Von den niederen Motiven der Aussöhnung

Muammar al-Gaddafi ist bekannt dafür, seine europäischen Gastgeber öffentlich zu düpieren. Dieser Tradition ist er auch während seines Besuches bei Berlusconi treu geblieben – zum Beispiel beim Thema Italiens Kolonialvergangenheit. Von Bernhard Schmid

Muammar al-Gaddafi ist bekannt dafür, seine europäischen Gastgeber öffentlich zu düpieren. Dieser Tradition ist er auch während seines jüngsten Besuches bei Silvio Berlusconi treu geblieben – zum Beispiel beim Thema Italiens Kolonialvergangenheit. Einzelheiten von Bernhard Schmid

Muammar al-Gadafi bei Silivio Berlusconi; Foto: dpa
Gaddafis Besuch bei Berlusconi sollte nach der Unterzeichnung eines Abkommens im August 2008 den Neubeginn zwischen Libyen und der ehemaligen Kolonialmacht Italien festigen.

​​Offiziell gilt Libyens Staatschef und Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi seit Dezember 2003 auf der internationalen Bühne nicht mehr als Schurke. Damals hatte die Führung in Tripolis in aller Form in Erklärungen gegenüber den USA und Großbritannien auf den Erwerb von ABC-Waffen verzichtet.

Trotzdem sehen Gaddafis Gastgeber den markigen General mit der Sonnenbrille lieber wieder fortgehen als ankommen – gleich ob er auf dem internationalen diplomatischen Parkett inzwischen rehabilitiert worden ist.

Diese Sichtweise auf die Person des libyschen Staatslenkers dürften, jedenfalls seit dem jüngsten Besuch von Libyens Staatschef in Italien, sowohl Silvio Berlusconi als auch Nicolas Sarkozy miteinander teilen.

Bei Frankreichs Präsident war der libysche Machthaber im Dezember 2007 – ein Staatsbesuch, der in Frankreich höchst umstritten blieb und eine ganze Woche lang dauerte.

Während der Visite hatte Gaddafi vor laufenden Kameras Sarkozys Worte Lügen gestraft, als dieser nämlich behauptet hatte, auch Menschenrechte seien bei den bilateralen Gesprächen ein Thema gewesen.

Die Entschuldigung des 'Cavaliere'

Vom 10. bis 13. Juni weilte Gaddafi dann bei Italiens Staatschef in Rom, womit er Berlusconis Staatsbesuch vom August letzten Jahres im ostlibyschen Bengasi erwiderte.

Gaddafi während einer Presse-Konferenz in der Villa Madama in Rom; Foto: dpa
Politischer Eklat: Nach Gaddafis stundenlanger Verspätung hatte das italienische Abgeordnetenhaus ein Treffen mit dem Revolutionsführer an dessen letzten Besuchstag am 13. Juni abgesagt.

​​Damals sorgte der italienische Regierungschef für eine kleine Sensation. Denn obwohl rechtsextreme Minister im Kabinett des "Cavaliere" sitzen, hatte Berlusconi damals die Verbrechen der italienischen Kolonialvergangenheit, die in Libyen von 1911 bis 1942/43 dauerte, anerkannt.

Doch ungeachtet der Aussöhnungsgeste vom vergangenen Jahr brüskierte Gaddafi seine Gastgeber bei seinem Gegenbesuch in Rom gleich mehrfach. So ließ er am letzten Abend seines Besuchs mehrere hundert Abgeordnete und Persönlichkeiten, vor denen er eine Ansprache halten sollte, geschlagene zwei Stunden lang auf sich warten.

Als er auch dann nicht auftauchte und eine Entschuldigung oder Erklärung ebenfalls nicht eintraf, annullierte Parlamentspräsident Gianfranco Fini kurzerhand den Termin – unter dem Applaus eines Teils der Abgeordneten.

Die libysche Botschaft gab später an, Gaddafi sei "durch das Freitagsgebet" aufgehalten worden. Wahrscheinlicher ist, dass er den Parlamentspräsidenten im Regen stehen ließ, weil er von dessen Redetext zuvor Wind bekommen hatte: kritische Worte des italienischen Rechtspolitikers am libyschen Revolutionsführer.

Reinster Zynismus

Aufgegriffenes Flüchtlingsschiff an der italienischen Küste; Foto: AP
Menschenrechtsgruppen kritisierten die Vereinbarung zur Abschiebung von Flüchtlingen, die illegal von Libyen aus nach Italien zu gelangen versuchen.

​​Darin warf er Gaddafi vor, den Angriff der USA auf Libyen 1986 mit späteren Terrorangriffen von al-Qaida verglichen zu haben. Auch wollte Fini den libyschen Staatschef dazu auffordern, die Auffanglager für in Europa unerwünschte Zuwanderer – die auf libyschem Boden errichtet sind – durch eine italienische Parlamentarierdelegation besuchen zu lassen.

