Kairos Musikszene zwischen Zensur und Aufbruch

Das Institut für Auslandsbeziehungen fördert die Dialogbereitschaft zwischen islamischen Ländern und Deutschland. Der Münchner Saxofonist Rafael Alcántara erkundete im Rahmen des IFA-Projekts Kairos Musikszene. Mit ihm sprach Stefan Franzen.

Das Stuttgarter Institut für Auslandsbeziehungen (IFA) fördert in seinem Projekt "CrossCulture-Praktikum" die Dialogfähigkeit und –bereitschaft zwischen islamischen Ländern und Deutschland. Der Münchner Saxofonist Rafael Alcántara erkundete im Rahmen des IFA-Projekts Kairos Musikszene. Mit ihm sprach Stefan Franzen.

Die wichtigste Anlaufstelle während Ihres Aufenthaltes war das Egyptian Center of Culture and Art (ECCA). Welche Funktionen übt es aus und wie steht es zur Regierung?

Rafael Alcántara: Es wird vom IFA begrüßt, wenn man sich ein unabhängiges Institut als Partner für das Stipendium aussucht. Das ECCA ist nicht staatlich und erfüllt zwei Funktionen: Zum einen hat es Räume geschaffen, in denen traditionelle Musik aufgenommen wird. Das heißt nicht, dass die Leute dort Puristen wären. Es geht einfach darum, diese Traditionen für die Nachwelt zu dokumentieren, da es nur noch ganz wenige Musiker gibt, die sie beherrschen.

Die gleichen Räume werden aber für junge, progressive Gruppen zur Verfügung gestellt, damit diese eine Plattform bekommen.

Wie stellt sich die Zusammenarbeit des ECCA mit dem Staat dar?

Alcántara: Problematisch. Es hat Jahre gedauert, bis die Öffnung des ECCA überhaupt genehmigt wurde. Und als ich da war, wurde eine geplante Koproduktion zwischen einem staatlichen Orchester und einem traditionellen Ensemble, das das ECCA stellen wollte, vier Tage vor Probenbeginn ohne Begründung abgesagt.

Dabei sollte dieses Projekt rein musikalischer Kultur sein, war also nicht regierungskritisch. Es ging dem Kulturministerium nur darum, einen Machtanspruch zu demonstrieren. Generell beobachtet die Führung alle unabhängigen Kulturinstitutionen, wobei die Bespitzelung nicht offenkundig ist, das geschieht eher subtil.

Eine andere Plattform, auf der explizit kritische Kommentare zur sozialen Situation abgegeben wurden, wurde Knall auf Fall geschlossen. Es bleibt den Musikern also nur, Missstände in verschlüsselten ironischen Bildern anzuprangern, und viele tun das auch.

Welche Musik wird denn von offizieller Seite geduldet bzw. gefördert?

Alcántara: Diejenigen, die etabliert sind, haben sich mit der Regierung in irgendeiner Form arrangiert, aber sie spielen immer eine Art von Musik, die nicht sehr authentisch ist, sondern eine besondere Wirkung auf Touristen ausüben soll, das ist eher ein "Zurschaustellen".

​​Das zeigt sich auch bei den Konzerten, die während des Ramadan gegeben werden, wo es Tradition ist, dass auch kulturell alles einen feierlichen Charakter bekommt und man von Sufi-Musik bis zur Vertonung alter arabischer Poesie alles erleben kann.

Dann gibt es noch die Oper, ein Relikt aus der englischen Kolonialzeit, die wird als Prestigeobjekt weitergeführt mit einem konservativen Programm für die Oberschicht, sie stellt keinen Bezug her zur Realität der ägyptischen Bevölkerung heutzutage.

Und die junge Szene wird ignoriert?

Alcántara: Die bekommen keinerlei Unterstützung. Ein Beispiel nur: Die Band Wust El Balad gibt es seit zehn Jahren, seitdem haben sie gegen den Wind angespielt und nun endlich können sie eine CD veröffentlichen!

Kurioserweise hat sich jetzt ein libanesisches Label namens Incognito gefunden, das in den Räumen des ECCA die jungen Gruppen produziert und möglicherweise auch bald nach Europa vertreibt, da wächst jetzt ein zartes Pflänzchen heran. Ein Trauerspiel eigentlich, dass da jemand von außerhalb kommen musste.

