Zornig, aber zahm?

Gemeinsam ist den religiösen Frauengemeinschaften Syriens der Wille zur Reislamisierung, die ihr Selbstbewusstsein gegenüber dem Westen, sich selbst und ihrem Regime stärkt. Mona Sarkis über die Frauengemeinschaft "Qubaisijat"

Gemeinsam ist den religiösen Frauengemeinschaften Syriens der Wille zur Reislamisierung, die ihr Selbstbewusstsein gegenüber dem Westen, sich selbst und ihrem Regime stärkt. Das wiederum scheint nicht recht zu wissen, wie es mit ihnen umgehen soll: ermutigen, instrumentalisieren, verbieten? Mona Sarkis über die Frauengemeinschaft "Qubaisijat"

Syrische Frauen mit Kopftuch; Foto: dpa
Die Qubaisijat und viele andere religiöse Gemeinschaften Syriens propagieren das Heim als einzig würdigen Platz der Frau.

​​8000 Moscheen, 120 von der Präsidenten-Familie errichtete Institutionen für Koran-Unterricht, 600 unabhängige oder in Moscheen integrierte Institute - Ibrahim Hamidi, Syrien-Korrespondent der saudischen Tageszeitung Al-Hayat, könnte fortfahren.

Die Reislamisierung hat Syrien erfasst. Und die Syrerinnen: 80 Schulen betreuen in Damaskus über 75.000 Frauen, die Hälfte davon unter Leitung der so genannten "Qubaisijat", der wohl einflussreichsten religiösen Frauengemeinschaft.

Ihr Name leitet sich von der 1933 geborenen Munira al-Qubaisi ab, die in den Sechzigern unter Syriens damaligem Großmufti, Ahmad Kuftaro, ihr Studium an der Abu-Nour-Foundation begann. Das von ihr entwickelte Islam-Verständnis bezeichnet Kuftaros Sohn, der heutige Leiter Abu Nours, als sufistisch, anderen gilt es als fundamentalistisch.

Totaler Gehorsam gegenüber Munira al-Qubaisi

Der Koranexegete Muhammad Schahrour glaubt sogar, ihr Ziel sei die "Errichtung eines Taliban-Staates" – er bezweifle jedoch ihre Fähigkeit, dies zu realisieren.

Markenzeichen der auf Zehntausende geschätzten Gemeinschaft ist eine bedingungslose Loyalität gegenüber diversen Scheichas, an deren hierarchischem Ende Munira al-Qubaisi throne – und das nahezu gottgleich. "Durch sie, die oberste Scheicha, erreichen wir Allah, sie ist unsere Mittlerin", schwärmt eine neu angeworbene "Schwester", die nicht genannt werden will.

Welche weiteren Ansichten die Gemeinschaft vertritt, wird auch sie erst nach jahrelangen Treuebeweisen erfahren. So viel darf sie jedoch bereits wissen: Der Gehorsam gegenüber Munira al-Qubaisi ist wichtiger als der gegenüber Vater, Ehemann oder Vormund: "Würde mir die Scheicha die Scheidung von meinem Mann befehlen – etwa weil er nicht gläubig genug ist – würde ich folgen. Denn die Scheicha zu verraten, hieße Allah zu verraten".

Ein weiteres Merkmal der Frauen ist ihr sozialer Rang. Gut situiert, werben sie vorzugsweise "Schwestern" gleichen Hintergrundes an und errichten so ein Netzwerk, das die Schicht der syrischen Meinungsbildner durchzieht.

Wohltätigkeit im Dienste der Religion

Schahrour zufolge verhelfen sie damit auch ihren Familien zu wichtigen Posten. Ihr sichtbares Engagement zumindest gilt der Wohltätigkeit im Dienst der almosenpflichtigen Religion und der Erziehung in Schulen und Kindergärten. Ihr Lehrmaterial sei besser als das staatliche, betont Muhammad Habash, Vertreter eines gemäßigten Islam und unabhängiges Parlamentsmitglied, doch erfolge alles in Absprache mit dem Kulturministerium.

Alles andere wäre in einer Diktatur auch verwunderlich. Doch gerade der Verdacht des Geheimen haftet der Gemeinschaft an, die ihre Glaubensriten nicht öffentlich praktiziert. Deshalb sei, so Habash, keineswegs von politischen Ambitionen oder gar Umtrieben auszugehen. Der Umstand, dass die Spekulationen ganze Internetforen auf Trab halten, scheint ihm Recht zu geben: Wirklich regimefeindliche Themen würden kaum in dieser Bandbreite debattiert.

Schaaban Abboud, Syrien-Korrespondent der libanesischen Tageszeitung Al-Nahar, schreibt im Juni 2004 denn auch - unter Berufung auf Geheimdienst-Quellen -, dass "hohe Autoritäten" die Hand auf das "gut organisierte" Frauen-Netzwerk hielten und es niederen Geheimdienst-Beamten erschwerten, ihre Aktivitäten näher zu erforschen.

Das Heim als einzig würdiger Platz der Frau

Ein Indiz für das Unbehagen, das die "Qubaisijat" auslösen, ist die brodelnde Gerüchteküche allemal. Zumal sich die Welle ausbreitet. Auch die Schwester des Führers der "Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando", Ahmad Jibril, gilt als qubaisische Leitfigur, was Syrien-Insider Hamidi ein breites Grinsen entlockt: traditionsgemäß ist das in engem Kontakt mit dem syrischen Regime stehende Generalkommando offiziell auch dessen Linie zugewandt, einem säkularen arabischen Nationalismus.

Was also hat Jibrils Schwester auf der religiösen "Gegenseite" zu suchen? Für Kuftaro liegt der Grund im "Scheitern des arabischen Nationalismus". Dass der säkulare Panarabismus, der seit vier Jahrzehnten die raison d'être des Regimes bildet, nicht sonderlich greift, ist in der Tat nicht wegzuleugnen.

Bereits in den achtziger Jahren begann das Regime einen Ausweg für sich zu suchen und fand ihn in der Ermutigung eines moderaten sufistischen Sunnismus. Durch den Bau von immer mehr Moscheen, die auch zwischen den Gebetsstunden zugänglich sind und Islamunterricht anbieten, gab es dem nach Identifikation hungernden Volk Futter - und behielt sich (mehr oder minder) die Zufuhr der Ingredienzen vor.

Dafür, dass das Kalkül aufgegangen zu sein scheint, sprechen die verschiedenen Frauengemeinschaften. Von den mächtigen "Qubaisijat" über die Aleppiner "Mutassaufijat" ("dem Sufismus zugewandt") bis hin zu Kuftaros Gemeinde propagieren alle das Heim als den einzig würdigen Platz der Frau – und fördern so die Nichtbeteiligung ihres Geschlechts am Aufbau einer Zivilgesellschaft. Der Diktatur erweisen sie damit einen wertvollen Dienst: immerhin die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich.

Mona Sarkis

© Qantara.de 2006

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