Alles unter Kontrolle

Ägypten leidet unter wachsender Armut und Arbeitslosigkeit. Die Armee aber macht gute Geschäfte: Seit der Revolution haben die Generäle ihre wirtschaftliche Macht gefestigt - auch dank ausländischer Hilfe. Aus Kairo informiert Markus Symank.

Von Markus Symank

Nur noch wenige Wochen, dann wird die ägyptische Armee aller Wahrscheinlichkeit nach erneut einen Kandidaten aus ihren Reihen an die Staatsspitze manövrieren: Ein deutlicher Sieg von Feldmarschall und Ex-Armeechef Abdel Fattah al-Sisi bei der Präsidentschaftswahl am 26. Mai gilt als Formsache. Hinter den Kulissen hat die größte Armee des Nahen Ostens ohnehin längst wieder zur alten Dominanz zurückgefunden.

Ablesen lässt sich dies auch auf wirtschaftlicher Ebene. Seit dem Sturz des islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi im vergangenen Juli haben die Generäle mehrere milliardenschwere Projekte an Land gezogen. "Viele Investoren gehen offen auf die Armee zu", sagte Sherif Zaazaa, Journalist und Wirtschaftsexperte beim ägyptischen Nachrichtenportal Mada Masr. "Sie wissen, dass alleine die Armee derzeit die eigentliche Kontrolle im Land ausübt."

Milliarden aus den Golfstaaten

Während private Unternehmen seit der Revolution unter dem allgemeinen Chaos und der politischen Unsicherheit ächzen, scheint die Armee von der Krise kaum betroffen zu sein. Nach Ansicht mancher Beobachter profitiert sie sogar davon. Die Regierung in Kairo beauftragte Bauunternehmen der Armee in den vergangenen Monaten mit mehreren großen Infrastrukturprojekten. Im November erließ Übergangspräsident Adli Mansur zudem ein Dekret, dass es der Regierung ermöglicht, Bauaufträge ohne Ausschreibungsverfahren zu vergeben – ein Schritt, von dem seither vor allem die Firmen der Armee profitieren.

Ägyptens Übergangspräsident Adli Mansur; Foto: Reuters
Der Armee zu Diensten: Im November erließ Übergangspräsident Adli Mansur zudem ein Dekret, dass es der Regierung ermöglicht, Bauaufträge ohne Ausschreibungsverfahren zu vergeben – ein Schritt, von dem seither vor allem die Firmen der Armee profitieren.

Mehr noch aber sind es Investoren aus dem Ausland, mit denen die Generäle derzeit Geschäfte abwickeln. So wurde im März ein Abkommen über ein 40 Milliarden US-Dollar schweres Wohnungsprojekt zwischen Armee und dem Bauunternehmen Arabtec aus den Vereinigten Arabischen Emiraten unterzeichnet.
 

Auch im Energieversorgungssektor und anderen Wirtschaftszweigen arbeitet Ägyptens Armee eng mit den Partnern aus den Golfstaaten zusammen. Shana Marshall, Direktorin des Instituts für Nahost-Studien an der George Washington Universität in Washington DC, sagt dazu: "Viele dieser Deals werden geschlossen, weil die Herrscher der Golfstaaten auf diese Weise die ägyptische Armee unterstützen wollen. Sie wollen sicherstellen, dass die Armee ihren Einfluss und ihre Macht in Ägypten behält."

Armee nutzte Mursis Fehler

Insbesondere Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten geht es bei ihrer Hilfestellung für die ägyptische Armee vor allem darum, die Muslimbruderschaft in Schach zu halten. Das Jahr unter Präsident Mohammed Mursi, der selbst aus der islamistischen Organisation stammte, hatte in den Herrscherhäusern der Golfstaaten große Verunsicherung ausgelöst. Diese verstanden den Anspruch der Muslimbrüder, Islam und Demokratie zu vereinen, als Angriff auf ihre eigene autoritäre Regierungsweise.

Armeeeinheiten vor Stacheldraht und einem Plakat mit der Aufschrift "Hau ab!" vor dem Präsidentenpalast in Kairo im Dezember 2012; Foto: Reuters
Griff nach der Macht: Die Unpopularität des islamistischen Präsidenten und der "Partei Freiheit und Gerechtigkeit" (FJP) der Muslimbruderschaft aber habe der Armee den idealen Vorwand geliefert, um die vollständige Kontrolle zu erlangen, glaubt Shana Marshall.

Mursi hatte der Armee gegenüber vorsichtig taktiert und deren wirtschaftliche Interessen nicht angetastet. Die Unpopularität des islamistischen Präsidenten und der Partei Freiheit und Gerechtigkeit (FJP) der Muslimbruderschaft aber habe der Armee den idealen Vorwand geliefert, um nach der vollständigen Kontrolle zu greifen, glaubt Shana Marshall. Die Armee habe sich gesagt: "Warum sollen wir uns nur mit einem Teil der wirtschaftlichen Macht unter der FJP begnügen, wenn wir uns die große Unzufriedenheit in der Bevölkerung zunutze machen können, um die volle Kontrolle zu übernehmen?"

Von Pasta bis Erdöl

Wie viel Prozent der gesamten Wirtschaft die Armee kontrolliert, ist umstritten. Schätzungen reichen von 5 bis 60 Prozent. Das Verteidigungsbudget sowie andere Zahlen, die Aufschluss geben könnten, werden von den Generälen unter Verschluss gehalten. Fest steht, dass die Armee in jedem wichtigen Sektor mitmischt, angefangen bei der Herstellung von Pasta über die Produktion von Möbeln und Fernsehern bis hin zur Erdölförderung und Infrastrukturprojekten. Die Armee verfügt über eigene Krankenhäuser, Touristenressorts am Roten Meer und spielt eine führende Rolle in der Landwirtschaft.

An der Spitze der Armeeunternehmen stehen zumeist pensionierte Militärs. Diese sichern sich dadurch ein lukratives Alterseinkommen. Zugleich wird so ihr Appetit verkleinert, sich politisch zu betätigen. Wie groß die Unterstützung innerhalb der Armee für Präsidentschaftskandidat Sisi ist, sei unklar, sagt Sherif Zaazaa dazu. "Es ist daher wichtig, möglichen Kritikern ein Beschäftigungsfeld zu bieten."

Fehlende Expertise

Wirtschaftliche Expertise bringen die Militärs in Business-Anzügen in der Regel nicht mit. Um konkurrenzfähig zu bleiben, hat sich die Armee daher auf andere Weise Wettbewerbsvorteile gesichert. So müssen deren Firmen zumeist keine Steuern zahlen. Auch profitieren sie von massiven Subventionen sowie der Möglichkeit, Rekruten als billige Arbeitskräfte einzusetzen.

Forderten direkt nach der Revolution vom 25. Januar 2011 noch viele Ägypter ein Ende dieser Praktiken, sind solche Stimmen zuletzt weniger geworden - auch dank der staatlich kontrollierten Medien, die das Militär als Retter vor den Islamisten feiern. Sherif Zaazaa glaubt, dass sich dies wieder ändern könnte, sollte sich die Wirtschaftslage unter Sisi nicht oder nur schleppend bessern. Shana Marshall warnt hingegen, dass die für viele Ägypter verzweifelte Situation auch das Gegenteil bewirken könnte: "Die Alltagssorgen der meisten Ägypter sind weit entfernt von Themen wie mehr Transparenz." Es sei daher fragwürdig, ob die früheren Forderungen wieder mehr Gehör bekommen werden.

Markus Symank

© Deutsche Welle 2014

Redaktion: Arian Fariborz/Qantara.de