Rafael Alcántara,
geboren in München als Sohn einer deutschen Mutter und eines peruanischen Vaters, studierte Saxophon am Richard-Strauss Konservatorium (RSK) in München und klassisches Saxophon am Conservatorio de Música in Barcelona. Von August bis Oktober 2006 hielt er sich als ifa-Stipendiat in Kairo auf.
Hinzu kommt, dass die ägyptische Musikindustrie noch immer mit Kassetten hantiert, sie scheint den Anschluss an das CD-Zeitalter verpasst zu haben. Und die Entscheidungsträger setzen sich aus einem kleinen elitären Kreis zusammen, der lieber an der Popmusik nach amerikanischem Strickmuster festhält, als neuen Ideen zu mehr Bekanntheit zu verhelfen.

Wie ist die Stimmung bei der Jugend und welche Interessen herrschen unter den jungen Musikern vor? Gibt es einen Underground, Rock und Punk?

Alcántara: Ich hatte den Eindruck, dass sie die amerikanisierte Popmusik so langsam satt haben. Sie wollen ihre eigene Musik hören, und zwar nicht in streng traditioneller Art, sondern belebt durch innovative Einflüsse.

Die jungen Musiker haben eine unbelastete Art, mit Harmonien und Akkorden umzugehen, die wir im Westen schon längst hinter uns haben. Sie benutzen dieses Material noch auf eine sehr natürliche Weise, dadurch klingt es frisch. Ein unglaubliches Potenzial, das uns im Westen zeigen kann: Denkt nicht zuviel nach, macht einfach!

Auch dass sie hauptsächlich ohne Noten spielen, hat mich überrascht, acht- bis zehnköpfige Gruppen, die komplizierte Arrangements aufbauen, für die wir hier alles erst einmal in Noten festsetzen müssen. Eine wirklich tolle Kombination aus improvisatorischem Charakter und trotzdem Feingefühl für Struktur.

Können Sie kurz einige Interpreten vorstellen, deren Musik sie in Kairo kennen gelernt haben?

Alcántara: Führend unter den progressiven Musikern ist Fathy Salama und seine Band Sharkiat, er hat auch eine internationale Wirkung. Salama ist eine wichtige Institution, da er über lange Jahre immer seine innovative Kraft beibehalten hat, Jazz mit arabischen Elementen zu mischen.

In seiner Nachfolge gibt es jetzt zum Beispiel die Band Masar, das sind noch sehr junge Musiker, die die westlichen Elemente mit einbeziehen, ohne ihre eigene Musik zu vergessen.

Cover der Band Black Thema
Cover der Band Black Thema

​​Dann gibt es die Gruppe Black Thema, die vom Gesang dreier Nubier geprägt ist, mit ihnen habe ich in einem Konzert gespielt. Wust El Balad mischen spanisch-andalusische und Latin-Elemente in ihr Konzept hinein, auch mit ihnen stand ich in einem Jazzclub auf der Bühne.

Und dann die Frauen, die umso interessanter sind, als sie in Ägypten, wo nach dem Brauchtum die Musikausübung vom Vater an den Sohn weitergegeben wird, eher als Randerscheinung auftreten:

Die Algerierin Karima Nayt, die aus ihrer Heimat geflohen ist und nun als Koryphäe im Tanzbereich in Kairo Fuß gefasst hat. Mazaher dagegen ist ein Frauen-Ensemble aus Oberägypten, das vom ECCA aufgenommen wurde, um die rituelle Musik namens "Zar" zu dokumentieren.

Was ist das Resultat Ihrer Reise?

Alcántara: Ich habe mich schon vorher intensiv mit der klassischen arabischen Musik und der Sprache beschäftigt, mich dieser Musik, die ja so viel linearer als die europäische aufgebaut ist und nicht nach Akkordstrukturen denkt, anzunähern versucht.

Nach der Reise, während der ich mit etlichen Gruppen zusammen spielen konnte, habe ich dann angefangen, mit diesen Elementen zu komponieren, habe Charakteristika der Musik auf mein Saxofon übertragen und auch auf Arabisch gesungen, die dortige Harmonik mit Jazzvokabular verbunden und mit elektronischen Zusatzinstrumenten kombiniert.

Mein Traum wäre es, mit Unterstützung des Instituts für Auslandsbeziehungen Musiker aus Kairo hierher zu holen, um eine konkrete Form des kulturellen Austauschs auch auf CD präsentieren zu können.

Interview: Stefan Franzen

© Qantara.de 2007

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