Dadurch sollte es diesen erlaubt werden, "sich zu vergewissern, dass in diesen Lagern auch die Menschenrechte eingehalten werden".

Objektiv gesehen handelt es sich bei dieser geplanten Rüge jedoch um reinen Zynismus: Angesichts der realen Verhältnisse in den Lagern, deren Insassen absoluter Willkür ausgesetzt sind und angesichts des libyschen Umgangs mit unerwünschten schwarzafrikanischen Migranten, sollte es sich eher verbieten, EU-Einwanderungswillige in dieses Land abzuschieben. Genau dies aber tut Italien.

Seit Anfang Mai wurden erstmals zwei Flüchtlingsschiffe vor den italienischen Südküsten gezwungen, sofort kehrt zu machen und die Menschen an Bord den libyschen Behörden auszuliefern, anstatt zu prüfen, ob diese etwa in Italien ein Asylgesuch stellten konnten. 500 Menschen wurden auf diesem Wege an Libyen "überstellt".

Der Oberst als gewiefter Taktierer

Gaddafi ist nicht nur eitel und weiß, dass Europa ein enormes Interesse an den riesigen Erdöl- und Erdgasreserven des nordafrikanischen Landes hat. Er ist auch ein zu gewiefter Politiker, der über genügend Erfahrung verfügt, um sich von Europas Politikern nicht vorführen zu lassen.

Verhaftung Omar al-Mukhtar durch italienische Faschisten 1931; Foto: DW
Gaddafi trug an seiner Uniform demonstrativ ein Bild des legendären
Widerstandskämpfers Omar al-Mokhtar (Mitte), der von Italiens Besatzern Anfang der 1930er Jahre erhängt worden war.

​​Brüskiert hat Gaddafi die Italiener auch noch in anderer Hinsicht: Bei seiner Ankunft am Flughafen von Rom hatte er ein großes Foto des früheren libyschen Aufstandsführers Omar al-Mokthar ans Revers seiner Uniform geheftet.

Dadurch erfuhren alle Italienerinnen und Italiener, die die Medien verfolgten, etwas über das verdrängte Kapitel der Kolonialvergangenheit ihres Landes.

Zwar war Libyen bereits im Jahr 1911 durch den nördlichen Mittelmeernachbarn erobert worden, wurde aber besonders in der Ära der faschistischen Diktatur Benito Mussolinis (1922 – 1943) gewaltsam unterworfen.

Historiker vermuten, dass damals 20.000 Nordafrikaner aufgrund ihres Widerstands gegen die Kolonialherrschaft getötet, und 100.000 in Wüstenlager deportiert wurden. Von Letzteren starb knapp die Hälfte an Entbehrungen, Epidemien oder bei Hinrichtungen.

Eine Hand wäscht die andere

Mit Berlusconis "nationaler Entschuldigung" vom vergangenen Jahr wurde vereinbart, dass Italien im Laufe der kommenden 25 Jahre insgesamt fünf Milliarden US-Dollar Entschädigungszahlungen an Libyen leisten soll.

Gaddafi auf offiziellem Besuch in Italien; Foto: dpa
Zweckbündnis auf Zeit: Italien hat sich in dem "Freundschaftsvertrag" verpflichtet, Tripolis fünf Milliarden Dollar Entschädigung für die Kolonialzeit zu zahlen und setzt seinerseits auf eine verstärkte energiepolitische Kooperation.

​​Konkret sieht die Abmachung vor, dass Italien pro Jahr 200 Millionen Dollar in die libysche Infrastruktur investieren wird. Dazu zählen der Bau einer Autobahn in Ost-West-Richtung entlang der Küste, von der tunesischen bis zur ägyptischen Grenze sowie die Errichtung von Sozialwohnungen.

Rom verspricht ferner, Stipendien an libysche Studierende zu vergeben sowie Versehrtenpensionen an Minenopfer zu zahlen, die durch die einst von Italienern verlegten Anti-Personen-Minen verletzt wurden.

Im Gegenzug versicherte der Revolutionsführer anlässlich seines jüngsten Staatsbesuchs in Rom, dass italienische Unternehmen in seinem Land künftig Priorität genießen würden.

Italien ist der erste Handelspartner Libyens bei Ein- und Ausfuhren. Zudem ist der Umgang mit in der EU unerwünschten Zuwanderern Bestandteil des politischen "Deals" zwischen beiden Staatsführungen. Dies ist die vielleicht bitterste "Kehrseite der Medaille", welche die Aussöhnung zwischen beiden Ländern unter den gegenwärtigen Bedingungen aufweist.

Bernard Schmid

© Qantara.de 2009

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