Einer, der nie die Neugier verlor

Er gehörte zu den bekanntesten Journalisten Deutschlands - aber im Land der Besserwisser auch zu den umstrittensten: Peter Scholl-Latour erklärte seinen Lesern und Zuschauern unermüdlich die komplizierte Weltpolitik, bereiste fast alle Länder dieser Welt. Er wurde 90 Jahre alt. Von Tomas Avenarius

Von Tomas Avenarius

Es gibt Journalisten-Bücher, deren Titel mehr erzählen als ihr eigentlicher Inhalt und die sogar diejenigen kennen, die das Buch nie aufgeschlagen haben. "Der Tod im Reisfeld" gehört dazu. Es hat den Reporter Peter Scholl-Latour in Deutschland berühmt gemacht - sein Buch ist ganz unabhängig von der Story zum Smalltalk-Synonym für das Thema Vietnam-Krieg geworden. Der Mann, der es geschrieben hat, war einer der bekanntesten Journalisten Deutschlands und blieb bis zum Schluss auch einer der Umstrittensten: Scholl-Latour galt den einen als Doyen des deutschen Auslandsjournalismus und profunder Kenner der islamischen Welt und Asiens, während andere über ihn spotteten oder schimpften. In Deutschland, dem Land der Besserwisser und der Professoren, gilt es eben noch immer als anrüchig, wenn einer in seinen Dokumentarfilmen oder Büchern und in Talk-Shows komplizierte Dinge im Interesse der Verständlichkeit stark herunter bricht und, ja, manchmal auch ein bisschen sehr stark vereinfacht.

Gleich, ob sie ihn bewunderten oder kritisierten: Der Journalist Scholl-Latour hat Dinge erlebt, um die alle seine Kollegen ihn, professionell betrachtet, nur beneiden können. Als Fernsehjournalist, der für das französische Fernsehen aus dem Vietnam-Krieg berichtete, wurde er 1973 mit seinem Team von Vietcong gefangengenommen. Wie auch immer er es schaffte, die Partisanen zu überreden, in den acht Tagen seiner Gefangenschaft bei ihnen eine Dokumentation drehen zu dürfen: Der Film "Acht Tage bei den Vietcong" wurde ausgestrahlt.

Von links nach rechts: Tonmann Dieter Hofrath, Peter Scholl-Latour, Assistent Klaus Pattberg und Kameramann Joseph Kaufmann; dpa
Das Team um Peter Scholl-Latour 1973 nach der Freilassung ihrer 8-tägigen Gefangenschaft bei der Vietcong. Während ihrer Verwahrung überredeten sie die Vietcong eine Dokumentation drehen zu dürfen. Der Film mit dem Titel "Acht Tage bei den Vietcong" wurde ausgestrahlt.

1978 wurde Scholl-Latour Augenzeuge der Islamischen Revolution in Iran. Der deutsche Fernsehmann saß mit im Flugzeug, als Ayatollah Ruhollah Chomeini am 1. Februar aus dem Exil von Paris zurück nach Teheran flog. Die Luftwaffe des Schahs, dessen Herrschaft mit der Ankunft des schiitischen Revolutionsführers definitiv endete, hatte angedroht, den Air-France-Jet vor seiner Landung abzuschießen. Geschossen wurde nicht, der deutsche Korrespondent durfte den Ayatollah beim Beten auf dem Flugzeuggang drehen, stieg mit ihm in Teheran aus dem Flieger. Dann zeigte er sich raffinierter als seine Kollegen: Während die anderen dem umjubelten Chomeini durch die Menge aus Millionen Menschen in die Stadt zu folgen versuchten, flog Scholl-Latour zurück und sendete von Paris aus seinen Bericht. Exklusiv, denn die anderen TV-Leute waren ja in Teheran geblieben und das Fernsehen war Ende der siebziger Jahre eher eine langsame, technisch schwierige Angelegenheit.

Anfänge bei der "Saarbrücker Zeitung"

Scholl-Latour, Sohn eines deutschen Mediziners und einer Elsässerin, wurde 1924 in Bochum geboren, hatte in der Nazi-Zeit wegen seiner jüdischen Herkunft große Probleme, war sogar in Gestapo-Haft. Immer stark nach Frankreich hingezogen, kämpfte er nach dem Krieg als französischer Fallschirmjäger in Indochina, bevor Washington den Dschungel-Krieg von Paris erbte. Er studierte Politik- und Islamwissenschaft an der Sorbonne, später im frankophonen Libanon und heuerte dann bei der Saarbrücker Zeitung an, für die er durch die Welt zog: Afrika, Asien, der Nahe und Mittlere Osten.

