Frühkindliche Erziehung im Dienste Muhammads

Neue Schulbücher sollen Saudi-Arabien ein moderneres Image verleihen. Vom Erziehungsministerium unlängst herausgegeben, wurden sie auch ins Internet gestellt. Ihre Lektüre hinterlässt jedoch einen zwiespältigen Eindruck. Joseph Croitoru berichtet.

Kleiner saudischer Junge mit Koran unterm Arm; Foto: dpa
Zwar präsentierten sich die neuen Lehrinhalte schon deutlich moderner als früher, jedoch ist die Religionslehre noch immer stark von wahhabitischen Dogmen geprägt.

​​Nach den Anschlägen des 11. September – der Großteil der Täter waren bekanntlich Saudis – wurde das Erziehungssystem in Saudi-Arabien von der internationalen Öffentlichkeit kritisch durchleuchtet. Studien westlicher Orientalisten ergaben, dass der Schulunterricht im saudischen Königreich nicht nur sehr stark auf die Religion fixiert, sondern auch äußerst tendenziös war.

Noch 2006 konnte eine amerikanische Studie belegen, dass die saudischen Schüler im missionarischen Geist erzogen wurden: Der Islam sollte verbreitet werden, wenn nötig, durch den Heiligen Krieg. Zudem wurde die Ansicht vertreten, dass sich die Muslime gegen die Kreuzzüge, die noch immer andauerten, zur Wehr setzen müssten. Gewalt gegen Juden wurde weiter verherrlicht, der Inhalt der antisemitischen "Protokolle der Weisen von Zion" galt als wahr.

Rigide Erziehung mit tendenziösem Charakter

Das Erziehungsministerium Saudi-Arabiens hat unlängst auf diese Vorwürfe nicht nur mit der Herausgabe neuer, wesentlich überarbeiteter Schulbücher reagiert, sondern diese jetzt gleich auch als Volltextdateien auf seine Internetseite gestellt. Offenbar will das Königreich Saudi-Arabien mit diesem Akt Transparenz und Weltoffenheit demonstrieren.

Tatsächlich präsentiert sich die Gestaltung der neuen Lehrinhalte schon deutlich moderner als früher. So werden Erstklässlern zwar vor allem die Grundlagen des islamischen Glaubens beigebracht, sie lernen aber auch schon Rechnen und Grundlegendes über Biologie und Natur.

Das Religionsbuch "Einheitsglaube und Religionsgesetz", das der jeweiligen Klassenstufe angepasst bis in die zwölfte Klasse verwendet wird, vermittelt den Schulanfängern, Angehörige des Islam zu sein – von Gott geschaffen.

Doch mündet die kindgerechte Einführung bald in eine rigide Erziehung mit tendenziös-exklusivem Charakter, wenn es heißt, Muslim zu sein, bedeute die Ablehnung aller anderen Religionen. Der Lohn der Gottestreue, präzisiert das Lehrbuch weiter, sei das Paradies. Der Buchteil über den Einheitsglauben aber endet unmissverständlich: "Wer die Lehre des Propheten Muhammad ablehnt, den erwartet das Höllenfeuer."

Einflüsse des Wahabismus

Plakat der Arabischen Liga: Kronprinz Sultan bin Abdul Aziz (links) und König Abdullah bin Abd al-Aziz (rechts); Foto: AP
Patriotisch und streng-religiös, so lautet das Selbstverständnis des saudischen Herrscherhauses auch in der Bildungspolitik des Landes.

​​Mit einer Mischung aus Patriotismus und Religion werden die Schüler ab der vierten Klasse in Gemeinschaftskunde unterrichtet, wo besonderes Augenmerk auf Disziplin, Gehorsam und soziales Verhalten gelegt wird. Der Geschichtsunterricht befasst sich jetzt ausschließlich mit dem Leben des Propheten Muhammad.

Allerdings war der Lehrer bereits im Religionsunterricht für die zweite Klasse angewiesen, neben denen des Muhammad auch über die religiösen und historischen Verdienste des Muhammad Abdel Wahhab aufzuklären, des Urhebers des Wahabismus.

Dessen Dogmen, wie etwa die Ablehnung des Heiligen- und Grabkultes sowie die Bekämpfung der Abtrünnigen, sollen die Schüler dieser Altersstufe ebenso verinnerlichen wie ihre nationalen Pflichten, allen voran den Militärdienst. Letzterer ist, so lehren die saudischen Schulbücher durchgehend, die höchste Form von Dienst am Vaterland, für dessen Verteidigung im Dschihad gegebenenfalls auch ein ehrenvoller Tod zu sterben ist.

Über die Weltgeschichte erfahren die Kinder kaum etwas, dafür aber wird die islamische Geschichte - mit Betonung auf den siegreichen Schlachten der Muslime - immer wieder durchgenommen. Und so wird den Schülern das Bild von der glorreichen eigenen Geschichte eingebläut, in der der Islam über mehrere Jahrhunderte die halbe Welt beherrschte, "alle Abtrünnigen ausradierte und für Ordnung und Gerechtigkeit" sorgte.

Es wird behauptet, dass der Islam - trotz manch militärischer Niederlage in der Vergangenheit - letztlich unbesiegbar sei und sich derzeit im Aufbruch befinde, auch wenn der Westen heute – ähnlich wie früher die Kreuzzügler – die Umma zu spalten trachte. Dabei wird das "Kreuzzüglertum" mit dem "Weltzionismus" assoziiert.

Islamische Solidarität gegen westlichen Kulturimperialismus

Hingegen ist die Behandlung des "Palästina-Problems" überraschend sachlich. Hinweise auf die "Protokolle der Weisen von Zion" werden zwar vermieden, ein Rest von Verschwörungsgedanken findet sich aber in dem Lehrbuch "Kulturelle und politische Geschichte der Muslime" für die elfte Klasse. Dort heißt es, der Zionismus strebe die Eroberung arabischer Gebiete von Alexandria bis Bagdad an.

Anders als früher wird nun auf jegliche Hetze gegen die Schiiten verzichtet, obgleich die Ahmadiyya und die Bahai-Sekte als Häresien betrachtet werden.

Um so mehr plädieren die neuen saudischen Lehrbücher, die nach wie vor den geschichtlich eigentlich schon überholten säkularen Panarabismus als Feind markieren, für eine globale islamische Solidarität und für die Abwehr des westlichen, heute vor allem kulturellen Imperialismus.

Gegen diesen will das Königreich Saudi-Arabien die Muslime überall auf der Welt stärken und zur Schaffung, so wörtlich, besserer islamischer Gesellschaften beitragen – mit Hilfe der Scharia, des islamischen Religionsgesetzes. Das sollte man gerade auch im Westen ernst nehmen.

Joseph Croitoru

© Qantara.de 2008

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