Sind viele Welten möglich?

Kommerzialisierung und Konzentration kennzeichnen die Medienlandschaft weltweit. Ist dadurch die Vielfalt der Presse in Gefahr? Auf dem Weltsozialforum sind Journalisten nicht nur zahlreich vertreten, sie müssen auch viel Kritik einstecken. Mehr von Thomas Bärthlein aus Bombay.

Kommerzialisierung und Konzentrationsprozesse kennzeichnen die Medienlandschaft weltweit. Ist die Vielfalt der öffentlichen Meinung dadurch in Gefahr? Auf dem Weltsozialforum sind die Medienberichterstatter nicht nur zahlreich vertreten, sie müssen auch viel Kritik einstecken. Thomas Bärthlein berichtet aus Bombay.

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Kundgebung auf dem Weltsozialforum in Bombay

​​Der Journalist Nikhil Wagle aus Bombay, Herausgeber der Marathi- Zeitung "Mahanagar", beschimpft die indischen Zeitungen als "Anzeigenblätter der Globalisierung". Bernard Cassen von der französischen Zeitung "Le monde diplomatique", drückt sich nicht so poetisch aus, denkt im Grunde aber das gleiche: Die Presse habe sich Unternehmer-Interessen unterworfen. Sie erfülle ihre Aufgabe einer "vierten Gewalt", die Regierungen und Wirtschaft kontrolliert, nicht mehr - und müsse eine "fünfte Gewalt", eine Kontrollinstanz, an die Seite bekommen.

Informationsfreiheit nicht nur für Journalisten

Bereits auf dem letzten Weltsozialforum 2003 hat "Le monde diplomatique" mit einigen Partnern daher "Media Watch Global" ins Leben gerufen. In mehreren Ländern überprüft diese Einrichtung die Berichterstattung der Massenmedien. Bernard Cassen erklärte, dass drei Gruppen von Menschen an dieser Beobachtungs-Instanz beteiligt sind:

"Erstens, Medienprofis, Journalisten, Journalistengewerkschaften. Zweitens, Akademiker und Forscher im Bereich der Medien- und Kommunikationswissenschaften. Und drittens, Mediennutzer. Wir glauben, dass wir diese fünfte Gewalt brauchen, und dass dabei auch Journalisten beteiligt sein sollten, aber nicht nur Journalisten. Die Informationsfreiheit ist nicht nur eine Freiheit der Journalisten, sondern auch der Bürger."

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Musikveranstaltung auf dem Weltsozialforum in Bombay

​​Es scheint allerdings fraglich, wie sich diese Medien-Kontrolleure vor den Exzessen der "Political Correctness", wie sie in den USA praktiziert wird, schützen können. Interessanterweise gibt es auch eine Einrichtung mit dem zum Verwechseln ähnlichen Namen "Media Watch International" - die gehört allerdings zur pro-israelischen Lobby in den Vereinigten Staaten und versucht zu verhindern, dass "unausgewogen" viele Fernsehbilder von leidenden Palästinensern gezeigt werden...

Kontrolle des Internets

Wie sieht es in den neuen Medien aus? Mit dem Internet und Computern verbanden viele die Hoffnung auf große Informations-Vielfalt. Aber auch in der Cyber-Welt schränken Unternehmens-Interessen die Freiheit der Bürger ein, beklagt der Pionier der Bewegung für freie Software, der Amerikaner Richard Stallman. Stallman provoziert mit radikalen Forderungen. So plädiert er dafür, dass der Musik- und Büchertausch im Internet legalisiert werden sollte: "Jede Art von Büchern oder Musik mit seinen Freunden oder auch Fremden zu teilen, ist doch nichts Schlimmes! Die Leute, die das Piraterie nennen, stellen die Moral auf den Kopf! Piraterie heißt Schiffe angreifen. Schiffe anzugreifen ist absolut falsch. Aber mit anderen zu teilen ist gut."

Zuviel Einheit, zu wenig Pluralismus

Auch der US-amerikanische Ökonom Joseph Stiglitz, Nobelpreisträger, Ex-Chefvolkswirt der Weltbank und heute engagierter Kritiker der ungeregelten Globalisierung, hält die Rolle der Medien als Vermittler für wichtig. Seine Universität, die Columbia University in New York, hat eigens ein Trainingsprogramm für Wirtschaftsjournalisten entwickelt, die zum Thema Globalisierung arbeiten.

Die Globalisierung leide darunter, dass es zu wenig Partizipation gibt, dass zu wenige Meinungen und zu wenige Themen öffentlich diskutiert werden - meint Stiglitz, und fordert das Weltsozialforum auf, so pluralistisch wie möglich zu bleiben.

Pluralismus und Vielfalt sind wichtige Stichworte, die das Weltsozialforum immer wieder der vereinheitlichenden Kraft der Globalisierung entgegenhält. Das ist charmant und bunt, wirkt oft aber auch unübersichtlich. Und obwohl alle am liebsten ihre eigenen Sprachen sprechen würden, müssen sie zur Verständigung doch wieder in die Einheits-Sprache Englisch wechseln, wenn die Dolmetscher-Anlage mal wieder ausfällt.

So wie der indische Lyriker Ashok Vajpeyi. Er wandelt das Motto des Weltsozialforums "Eine andere Welt ist möglich" ab in seinem philosophischen Schlusswort: "Wir haben existiert, weil wir so viele waren. Und wir werden weiter existieren, weil wir so viele sind. Wir werden weiterhin viele sein und deshalb viele Welten erschaffen, zerstören, durch viele Welten ersetzen. Keine einzelne Welt kann uns unterdrücken. Wir sind hier, weil viele Welten möglich sind!"

Thomas Bärthlein, © DEUTSCHE WELLE / DW-WORLD.DE 2004