Missmanagement und fehlende Transparenz

Jahre nach dem Petersberg-Abkommen gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Geberländer von Afghanistan abwenden. Dabei entscheiden gerade die kommenden Monate darüber, ob der Wiederaufbau langfristig gelingen kann. Von Martin Gerner

Nachdem die Ziele des Bonner Petersberg-Abkommens auf dem Papier erfüllt sind, gibt es erste Anzeichen dafür, dass sich die Geberländer von Afghanistan abwenden. Dabei entscheiden gerade die kommenden Monate darüber, ob der Wiederaufbau langfristig gelingen kann. Von Martin Gerner

Arbeiter stellen einen Brennofen für Ziegel in der Nähe von Kabul her; Foto: AP
Auch nach vier Jahren krankt die Wirtschaft in Afghanistan. Der Wiederaufbau kommt nur schleppend voran

​​Zusagen in Höhe von knapp 13 Milliarden Dollar für die Dauer von fünf Jahren haben die Geberländer Afghanistan seit 2002 gemacht, von denen, so Wirtschaftsminister Amin Farhang, bislang mehr als acht Milliarden ausgegeben wurden.

Tatsächlich ist vier Jahre nach dem Sturz der Taliban der Aufschwung im Land unübersehbar. Hunderte Kilometer neuer Strassen wurden geteert, hunderte Schulen gebaut. Über fünf Millionen Kinder gehen zum Unterricht, darunter viele Mädchen. Die Versorgung mit Strom und Wasser ist zwar weiterhin ungenügend, doch hat sich das Gesundheitssystem deutlich verbessert.

Die Schattenseiten des neuen Afghanistans

Auf der anderen Seite krankt die Wirtschaft unverändert. So gut wie alles wird importiert: Reis und Öl, Zement und Strom. In den Geschäften stapeln sich Kiri-Käse, Kellogs-Cornflakes, Coca-Cola. Globalisierung als Einbahnstraße? "Meinen Glauben an die Demokratie stärkt das nicht. Was können wir tun, damit unsere Wirtschaft eine Chance erhält?", fragte ein Kandidat bei den letzten Parlamentswahlen.

Durch die Arbeit von rund 3.000 Entwicklungshilfe-Organisationen hat sich das Leben in der Hauptstadt Kabul merklich verändert. "Kabulistan", ein Moloch mit einer Bevölkerung von drei bis vier Millionen, ist geprägt von Gegensätzen zwischen Arm und Reich, von neuen Konsumtempeln hier und Bettlern dort.

Die Preis- und Werteskala der Menschen ist aus den Fugen geraten. Nachtlokale schießen aus dem Boden. Wer passabel Englisch spricht und flexibel ist, findet oft gut bezahlte Arbeit. "Wer wird Millionär?" ist nun auch im afghanischen Fernsehen zu sehen. Der Gewinn: ein Staubsauger. Kritikern der schnellen Modernisierung gilt das Wort "Demokratie" bisweilen als Schimpfwort: Sie übersetzen es mit "Alles ist erlaubt".

Korruption und massive Verschwendung

"Es kommt Hilfe nach Afghanistan, aber wir haben keine Übersicht darüber, wieviel und wo es ausgegeben wird", sagt Wirtschaftsminister Amin Farhang. Mit einem neuen Gesetz will die Regierung Kontrolle und Transparenz von den Hilfsorganisationen einfordern. Das neu gewählte Parlament hat den Umgang mit Hilfsgeldern ebenfalls scharf gerügt.

Viele deutsche Organisationen, die lobenswerte Arbeite leisten, fühlen sich dadurch zu Recht verunglimpft. Aber Missmanagement und eine Mentalität des Abkassierens sind kein Einzelfall.

Deutschland und die EU haben jahrelang Projekte der Medien-Organisation "Aina" finanziell unterstützt. Die Einrichtung, die afghanische Journalisten in die Selbständigkeit führen soll, erwies sich jedoch immer wieder als Fass ohne Boden.

"Glaubhafte Rechnungsführung stärkt das gegenseitige Vertrauen", so Jermyn Brooks, Leiter von "Transparency International" in Berlin. Internationale Berater in Ministerien kassierten zum Teil Jahresgehälter von bis zu einer halben Million Dollar. Das Durchschnittsgehalt im öffentlichen Dienst liegt bei 40 Dollar im Monat.

"Wir müssen unbedingt die Entwicklungshilfe reformieren", so Jean Mazurelle, Manager der Weltbank in Kabul. "Bisher sind wir nicht in der Lage, das zu leisten, was die Menschen hier erwarten". Und Karsais Stabschef Jawed Ludin meint desillusioniert: "Die goldene Periode der ersten vier Jahre ist auch eine Zeit massiver Verschwendung gewesen."

Dass das Übel umfassend bekämpft werden kann, ist kurzfristig wenig wahrscheinlich. Regierung und Ministerien sind selbst Horte der Korruption.

Florierender Drogenhandel

Stichwort Drogen: Strippenzieher und Profiteure des Drogenhandels sitzen direkt in der Regierung und an der Spitze von Provinz-Regierungen. Der vom Präsidenten ausgerufene "Heilige Krieg" gegen den Schlafmohn-Anbau ist damit nur bedingt glaubwürdig. Zumal Karsai bisher - ähnlich wie die internationale Staatengemeinschaft - die offene Konfrontation gescheut hat.

"Seine Optionen sind begrenzt", so Präsidenten-Intimus Ludin. Die Drogen-Barone seien mit Hilfe der USA aufgebaut worden. "Die gleichen Typen, die von der internationalen Staatengemeinschaft wegen Drogenhandels angeklagt werden, sind unsere vertrauenswürdigsten Partner im Kampf gegen Terror", so Ludin über das Dilemma.

Das Schlüsselwort heißt "Alternative Liveliehoods" (alternative Lebensgrundlagen). "Es geht darum, den Bauern andere Wege aufzuzeigen, damit sie nicht auf den weitaus lukrativeren Mohn zurückgreifen", so Christoph Berg von der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit. Man versuche es z.B. mit Safran oder Baumwolle. Oder man verspreche den Bauern bessere Bewässerungsanlagen, wenn sie dafür vom Mohn ablassen.

50.000 Bauern sollen im vergangenen Jahr dem Mohnanbau entsagt haben. Ein Teil der Einnahmen aus dem Drogenhandel alimentiert allerdings unverändert die Kassen der Extremisten.

Irakisierung des Konflikts?

Kämpfende Taliban sind nach wie vor ein akutes Sicherheitsproblem in Afghanistan. "Die Lage wird vorübergehend möglicherweise sogar schlimmer", so Afghanistan-Experte Ahmed Rashid, "aber anders als im Irak hat die westliche Präsenz die überwiegende Unterstützung der Bevölkerung."

Die Gegner von Regierung und internationaler Militär-Präsenz betreiben zwar eine Politik der gezielten Nadelstiche, die zuletzt ein neues Element aufwies: eine zunehmende Anzahl von Selbstmord-Anschlägen. Ob sich dahinter jedoch tatsächlich eine schleichende Irakisierung des Konflikts verbirgt, muss sich erst erweisen.

Martin Gerner

© Qantara 2006

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