US-Entscheidung zu Siedlungen: Frust und Hoffnung im Westjordanland

Die USA betrachten den israelischen Siedlungsbau im Westjordanland nicht länger als Verstoß gegen internationales Recht. Palästinenser klagen über das Leben zwischen Siedlungen und Kontrollposten – die Siedler wiederum fordern von Israel den nächsten Schritt. Von Stefanie Järkel und Maher Abukhater

Mohammed Bahiti arbeitet in einem Gemüseladen in Ramallah, lebt aber rund eineinhalb Stunden nördlich des palästinensischen Verwaltungszentrums im Westjordanland. Die israelischen Siedlungen machten das Fahren auf den Straßen schwierig, sagt der 27-Jährige. «Manchmal stellen die Soldaten Kontrollpunkte auf und sorgen für stundenlange Verspätungen. Eine Reise, die sonst eineinhalb Stunden dauert, braucht dann manchmal drei oder vier Stunden, wenn wir nach alternativen Wegen schauen.»

Alle paar Tage fährt er von Ramallah in die Gegend von Tulkarem und zurück. Die israelische Armee kontrolliert regelmäßig auf Straßen im Westjordanland nach Attacken palästinensischer Attentäter auf Israelis. Rund drei Millionen Palästinenser wohnen und arbeiten im von Israel besetzten Westjordanland. Zwischen ihnen wiederum leben rund 430.000 israelische Siedler, Tendenz steigend.

Israel hatte 1967 im Sechstagekrieg unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert. Die Palästinenser fordern die Gebiete für einen eigenen Staat - mit Ost-Jerusalem als Hauptstadt. Für viele Siedler, aber auch für viele Mitglieder der rechtsreligiösen israelischen Regierung, gehört die Region jedoch schon längst zu Israel. Sie verweisen auf religiöse und historische Gründe.

Die Vereinten Nationen stufen die Gebiete als besetzt ein und berufen sich auf internationales Recht. Die Siedlungen seien ein großes Hindernis für Frieden, stellten die UN unter anderem in der Resolution 2334 im Jahr 2016 fest. US-Außenminister Mike Pompeo sagte dagegen am Montag, der Bau von israelischen Siedlungen im Westjordanland sei aus Sicht der USA «nicht per se unvereinbar mit internationalem Recht».

Nach Ansicht des palästinensischen Analysten Dschihad Harb aus Ramallah beeinflussen die Siedlungen das Leben der Palästinenser auf mehrere Arten: Israel kontrolliere das Land, so dass  Palästinenser es nicht mehr nutzen könnten, Israel kontrolliere das Wasser, und die Siedlungen und Straßen zwischen Siedlungen zerschnitten das Westjordanland in Distrikte. «Palästinenser können nicht mehr (...) frei zwischen ihren Dörfern und Städten reisen», sagt Harb.

Das Westjordanland teilt sich nach den Oslo-Friedensverträgen von Anfang der 1990er Jahre in drei Zonen auf: in Zonen unter alleiniger israelischer Kontrolle (C-Gebiet), gemeinsam mit den Palästinensern kontrollierte Regionen (B-Gebiet) und allein von der palästinensischen Autonomiebehörde kontrollierte Zonen (A-Gebiet).

Die C-Zone macht dabei mehr als 60 Prozent der Gesamtfläche aus. «Wir haben auch Land in der Nähe von Siedlungen, und wir kommen da nicht hin, weil dort entweder die Mauer (israelische Sperranlage) steht oder für uns «Zutritt verboten» gilt, weil das Land in der Nähe von den Siedlungen ist», sagt Gemüsehändler Bahiti. «Die Siedlungen haben unser Leben verändert.» Israel hatte 2002 nach schweren palästinensischen Anschlägen mit dem Bau der Sperranlage begonnen.

Uri Karzen, Generaldirektor der Jüdischen Gemeinde in Hebron im Süden des Westjordanlandes, verweist dagegen auf jüdische Wurzeln vor Ort. «Juden haben hier seit 3500 Jahren gelebt», sagt der 58-Jährige. Sie seien 1948 während des ersten Nahost-Krieges aus Judäa und Samaria (Westjordanland) vertrieben worden. Jordanien hatte damals das Gebiet erobert. «Seit 1967 haben wir begonnen, zurückzukommen. Wir sind das ethnische Volk, das hier gewachsen ist.»

Gemeinsam mit rund 1.000 anderen Israelis lebt Karzen in Hebron. Die Stadt ist zweigeteilt: Einen Teil kontrolliert die Palästinensische Autonomiebehörde, den anderen Israel. In dem von Israel kontrollierten Teil leben die Siedler umringt von rund 50.000 Palästinensern. Wegen der Präsenz von Siedlern und Soldaten mussten Palästinenser im Stadtzentrum Geschäfte und Wohnungen aufgeben.

Uri Karzen sagt, die meisten Erzählungen aus der Bibel würden sich auf Orte in Judäa und Samaria beziehen. «Es ist der Geburtsort unseres Volkes.» In Hebron befinden sich auch die Patriarchengräber - ein heiliger Ort für Juden, Christen und Muslime, der heute in eine Synagoge und eine Moschee aufgeteilt ist. Unter dem 2.000 Jahre alten Bau ruhen der Überlieferung nach die Gebeine der biblischen Erzväter und -mütter: Abraham und Sarah, Izchak und Rebekka, Jakob und Leah.

Rund 600.000 Israelis leben insgesamt in mehr als 200 Siedlungen im Westjordanland und in Ost-Jerusalem. Israelische Siedlungen können aus wenigen Mobilhäusern bestehen oder aber Zehntausende Einwohner haben. Die größte israelische Siedlung im Westjordanland ist die Stadt Modiin Illit mit rund 73.000 Einwohnern, die nach Angaben der israelischen Organisation Peace Now 1994 gegründet wurde. Sie liegt nordwestlich von Jerusalem, nahe der grünen Linie zu Israel.

Oded Revivi vom Jescha-Rat als Interessenvertretung der Siedlungen erklärt, dass es drei Gruppen von Siedlern gibt. Die erste Gruppe seien die strengreligiösen Juden, deren Ansiedlung im Westjordanland auch von der Regierung bis zur Jahrtausendwende gefördert worden sei. «Die zweite Gruppe sind säkulare Juden, die wegen der Lebenshaltungskosten umgezogen sind», sagte Revivi. Diese hätten sich an günstigeren Orten nahe der grünen Linie zu Israel niedergelassen.

Die dritte Gruppe seien modern-orthodoxe Juden, die zum Teil aus finanziellen und zum Teil aus religiösen Gründen gekommen seien. Unter anderem der Jescha-Rat fordert nach der US-Entscheidung nun eine Annektierung des Westjordanlandes durch Israel. Ein Sprecher des palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas warnte allerdings vor Konsequenzen der US-Entscheidung.

Analyst Harb aus Ramallah erwartet jedoch keine besonderen Reaktionen der Palästinenser, keine Demonstrationen, keine Gewalt. «Palästinenser glauben, dass solche Entscheidungen nicht lange anhalten», sagt Harb. Und: «Palästinenser sind frustriert aufgrund der lokalen und internationalen politischen Situation, die sie nicht ermutigt, zu reagieren oder auf die Straßen zu gehen.» (dpa)