Autor Feridun Zaimoglu: Aufgeregtheit wegen Hagia Sophia ist übertrieben

Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu hält nach eigenem Bekunden die "Aufgeregtheit" wegen der geplanten Umwandlung der Hagia Sophia in Istanbul vom Museum in eine Moschee für übertrieben. "Viele säkular gestimmte Menschen entdecken plötzlich ihr Herz für die Christenheit. Sie sollten sich aber bitteschön auch engagieren, wenn es um tiefere Glaubensfragen geht", sagte der 55-Jährige der "Zeit"-Beilage "Christ & Welt" (Donnerstag). "Ich begrüße, wenn in einem Gotteshaus wieder ein Gott angebetet wird. Die Hagia Sophia wurde ja schließlich nicht als Verwahranstalt und Showroom von Kultgegenständen gebaut."

Gleichwohl handele es sich bei dem Schritt des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan um eine Inszenierung. "Es ist aber auch nichts Neues unter der Sonne. Der Protestantismus hat die katholischen Kirchen überschrieben, mit der Gegenreformation ging die Reise wieder zurück. Aus Synagogen und Tempeln wurden Kirchen. Heute werden Kinos und Buchläden daraus, wenn sie nicht mehr gebraucht werden", sagte Zaimoglu.

Die öffentliche Empörung rühre daher, dass man dabei die Eroberung Konstantinopels mitdenke, den Aufstieg des Osmanischen Reichs. "Die alten Geschichten von Freund­ und Feindschaften stehen wieder im Raum." Gläubige Menschen sprächen "eher unaufgeregt" über solche Angelegenheiten. "Je aufgeregter die Debatte, desto mehr geht an Substanz verloren."

Auf die Frage, ob durch die Umwidmung der Hagia Sophia deren christliche Geschichte getilgt und aus dem kulturellen Gedächtnis gelöscht werden solle, sagte Zaimoglu: "Das wäre fatal. Nichts ist schlimmer als zensierte Geschichte." In Istanbul gebe es Zeugnisse der byzantinischen, osmanischen und jüdischen Kultur, Klöster und Moscheen, "alles in großer Pracht. Im Gedächtnisspeicher der Menschheit werden sie bewahrt. Wer sich die Geschichte zurechtlügt und behauptet, es habe nur das gegeben und sonst nichts, über den lachen letztlich nicht nur die Möwen von Istanbul."

Der Literat erinnerte daran, dass in Istanbul im "Modernisierungswahn" der vergangenen 15 Jahre osmanische Relikte und historisch gewachsene Straßen und Viertel zerstört worden seien. "Die Geschichte der Zerstörung des kulturellen Erbes hat also weit vor der Umwidmung der Hagia Sophia begonnen, mit Wolkenkratzern aus Chrom und Glas."

Insgesamt betonte Zaimoglu, er wolle nicht falsch verstanden werden: "Ich bin nicht der Meinung, dass man es mit den Mächtigen halten soll. Ich hoffe einfach nur, dass die einfachen Christen und Muslime dort gleichermaßen beten können und ihre Gebete in den Himmel steigen." (KNA)