Gegen den religiösen Fundamentalismus

Im Zuge einer breit angelegten Reformierung des religiösen Lebens in Marokko wurden zum ersten Mal auch weibliche Religionsbeauftragte ausgebildet. Sie sollen religiöse und erzieherische Aufgaben übernehmen, dem Gebet vorstehen dürfen sie aber nicht. Mohamed Massad berichtet.

Mohammadia-Moschee in Casablanca; Foto: Mona Naggar
Die Mohammadia-Moschee in Casablanca - bald ein Ort für religiöse und gesellschaftliche Aktivitäten der neu ausgebildeten weiblichen Religionsbeauftragten?

​​Weibliche Religionsbeauftragte für die Verbreitung religiöser Kultur in der Gesellschaft auszubilden gilt als erste Maßnahme in einer Reihe religiöser Reformen, die den Reformprozess unterstützen und als Schutz vor Extremismus dienen sollen.

Diese Ausbildung steht im Zusammenhang mit "der Verankerung einer integrierten, umfassenden und mehrdimensionalen Strategie, die im Wesentlichen darauf abzielt, Marokko vor extremistischen, terroristischen Tendenzen zu bewahren sowie seine moderate, gemäßigte und tolerante Identität zu stärken", wie König Muhammad VI. im April 2004 verkündete.

Dies beinhaltet unter anderem die Modernisierung der Behörde für traditionelle Bildung sowie der für die Moscheen zuständigen Behörde und die Einrichtung eines Gremiums für Rechtsgutachten, um Uneinigkeiten bezüglich der Fatwas zu verhindern.

Die Ausbildung weiblicher Religionsbeauftragter verfolgt die Absicht, einen Personalstab heranzubilden, der mit religiösen Aufgaben, Mahnpredigten und Ansprachen in den Moscheen des Königreichs betraut wird.

Moderne und fundierte Ausbildung

Anlässlich der Abschlussfeier des ersten Jahrgangs der weiblichen Religionsbeauftragten erklärte Ahmed Toufiq, Minister für religiöse Stiftungen und islamische Angelegenheiten, dass diese "zwölf Monate lang eine moderne und fundierte Ausbildung erhielten, die auf der Grundlage beruht, dem Glauben, der malikitischen Rechtsschule und der Politik des Staates gegenüber verpflichtet zu sein."

Bestandteile der Ausbildung sind die Koranunterweisung, das islamische Recht, die Lehre der Sunna, verschiedene Methoden der Forschung, Sufismus, islamische Geschichte, Geographie sowie Arabisch und Fremdsprachen.

Parallel dazu wurden neue Fernsehkanäle und Radiostationen ins Leben gerufen, die sich hauptsächlich religiösen Themen widmen. Viele Beobachter verstehen diese neue Ausbildung der weiblichen Predigerinnen und die neuen Medien als eine Antwort auf die Terroranschläge in Casablanca im Mai 2003, für die die Behörden extremistische Islamisten verantwortlich machten.

So ergriff die Regierung mehrere Maßnahmen, wozu auch die Schließung einiger Moscheen gehörte, die in dem Verdacht standen, von islamistischen Extremisten finanziert zu werden, ihnen Unterschlupf zu bieten und für diese Propaganda zu betreiben.

Das Bild vom Islam berichtigen

Von offizieller Seite indes wurde verneint, dass die Ausbildung von Religionsbeauftragten eine Reaktion auf fundamentalistische Strömungen sei. So äußerte sich der Religionsminister Toufiq gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters, dass diese Ausbildung weder im Zusammenhang mit dem Terrorismus stehe noch als Antwort auf Extremisten zu verstehen sei, sondern im Gegenteil ganz alltäglichen Bedürfnissen der Gesellschaft nachkomme.

"Meine Kolleginnen und ich möchten das Bild vom Islam berichtigen. Der Islam ist eine Religion der Toleranz und Gnade", erklärt die Religionsbeauftragte Karima Al-Rajaili und weist damit auf die Vermischung von Islam und Terrorismus hin, wie sie im Westen vorgenommen wird.

