würden ein Problem verschärfen."

Peter Philipp

© DEUTSCHE WELLE 2007

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