Peter Scholl-Latour im Februar 2014; Foto: picture-alliance/dpa
Für sein Lebenswerk wurde Peter Scholl-Latour im Jahr 2005 mit dem ersten Henri-Nannen-Preis ausgezeichnet.

Nach einer kurzen Zwischenstation als Regierungssprecher im Saarland ging er für die ARD als Korrespondent nach Afrika, später nach Paris, saß dann für eine Weile auf einem hohen Fernseh-Funktionärsposten beim WDR. Wirklich bekannt wurde er mit seinen Berichten aus dem Vietnam-Krieg, wechselte Anfang der 80er Jahre als Chefredakteur zum Stern, der damals noch etwas zählte in Deutschland. Nach einer Zeit auch auf der Gruner & Jahr-Verlagsebene machte Scholl-Latour sich selbständig und arbeitete in eigener Regie: Zeitung, Fernsehen, Bücher. Die Kriege im Irak, in Afghanistan, das zerfallene Sowjetreich, der al-Qaida-Terror, der 11. September - "Scholl" fühlte sich fast überall zuständig und reiste bis ins hohe Alter, so dass man ihm in Kairo oder Najaf über den Weg laufen konnte.

Von Arabellion bis Brüssel

Dazu die Bücher, die er schrieb, oft genug waren es Bestseller: "Allah ist mit den Standhaften", "Der Wahn vom Himmlischen Frieden", "Das Schwert des Islam", "Unter Kreuz und Knute" - die Liste ist ziemlich lang, manche haben die Bücher verschlungen, andere wollten sie erst gar nicht in die Hand nehmen. So oder so zeigt allein ihre Zahl, dass da einer bis zum Schluss weiterarbeiten wollte, sowohl als Journalist als auch als Mensch nie die Neugier auf das Leben verlor.

Und dann natürlich die Talk-Shows: Für konträre Meinungen, gepaart mit einem meist souveränen Auftreten und dem obligatorischen Halstuch im Kragen war er immer gut. Kein Sender wollte auf den deutschen Fernseh-Kriegsgott und Monsieur Nahost verzichten: Scholl-Latour war überall dabei, bei den Konflikten in Afghanistan, Tschetschenien und dem Irak, beim Arabischen Frühling. Er reiste sogar nach Syrien, in den Palast des Diktators Baschar al-Assad.

Scholl-Latour gab sich als Realist sowohl in Sachen Diktatur als auch beim Freiheitskampf ("Mit Ganoven verstehe ich mich gut"), machte aus seiner harschen Einschätzung der jüngsten arabischen Geschichte keinen Hehl: Er warnte als einer der ersten vor einer Fehlentwicklung der Arabellion, nannte Diktatoren wie den Syrer Assad ("von denen gibt es viele") immer noch besser denn einen Bürgerkrieg mit 170 000 Toten.

Das waren Äußerungen, mit denen er aneckte. Aber Scholl-Latour kannte und verstand den Islam und die Kultur drum herum sehr gut und machte daher keinen Hehl aus seiner Ablehnung islamistischer Ideen. Auch bei anderen Themen wurde er deutlich: Die europäische Politik in der Ukraine kommentierte er mit einem "Fuck the EU" und an Washingtons Adresse gewandt wetterte er: "Die Amerikaner müssen vom Völkerrecht reden! Wer Leute mit Drohnen ermorden lässt!"

Aufschneider war er keiner, aber so wirklich rundum bescheiden auch nicht. Seinen 90. Geburtstag im März hat er noch gefeiert und nicht vergessen, in einem Interview dazuzusagen, dass Angela Merkel und Helmut Schmidt ihm gratuliert haben. Es wird ihn gefreut haben, dass er bei dieser Gelegenheit auch klar stellen konnte, dass er nun wirklich so ziemlich alle Staaten dieser Erde bereist habe: "Vielleicht fehlen noch ein paar Riffe im Pazifik, ein paar kleine Inseln in der Karibik."

Tomas Avenarius

© Süddeutsche Zeitung 2014

Peter Scholl-Latour starb am 16.08.2014 im Alter von 90 Jahren nach einer schweren Krankheit in Rhöndorf am Rhein.

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de