Popmusik und Protest im Orient

Eine Schlüsselrolle für die politischen Umwälzungen in der arabischen Welt spielt die Musik, mit der die arabische Jugend ihre politische Botschaft verbreitet hat. Der Journalist Arian Fariborz hat zahlreiche junge Musiker in der islamischen Welt besucht und porträtiert. Eren Güvercin hat das Buch gelesen.

Von Eren Güvercin

Im Vorfeld der jüngsten Aufstände gegen Diktaturen in der arabischen Welt hat die Musik der Jugend eine große Rolle gespielt. In Tunesien etwa war es der junge Rapper Hamada Ben-Amor, besser bekannt unter seinem Künstlernamen El Général, der in seinen Texten den tunesischen Diktator Ben Ali offen kritisierte.

Er und viele andere junge Musiker waren das Sprachrohr der Jugend. Insbesondere die Hip-Hop-Musik mobilisierte die Jugendlichen, die Texte der engagierten Rapper prangerten soziale Missstände, politische Ungerechtigkeit und Korruption an und wirkten somit als Katalysator für den Unmut der jungen Generation.

Hamada Ben-Amor auf dem Berliner Poesiefestival; Foto: © Literaturwerkstatt Berlin
Verfasste mit seinem Song "Rais Lebled" die Protesthymne der Jasminrevolution in Tunesien und wurde damit über die Ländergrenzen hinweg bei der arabischen Jugend populär: der Rapper El Général, alias Hamada Ben-Amor

​​Der Journalist, Islam- und Politikwissenschaftler Arian Fariborz hat bereits vor den jüngsten Unruhen in der arabischen Welt Ende 2010 ein interessantes Buch mit dem Titel "Rock The Kasbah – Popmusik und Moderne im Orient" (Palmyra Verlag) herausgebracht, in dem er den rasanten Wandel der Musik in der arabisch-islamischen Welt und im Iran thematisiert.

Die politische Dimension der Musik

Fariborz betont, dass die Musik in der arabischen Welt natürlich auch der Unterhaltung dient. Wie das Beispiel El Général zeigt, hat die Musik in den autoritär regierten Staaten der arabischen Welt aber auch eine sehr starke politische Dimension. Schon während der Brotunruhen 1988 in Algerien formierte sich auch eine musikalische Protestbewegung, die die Missstände in dem Maghrebstaat wie Korruption und Machtmissbrauch dezidiert angeprangert hat.

"Das war 1988 und Geschichte wiederholt sich. Wir erleben es heute auch. Früher war es die Rai-Musik, der die Jugendlichen fasziniert hat und eine Art Protestkultur war, heute ist es vor allem der Hip-Hop, der ein Sprachrohr der frustrierten arabischen Jugendlichen ist", sagt Fariborz.

​​Hip-Hop-Gruppen wie MBS (Le Micro Brise Le Silence) greifen in ihren Songs aber nicht nur die herrschenden Machtgruppen an, sondern auch islamistische Bewegungen, denn besonders in Algerien geriet das Volk jahrelang zwischen die Fronten in der Auseinandersetzung zwischen Militär und bewaffneten islamistischen Kräften.

In der arabisch-islamischen Welt und vor allem auch im Iran finden sich zahlreiche andere Musikgruppen, die auch andere Musikrichtungen einschlagen, wie etwa Rock, Pop, Blues oder Heavy Metal. Die jungen Künstler setzen einerseits auf traditionelle Instrumentierung, integrieren diese aber in moderne musikalische Genres und erschaffen dadurch etwas Neues.

"Es gibt sehr viele Bands, die wirklich sehr gekonnt einerseits ihrer kulturellen Tradition entsprechen und ihr treu bleiben, und gleichzeitig sehr maßvoll westliche Stilelemente integrieren", beobachtet Fariborz in seinen zahlreichen Begegnungen mit jungen Musikern in verschiedenen Ländern der arabischen und islamischen Welt.

Im Würgegriff von Zensur und Bürokratie

Mohsen Namjoo; Foto: DW
Kehrte der Islamischen Republik wegen der anhaltenden kulturellen Restriktionen den Rücken: der bei Irans Jugendlichen äußerst beliebte Singer-Songwriter Mohsen Namjoo, bekannt auch als der "Bob Dylan der persischen Laute"

​​Doch die bunte Musiklandschaft ist nicht nur den autoritären Herrschern, sondern auch für religiösen Fanatikern oft ein Dorn im Auge. Die Jugendlichen, die ihre Kreativität mit Musik Ausdruck verleihen, werden dabei von beiden Seiten unter Druck gesetzt.

Im Iran geht die Zensur sogar soweit, dass Musikbands ihre Konzerte und Musikproduktionen bei einer staatlichen Behörde anmelden müssen. Islamische Tugendwächter achten darauf, dass die Musiker auf Konzerten in einem bestimmten Dress auftreten.

Frauen etwa dürfen nie solo singen, sondern nur im Chor. Allein die Tatsache, dass die Künstler sich westlicher Musikstile wie Hip Hop, Punk oder Heavy Metal bedienen, ist für viele religiöse Fanatiker suspekt.

Wider die kommerzielle Verwertungslogik

Im Schlussteil seines Buches betont Fariborz allerdings auch den enormen kommerziellen Anpassungsdruck, gegen den sich die bunte Musikszene behaupten muss.

Der originäre Charakter der Künstler werde durch die kommerzielle Verwertungslogik der globalen Musikindustrie bedroht, die ausschließlich den Gesetzen des Marktes gehorche und den Wert künstlerischer Arbeit in erster Linie an Verkaufszahlen, Werbung und Marketingstrategien messe.

Seit dem Ende der 1990er Jahren entstanden zahlreiche private Musikkanäle wie Rotana TV, welche "seichten popkulturellen Einheitsbrei" verbreiten. Viele Musiker beklagten sich über diese Dominanz der Rotana TV-Monokultur, berichtet Fariborz.

Auch wenn nun durch die politischen Umwälzungen weniger Zensur betrieben wird, wird die verstärkte Dominanz der Verwertungsmaschinerie Musik als massenkulturelle Ware behandeln. Es wird sich zeigen, ob sich die engagierten jungen Musiker gegen diese Gefahr behaupten werden.

Eren Güvercin

© Qantara.de 2011

Redaktion: Lewis Gropp/Qantara.de

Arian Fariborz: "Rock the Kasbah. Popmusik und Moderne im Orient", Palmyra-Verlag, 182 S., Heidelberg 2010