Dürfen Frauen das Gebet leiten?

Nachdem in der marokkanischen und internationalen Presse die Nachricht zirkulierte, dass Marokko möglicherweise den weiblichen Religionsbeauftragten die Leitung des Gebets übertrage, wurde Kritik laut.

"Unsere Rolle konzentriert sich auf Aufklärung, Unterweisung und Ermahnungen im religiösen Bereich für Frauen", erklärt daraufhin die 39-jährige Religionsbeauftragte Zuhur Burbash. "Wir werden dieselbe Rolle haben wie der Imam, jedoch werden wir weder das Gebet leiten noch die Freitagspredigt halten. Diese Angelegenheit ist schon von der malikitischen Rechtsschule entschieden, in der es nicht vorgesehen ist, dass eine Frau den Betenden vorsteht."

Um den um diese Frage entstandenen Disput beizulegen, untersagte der "Hohe Rat der Muslimischen Rechtsgelehrten" in Marokko die Leitung des Gebets für Frauen per Rechtsgutachten und untermauerte dabei die Einigkeit der islamischen Rechtssprechung über ein diesbezügliches Verbot.

Sollten Frauen aber Frauen beim Gebet vorstehen, so das Argument, führe dies zu einer Trennung der weiblichen Gläubigen von den männlichen, so dass für die Frauen eigene Moscheen entstünden. Die Frauen hätten somit keinen Anlass, zusammen mit Männern in einer Moschee zu beten.

Weiter heißt es in der Fatwa: "Die islamischen Rechtsgelehrten sind sich einig darüber, dass eine Frau dem Gebet nicht vorstehen kann, weil dies auch Veränderungen für das Gebet nach sich zieht."

"Noch nie in der Geschichte Marokkos hat eine Frau in der Moschee das Gebet für beide Geschlechter geleitet", so der Hohe Rat für Rechtsgutachten.

Trennung der Aufgabenbereiche

Der Hohe Rat der Muslimischen Rechtsgelehrten und das ihm unterstehende Gremium für die Erteilung von Rechtsgutachten sind im Königreich zuständig für solche Fragen. Bezeichnenderweise dementierte Minister Ahmad Toufiq kurz vor Erlass dieser Fatwa die Meldungen in der marokkanischen und internationalen Presse, dass auch Frauen das Gebet in den Moscheen werden leiten dürfen.

So betonte Toufiq auch die Notwendigkeit, die Aufgabenbereiche der weiblichen Religionsbeauftragten und der Imame voneinander zu trennen.

Die Aufgaben der weiblichen Religionsbeauftragten beschränkten sich auf kulturelle und gesellschaftliche Angelegenheiten innerhalb der Moscheen, sie sollten Streitigkeiten in Familien beizulegen und innerhalb der Gesellschaft eine Vermittlerfunktion zu übernehmen. Außerdem sollten sie in den Moscheen religiöse, erzieherische und kulturelle Aktivitäten durchführen.

Angesichts dessen entzündete sich in der arabischen Welt eine juristische Diskussion zwischen den islamischen Rechtsgelehrten, von denen einige darauf hinwiesen, dass die Bezugnahme auf die Texte der Scharia und die Erforschung ihrer Stärken und Schwächen ergeben hätten, dass es Frauen durchaus zustehe, unter bestimmten Bedingungen das Gebet auch für Männer zu leiten.

Sie dürften dies jedoch ausschließlich in privaten Räumen tun, nicht jedoch in Moscheen. Auch sei der Kreis der Betenden auf den engsten Familienkreis zu beschränken und schließe Fremde aus. Eine Frau könne auch für Analphabeten den Koran vorbeten, wenn sie diesen besser beherrsche. Zudem dürften nie junge Frauen vorbeten, dies sei nur älteren vorbehalten.

Mohamed Massad

Aus dem Arabischen von Helene Adjouri

© Qantara.de 2007

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