"Feminismus ist voller Stereotype"

Als "Feministin, die keine ist", wird Zara Faris in Großbritannien gerne bezeichnet. Die Britin kurdisch-pakistanischer Herkunft ist eine der Sprecherinnen der sogenannten "Muslim Debate"-Initiative in London. Ihre Äußerungen zum Thema Gender und Islam haben zum Teil heftige Debatten hervorgerufen. Mit ihr sprach Claudia Mende.

Von Claudia Mende

Zara Faris: Kurz zusammengefasst, möchte ich dazu sagen, dass es in der Theologie darum geht, den Willen Gottes zu erfassen. Im Feminismus geht es aber nicht um den Willen Gottes, sondern um die Vorstellungen der Feministinnen, die allzu oft mit vorgefertigten Konzepten an die Theologie herangehen. Nein, ich glaube nicht, dass eine feministische Theologie dazu geeignet ist, den Willen Gottes auf angemessene Weise zu erforschen.

Aber feministische Theologinnen wie Amina Wadud oder Asma Barlas haben doch wichtige Beiträge zu einem modernen Verständnis des Koran geleistet…

Faris: Natürlich kenne ich die Sichtweisen der feministischen Theologinnen zum Islam und lehne sie nicht prinzipiell ab. Aber ich finde, dass die Ansätze dem eigentlichen Ziel von Theologie nicht gerecht werden. Natürlich sind unterschiedliche Beiträge immer hilfreich, auch die Feministinnen propagieren ja, dass wir uns gegenseitig kritisieren sollen. Auf der anderen Seite ist es dann aber widersprüchlich oder sogar scheinheilig, wenn sie ihrerseits behaupten, ich würde die Debatte abwürgen. Im Gegenteil, damit öffne ich die Debatte erst recht.

Ist feministische Theologie für Sie ein einheitliches Konzept?

Faris: Überhaupt nicht. Feministische Theologie verfolgt so wie Feminismus im Allgemeinen nicht nur eine Linie. Es ist für mich ein zentraler Kritikpunkt, dass Feminismus so viele Bedeutungen haben kann. Wenn es derart vielfache Bedeutungen unter dem Label Feminismus gibt, wie sollen diese Kategorien dann überhaupt hilfreich sein? Wie will Feminismus dann eine Lösung zu den vielen Problemen von Frauen heute beisteuern? Ich versuche zu verstehen, was der Schöpfer uns geoffenbart hat, wie wir leben und unsere Probleme lösen sollen. Wie wir eine richtige Balance zwischen Pflichten und Rechten untereinander finden können. Wenn Feministinnen hundert verschiedene Ideen dazu haben, wie wollen sie dann dazu beitragen, wie wir unser Leben am besten organisieren?

Gibt es denn für Sie eine spezifisch weibliche Sichtweise auf den Koran?

Faris: Es gibt eine menschliche Art, den Koran zu lesen. Die heiligen Schriften zu verstehen, verlangt vor allem Intellekt – und den haben Männer wie Frauen. Menschen machen unterschiedliche Erfahrungen und sie haben unterschiedliche Fähigkeiten. Es geht dabei um den Verstand, nicht um das Geschlecht. Es ist eine weit verbreitete Annahme, dass Feministinnen in ihren Forschungen vor allem weibliche Stimmen zu Wort kommen lassen, aber das stimmt gar nicht. Selbst einige feministische Theologinnen wurden von männlichen Gelehrten beeinflusst. So war zum Beispiel Aisha Abdel-Rahman, die wohl erste Koranexegetin, die unter dem Namen Bint al-Sati publiziert hat, stark von Mohammed Abdou beeinflusst. Fatima Mernissi hatte in ihrem Umfeld zwei prominente Reformdenker.

Aber das Geschlecht hat doch einen Einfluss darauf, wie ich einen Text verstehe…

Faris: Die Erfahrung hat einen Einfluss darauf, aber das bedeutet nicht, Prinzipien von außen in den Text hineinzulesen. Wenn man den Standpunkt des Koran zu einem bestimmten Thema erfassen will, dann versucht man, die Grundsätze des Koran zu verstehen. Auch wenn man einen bestimmten Erfahrungshintergrund hat, bedeutet das nicht, dem Text einen eigenen Standpunkt überzustülpen. Es geht darum, mehr Informationen über den Kontext einer Textstelle zu bekommen. Feministische Theologinnen aber gehen mit ihren eigenen Konzepten an den Text heran und scheitern deshalb dabei, die Grundsätze des Koran zu erfassen.

Das klingt so, als wäre ihr Zugang  für Sie doch nicht legitim?

Faris: Jeder Kommentator, der ein vorgefertigtes Urteil darüber mitbringt, wie der Islam sein sollte, findet keinen echten Zugang zu den Glaubenswahrheiten. Wenn Sie schon eine Vorstellung davon haben, wie etwas sein sollte, dann bleiben Sie doch dabei! Warum diese Ideen dann mit dem Islam in Verbindung bringen? Jede Theologie, die so vorgeht, nicht nur die feministische, verfehlt ihr Ziel.

Was stört Sie noch am Feminismus?

Faris: Vor allem die Stereotype über Frauen und wie sie leben sollen. Diese Stereotype sind ein wesentlicher Bestandteil von Feminismus – und genau das ist ein Problem. Wenn zum Beispiel die Frauen von "Femen" ihre provokanten Aktionen als feministisch bezeichnen, dann gibt es keine Grundlage, um zu sagen, ihr seid doch gar keine Feministinnen. Manch einer behauptet, auch der Islam enthalte gefährliche Stereotype, aber im Unterschied zum Feminismus beruht der Islam auf einem normativen Text. Was ich sagen will, ist, dass Feministinnen kein Monopol auf soziale Gerechtigkeit haben. Gerechtigkeit für Frauen und Männer lässt sich auch auf andere Weise erreichen.

Das klingt so, als bräuchte es keinen Einsatz für Frauenrechte?

Faris: Ich stelle nicht in Frage, dass muslimische Frauen der Befreiung bedürfen. Es ist offensichtlich, dass soziale Ungerechtigkeit für Frauen und Männer weit verbreitet ist – sowohl in der post-kolonialen muslimischen Welt als auch im Westen. Feministinnen haben aber kein Monopol auf den Kampf für Frauenrechte.

Auch der Islam will, dass Frauen sicher und frei leben können und die Möglichkeit zu verschiedenen Lebensentwürfen haben. Wenn etwa "Femen" ein Monopol auf die Frauenrechte für sich reklamiert, dann zeichnen sie ein falsches Bild vom Islam. Das wiederum bringt viele dazu, Feminismus und Islam zu verknüpfen. Dabei müssen wir uns vor allem für soziale Gerechtigkeit einsetzen und weniger für eine sexistische Ideologie wie den Feminismus.

Das Interview führte Claudia Mende.

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